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| 73r Schleiermacher über die Poesie.

(Schluß seiner Vorlesungen über Aesthetik, Berlin, im März 1833.)

Die Poesie ist freie Productivität in der Sprache. Aber das ist sehr weiter Ausdruck. Wir hatten es bisher mit dem zu thun was außerhalb des Menschen ohne ihn vorhanden ist; daran schloß sich die freie Productivität an das was ursprünglich als Receptivität existirt; aber dies Auffaßen ist so nur möglich, weil in der Form der Thätigkeit das Wesentliche des Geistes ist, und dieselben Formen, die wir äußerlich haben, uns auch innerlich gegeben sind (Plato) und im Bewußtsein eins werden mit dem sinnlichen Eindruck. Der Geist in Form der menschlichen Seele ist ebenso gestaltbildend; er producirt aus sich die Formen, die ihm gegeben sind, indem die äußere Wahrnehmung mit der innern Richtung zusammentritt. Jedes Ding ist nicht bloß Product der bildenden Kraft sondern es hat noch etwas anderes darauf eingewirkt. In der Productivität nach außen ist die Thätigkeit durch die Reception gebunden; aber in der künstlerischen Productivität stellt sich die bildende Kraft in ihrer Freiheit wieder her.

Aber die Poesie scheint sich nicht anzuschließen an äußerlich gegebenes. Ihre größern Werke haben es zu thun nur mit dem was dem Menschen durch sich selbst entsteht. Nur Nebenarten sind bloß beschreibende Dichtungsarten. Diese könnte man auch als Beschreibungen von mimischen und plastischen Werken denken. Wir können uns denken poetische Werke in Beziehung auf mimische, auf musikalische, auf plastische. Ja gerade dadurch scheint die gewöhnliche Klassification der Poesie gerechtfertigt. Die dramatische Poesie wäre die Poesie in Verbindung mit der Mimik; dfie epische Poesie wäre die in Verbindung mit der bildenden Kunst; die lyrische wäre die Poesie in Verbindung mit der Musik. Es ist freilich mißlich über Classification der Poesie zu reden, ehe wir ihr Wesen bestimmt haben. Aber die Praxis geht der Theorie vorher, und so gruppiren wir uns die gegebenen Werke der Poesie, um daran ihr Wesen zu erkennen. Im classischen Alterthum geht jene Eintheilung durch; was nicht hinein gehört, erscheint sehr untergeordnet. Allein freilich wäre das sehr einseitig, wenn wir unsere Betrachtung der Kunst wollten auf das classische Alterthum zurückzuführen, denn dann wären wir in Gefahr etwas Nationales für allgemein zu halten. Wie verhält sich denn diese Classification zur modernen Poesie? Hier hat sie nicht denselben Werth. Einmal ist bei uns die dramatische Poesie nicht wie bei den Alten an die mimische Darstellung gebunden. Der Dichter leitete bei den Alten die mimische Darstellung, und dichtete nur für sie. | 73v Neuerlich kommen dramatische Werke vor, welche für das mimische erst eingerichtet werden müssen. Ebenso war bei den Alten lyrische Poesie und Musik wesentlich zusammenhängend. Jetzt hat ein lyrisches Gedicht seinen vollkommenen Werth ohne daß es componirt wäre, und die Musiker klagen oft, daß die Dichter den musikalischen Anforderungen nicht genügten. Die epische Poesie ist neuerlich nicht, wie sonst, von der übrigen Poesie gesondert, und in sich eins. Dies zeigen die Übergänge unter den neuern Dichtungsarten. Die moderne epische Poesie hat eine andere Einheit, und eine viel größere Verwandtschaft mit der dramatischen Poesie. Ebenso hat die neuere dramatische Poesie eine Hinneigung zur epischen, z.B. die Reihen historischer Dramen von Shakespeare, die zusammen ein Ganzes bilden, der Unterschied wäre da nur in der äußern Form. Und schwer können wir die Grenze ziehn zwischen Gedichten welche auch das Äußere der Poesie, das Sylbenmaaß, vollständig an sich tragen, und zwischen solchen, wo das nicht; wie auch der Unterschied zwischen epischen und lyrischen Sylbenmaaßen neuerlich lange nicht mehr so fest steht, z.B. Ottave rime sind lyrisches und episches Sylbenmaaß. Hat nun endlich die poetische Productivität eine ganz andre Einheit als mimische, musikalische und bildende Künste so sehen wir, daß wir das Wesen der Poesie hiernach nicht erkennen können.

Was ist also eigentlich die eigenthümliche Productivität der Poesie? Wir haben gesagt, freie Productivität die aus dem Zusammenhang mit der Receptivität, mit dem gebundenen Character der Auffaßung sich löst, das ist das allgemeine bei aller Kunst. Bei mimischen und musischen Künsten ist der Gegenstand | 74r freie Bewegung, frei dargestellt an dem Tone und an der Oberfläche des Körpers, Darstellung, welche sich als das Äußere zu innern Zuständen zeigte. Reactionen, Manifestirungen des Innern sollen sie in ihrer Vollkommenheit darstellen. Bei der bildenden Kunst haben wir es zu thun mit der sinnlichen Vorstellung wie sie als Bild erscheint; die Auffaßung ist hier bedingt durch die Gestalt, durch die Gegenstände, welche durch andere Einwirkungen modificirt sind; die Auffaßung ist hier bedingt durch den Geist, als welcher die Identität der Formen des innern Bewußtseins mit den Formen der Natur darstellt; die Geistesthätigkeit soll dies überwinden, und was dasselbe ist in Natur und Seele in seiner Reinheit darstellen. Hier haben wir auf der einen Seite den durch einen innern Zustand des Selbstbewußtseins in Bewegung gesetzten Willen in Mimik und Musik; in der bildenden Kunst geht der Geist mit dem zusammen, was ihm seine Sinne bieten. Aber womit hat es die Poesie zu thun? Alle poetische Kunstthätigkeit ist Thätigkeit in der Sprache. Hier muß sie ein eigenthümliches Gebiet haben, denn nicht alle Thätigkeit in der Sprache ist poetisch. Was ist die Sprache? Hier müssen wir zurückkommen auf die Identität zwischen Denken und Reden, Denken im weitern Sinne für alles was ins Gebiet der Vorstellung fällt. Wollen wir versuchen die Poesie wie die bildenden Künste auf etwas zu beziehen was ursprünglich eine gebundene Thätigkeit ist (wie vorher bei allen Künsten) so hat es die Poesie in der Sprache zu thun mit der Auffaßung eines Gegebenen in der Form der Vorstellung, hat es mit der Wahrheit zu thun. Dies allgemeiner, und wir befinden uns auf dem Gebiet der Wissenschaft. Jede einzelne Production, allgemein oder besonders, hat ihre Wahrheit nur nach ihrer Stelle im Gesammtgebiet, im Zusammenhang der ganzen Wissenschaft, der Wissenschaft dessen was ist. Wir beziehen nun hier die Abstufungen des besonderen und Allgemeinen auf die Naturgegenstände welche wir auffassen, das menschliche Thun und Leben mit eingeschlossen. Aber wenn wir nun sagen, hier gilt es ebenfalls, die Productivität zu befreien von anhaftendem Fremden, so kommen wir damit nicht aus dem Gebiete der Wissenschaft. | 74v Davon aber müssen wir doch die Poesie vollständig befreien, denn das wird jeder zugeben, daß sie eine andere Aufgabe hat als wissenschaftliche Wahrheit. Die Poesie hat es mit der Sprache zu thun, aber nicht so fern diese bloß äußere Hinstellung ist der geistigen Function welche sich auf das Sein bezieht. Damit haben wir nur etwas Negatives. Ist denn die Sprache noch etwas anderes, als nur dieses, was wir einmal wollen ihren logischen Gehalt nennen? denn dies alles ist die Sache der Wissenschaft und da giebt es eine ganz analoge Ergänzung durch Erfahrungen von Sein gegen (?) die Formen des Seins, aber keine poetische. Nun ist etwas worauf jeder kommt. Die Sprache ist auch ein innerliches und wird nur äußerlich durch den Ton. Dieser hat ein Analogon mit dem musikalischen Element, und wir bekommen beim Gebrauch der Sprache immer ein Eindruck von diesem musikalischen Element. Freilich abstrahirt im Geschäftsleben jeder von diesem Element, vom Wohlklang; es gibt vielen Gebrauch der Rede, der hier ganz indifferent ist. Aber es giebt doch andern Gebrauch der Rede, wo man einen solchen Eindruck will, und da erkennen wir schon eine Analogie mit Gesang und Ton im Gesang. Dies musikalische Element producirt sich immer mit, ist aber doch zu viel gedrängt. Der eigentliche Anknüpfungspunkt [ist] freie Productivität in Beziehung auf | 75r das musikalische Element der Sprache; die Sprache soll hier heraustreten als eine Totalität von Wohlklang. Ist dem also der Inhalt gleichgültig? wenn das nicht, so haben wir das Wesen der Poesie noch nicht bezeichnet, sondern nur eine Seite, denn ohne alle Rücksicht auf dies Musikalische hält doch wohl keiner ein Werk für ein poetisches. Gegenüber der Behandlung des Inhalts in der Wissenschaft müssen wir wohl sagen, in einem gewißen Sinn ist die Wahrheit des Inhalts für die Poesie gleichgültig, in einem andern nicht; wenn wir diesen Unterschied finden könnten, würden wir uns wohl über das Wesen der Poesie verständigen. Also z.B. ein episches Gedicht; ist da die Wahrheit des Inhalts, d.h. daß wir sagen können das ist ein wirklich einmal aufgefaßtes Gegebenes gewesen, nöthig? nein. Die Personen könnten auch völlig erdichtet sein; ob Achilles und Ajax lebten, ist für das Gedicht gleichgültig. Aber wenn der Dichter Menschen darstellt, wie ich keine denken könnte, d.h. in dem was er giebt ist nicht die Wahrheit der menschlichen Natur in der Beziehung wie er sie hinstellt, nicht wie sie zufällig bestimmt ist, denn daraus mache ich mir nichts; so hilft mir aller Wohlklang nichts, oder ich kann doch, wo er ist, nicht ungestört zum Genusse desselben kommen. Ist denn nun die Wahrheit die Hauptsache des Gedichts? Sie ist nur die conditio sine qua non für die Gemeinschaft, welche zwischen Dichter und dem welcher | 75v sich seine Thätigkeit aneignen soll. Die Wahrheit, welche das wesentliche des logischen Gehaltes betrifft, ist zunächst nur nöthig wegen der Sprache, weil der logische Gehalt Basis des musikalischen Gehaltes der Sprache ist. Ist Poesie bloß durch Wohlklang? Gibt es keine poetischen Gedanken? Oder ist jeder sprachliche Wohlklang Poesie? Von dem einen und von dem andern muß das poetische Element gelöst werden, und es muß ein specifisches der poetischen Kunst geben, wie bei jeder Kunst. Wie im Musiker Töne, im Plastiker Gestalten die künstlerische Composition bewirken, so muß im Dichter die Sprache mit jenem Wohlklange leben und wirken. Der logische Werth des Inhaltes kann nicht der poetische Werth sein. Wo kann der letztere liegen im Gebiet der Sprache? denn darin sind wir nun einmal fest.

Man kann in der Sprache sondern die logische und die musikalische Richtung. Es kann ein Satz vollkommen unsere Billigung haben seinem Inhalte nach, aber er verletzt uns musikalisch. Diese Duplicität, welche gegenseitig ist, unterscheidet auch die ganzen Sprachen, je nachdem eine mehr in dem einen oder dem andern vollkommen ist. Es giebt gar kein Denken ohne Sprache, Denken auf der niedrig sten Stufe. Hieraus scheint hervorzugehn, daß, sobald das Denken sich von dem sinnlichen Bilde löst, es Sprache wird. Dies ist richtig als Forderung. Aber wie steht es, wenn man diese geistige Function in ihrer Erscheinung betrachtet? Es giebt eine Differenz zwischen Gedanken und Ausdruck, welche noch verschieden ist von der Verschiedenheit zwischen logischem und musikalischen Werth. Wenn ich mir einen Ausdruck erst zurecht legen muß, ist das eine Unvollkommenheit im Denken oder in der Sprache? Jedes von beiden kann der Fall sein; jenes [wird] behauptet werden, unter der Voraussetzung daß | 76r eine Identität sei zwischen Denken und Sprechen; dieses unter der Voraussetzung, es gebe in der Sprache eine Thätigkeit, welche nicht dieselbe sei mit dem Denken. Worin liegt diese Übung? Da werden wir auf das zurückkommen, was specifische Begeisterung des Dichters. Je mehr es in ihm spricht, desto mehr wird er Meister der Sprache, aber das hat mit seiner Vollkommenheit im Denken nichts zu thun. Aber dies hat doch eine Beziehung auf das Denken. Einer kann alle seine Gedanken so ausdrücken, daß ich sie mir unmittelbar aneignen kann; ein anderer nur so, daß ich ihren Ausdruck noch ergänzen muß. Weder das logische noch das musikalische hat da die Schuld. Was ist dieses Element, welches wir in seinen Folgen erkennen? Jede Sprache ist die Darlegung eines eigenthümlichen Complexus von Begriffen. Wie verhält sich die Sprache ihren Elementen nach zu dem dargestellten Complexus von Begriffen? Wir finden in jeder Sprache die Ausdrücke so, daß wir sie nicht unmittelbar an den Begriff heften dürfen, sondern daß ihre Differenz erst einer logischen Erklärung bedarf. Keine Synonyme, ja; aber es ist eine Differenz, die nur durch Erklärung zu bestimmen, und nicht unmittelbar einleuchtend ist. Also ist hier eine Differenz zwischen Denken und Sprache, die in der Sprache selbst ihren Sitz hat. Hier ist der Gegenstand für eine solche Übung, wodurch eine Meisterschaft in der Sprache entstehn kann, die größer oder geringer sein kann bei derselben Vollkommenheit im Denken. Damit ist die unbekannte Größe nicht zur bekannten gemacht; wir haben nur eine Ort, wo sie sichtbar ist. Aber wenn wir sie uns genauer bestimmen wollen, dürfen wir nun nicht mehr länger bei dem abstracten Begriff der Poesie bleiben, sondern die Function in ihrer Verschiedenheit anschauen, das Specifische zu erkennen. | 76v Aber wir müssen die Verschiedenheit von anderwärtsher nehmen. Damit kommen wir auf unsern Anfang zurück. Zugegeben, das Musikalische in der Sprache erschöpfe nicht die poetische Function, und das Logische liege ganz außer derselben, was giebt denn die Poesie außer dem Wohlklange der Sprache? Z.B. eine Element eines epischen Gedichtes, darin Personen, eine vollkommner, eine unvollkommner; je mehr der Dichter mich einerseits nöthigt und andrerseits in den Stand setzt, mir ein Bild zu machen, desto vollkommner ist mir die Darstellung. Je weniger er mich in den Stand setzt, wie ich auch immer dazu genöthigt werde, desto unvollkommner. Der Dichter hat nichts in seiner Gewalt als Wörter, die immer ein Allgemeines sind, in dem Gegensatz zwischen Allgemeinem und Besonderem liegen, aber er soll ein Bestimmtes dadurch erreichen, durch die Art wie er sie ineinander flicht, daß es ein Einzelnes wird. Eine botanische Beschreibung einer Pflanze, was soll sie? Soll ein Einzelnes gegeben werden? Nein; die Gattung, die Species; auch ein Bild soll hervorgerufen werden, aber ein veränderliches Schema; nur den Typus, daß man ihn zeichnen kann, bis zur Vollkommenheit. Aber das ist rein das Gegentheil des Poetischen. Hier besteht die Beschreibung aus ein Aggregat allgemeiner Ausdrücke, und soll nur ein Allgemeines liefern. Eine einzelne Pflanze kann so gar nicht beschrieben werden.

Nun soll der Dichter gerade die Wahrheit und Bestimmtheit des Einzelnen durch die Sprache leisten; das ist aber nicht der logische Gehalt, auch nicht von seiner empirischen Seite angesehen, denn diese hat die Wirklichkeit des Inhalts zu berücksichtigen, also | 77r da käme die Beschreibung doch wieder jener botanischen nahe. Der Dichter soll in Stand setzen, das Bild selbst zu reproduciren, aber so daß man es in seiner Einzelnheit erkennt. So haben wir eine Zurückführung der Poesie auf die bildende Kunst. Was der Dichter hervorruft ist ein Bild, unter Bild Darstellung das als einzeln bestimmte verstanden; dies wird mehr plastisch sein, je nachdem es als einzeln bestimmt ist; mehr pittoresk, je nachdem es mit andern Gestalten in einem Moment zusammengefaßt ist. Ist es nun das Wesen der Poesie, daß sie nichts weiter will, als so durch die Sprache Bilder hervorbringen? Das ist nur die eine Seite. Von der andern aber kommen wir auf die Combination der Poesie mit der Musik, wie hier mit der Plastik. Die andre wesentliche Seite der Poesie, ist daß sie Gemüthszustände, Gemüthsbewegungen oder GemüthsStimmungen hervorrufen soll. Das ist auch unmittelbar durch die Sprache nicht zu leisten. Die Gemüthsbewegungen haben ihren unmittelbaren Ausdruck in Mimik und Poesie; was diese vergegenwärtigen, soll nur durch die Sprache; wo ist der Übergang? Der ist ein zwiefacher. Wir haben bei jenen Künsten gesehn, wie natürlich sie sich an die Poesie anhängen; weil sie selbst etwas unbestimmtes sind, was durch die Verbindung an ein bestimmteres kommt, und so ein Reflex annehmen, der ihr Unbestimmtes verschwinden macht. Aber wenn wir mehr auf die Gemüthsstimmungen sehen, so | 77v manifestirt sich diese mehr in der Function der Bewegungen des inneren Vorstellens. Bald nimmt das innere Vorstellen einen solchen Ton an, bald einen andern. Das innere Vorstellen ist immer schon ein inneres Sprechen, und dies soll der Dichter zu seiner vollkommenen Klarheit und Bestimmtheit bringen. Indem ich diesen seinen inneren Process in seinem Werke anschaue, muß ich mir ihn vergegenwärtigen können, wie in eine Reihe mimischer Bewegungen. Hier ist also etwas durch die Sprache indirect zu leisten, was geradezu durch sie nicht geleistet werden kann, denn das Wort bleibt sich immer gleich, und das gilt auch von den Combinationen, der einzelne Satz bleibt sich immer gleich; das Wechselnde Schwebende der Gemüthszustände aber, dem sich die Sprache eigentlich widersetzt, soll daran manifestirt werden. Die Sprache ist nicht gemacht, die Bestimmtheit des einzelnen zu geben, aber der Dichter zwingt sie dazu, und daß er dies erzwingt, darin besteht seine Meisterschaft. Die Sprache besteht aus festen Elementen, sie kann das Wechselnde, Bewegte nicht darstellen. Dies also hat seine Beziehung auf die innere Veränderlichkeit des Seins; jenes auf die bestimmte Vereinzelung; beides liegt außerhalb der Sprache; beides hervorzubringen ist die Aufgabe des Dichters. Hier ist nicht von dem logischen Gehalt die Rede; dieser ist das, worauf die Sprache eigentlich eingerichtet ist. Und der Wohlklang: es ist | 78r nicht einerlei, woran dieser Wohlklang ist; ist er an einem logischen Gehalt, so ist sie an einem andern, aber nicht auf ihrem eigentlichen Gebiet. Bei der antiken Beredsamkeit ist eine Richtung auf Wohlklang, auf den einzelnen wie auf den rhythmischen; das ist das poetische Element daran, aber sie ist nicht selbst Poesie; das ist die abgelöste musikalische Richtung. Sind aber das zwei Momente, Richtung auf den Wohlklang, und Leistung von etwas durch die Sprache wozu die Sprache nicht eingerichtet ist und zwar ein zwiefaches; so ist das nicht ein getrenntes, sondern das Musikalische ist gerade das Verbindende. Der Wohlklang ist ein einzeln bestimmtes, und nur dadurch kann die Sprache die Richtung auf das Einzelne bekommen. Ebenso ist das Musikalische derselben vorschwebenden Mannichfaltigkeit fähig, desselben Wechsel; dadurch wird die Sprache fähig gebraucht zu werden als die unmittelbare Darstellung jenes veränderlichen in dem geistigen Sein. So entsteht uns hier mit der Einheit der specifischen poetischen Begeisterung (denn das innere Sprechen des Dichters versirt bloß in dieser Duplicität; von dem logischen Gehalt löst er das ganz ab) diese zwiefache Richtung der Poesie auf die reine Objectivität (plastische Poesie) oder auf die vollkommene Subjectivität (musikalische Poesie) und alle andern Eintheilungen müssen hierin aufgehn. | 78v Also die Poesie hat es in der Sprache nicht bloß mit dem Wohlklang sondern auch mit dem Ausdruck zu thun, Ausdruck in zwiefacher Hinsicht, wie angegeben, beiderlei Ausdruck aber vom logischen Gehalte getrennt. Die Sprache constituirt das Eigenthum des irdischen Menschenlebens. Nicht bloß das Denken, sondern auch die Willensthätigkeit in ihren großen Erfolgen ist davon abhängig. Wenn wir aber die angegebene Grenze betrachten, daß die Sprache nie das Einzelne giebt, sondern daß sie dagegen irrational ist, so ist sie auch eine Grenze der geistigen Function, sofern diese durch die Sprache vermittelt ist. Die Poesie wäre eine reine Erweiterung, eine neue Schöpfung in der Sprache. Aber die Möglichkeit hiezu liegt doch schon in der Sprache, und jeder Versuch der Art, über das logische hinaus zu erweitern, ist immer poetisch. Auf der objectiven und subjectiven Seite der Poesie geht man nur dem Dichter nach, und dadurch erhält man dort die bestimmten Bilder, und hier die Zustände. Nun erkennt man, warum die poetische Function so hoch gestellt ist, weil sie nämlich die Vollendung dessen ist, was das geistige Leben des Menschen ausdrückt. Denn alles geistige Leben, alle geistige Mittheilung hängt an der Sprache.

Nur ein Bedenken. Nach dem Gegensatze zwischen logischer Bedeutung und poetischer Richtung der Sprache wird man sagen, die Wissenschaften, die Wissenschaft der Principien mit eingeschlossen, beruhen auf dem logischen Gehalt der Sprache. Also ein Gegensatz zwischen Poesie und Wissenschaft. Wie stellt sich denn die Poesie gegen die einzelnen Wissenschaften? Da hat es von jeher poetische Productionen gegeben, welche den Gegensatz aufzuheben scheinen, Lehrgedichte.

Und wenn wir die Wissenschaft der Principien, die Philosophie, betrachten, so zeigt die Geschichte, daß die ersten Productionen hier poetisch waren, nicht bloß nach ihrer Form, sondern nach ihrem innern Character. Ja, in der orientalischen (indischen) Entwicklung ist gar kein Gegensatz zwischen Poesie und Philosophie, dort ist keine Philosophie die nicht poetisch wäre, | 79r und umgekehrt; beide haben einen symbolischen Character. Vielleicht wäre jener Gegensatz nur an den äußersten Enden. Wie sollen wir dies Verhältniß ansehn? Die abendländische Entwicklung ist allein die, die eine vollständige Geschichte hat. Dort ist jene Vereinigung nur ein Anfang. Fragen wir, wo ist Vollendung der Philosophie und der Poesie, so ist sie da, wo sich der relative Gegensatz vollkommen entwickelt hat. Und so können wir in jenem die orientalische Stabilität, Mangel an geschichtlicher Beweglichkeit, wo spätere Generationen von den früheren zehren, erkennen. Was übrig bleibt, ist daß wir den Gegensatz nicht als einen absoluten denken dürfen. Das lag aber auch nicht in unsrer ersten Anlage. Wir wollten nur eine Formel, in welche sich das Auseinandergehen von beiden aufnehmen ließe. Auch jede speculative Thätigkeit ist selbst freie Production in der Sprache. Aber die speculative hält den logischen Gehalt fest, die poetische das was Ausdruck ist in der Sprache, den Ausdruck der einzelnen Bestimmtheit. Noch etwas. Unsre Beschreibung der poetischen Sprache hat uns auf das Bild geführt. Wir halten uns zuerst an die objective Seite. Ihr sinnliches Bild ist etwas außer der Sprache. Ebenso auf der subjectiven Seite finden wir einen Ausdruck von etwas was sinnlich ist, mathematisch gedacht entweder (?) als discrete oder als concrete Größe. Das Speculative ist die Annäherung der Sprache an die mathematische Formel, das Poetische ist die Annäherung der Sprache an das Bild; die vollkommene Ausbildung von jenem ist die philosophische Ausbildung und Bestimmtheit der Sprache, und die vollkommene Ausbildung des letzten ist die poetische Ausbildung in ewiger Mannichfaltigkeit und Neuheit. Jene will die höchste Bestimmtheit, diese immer neu sein.

Ist aber nun in subjectiver und objectiver Poesie das ganze Gebiet derselben begriffen? Das eine, die Gemüthsbewegungen und -Stimmungen, sind ein schlechthin einzelnes, es ist der momentane Ausdruck eines aber ganzen einzelnen Lebens | 79v und so ist das Bild bestimmter. Also das bleibt, daß was die Poesie darzustellen hat, das Einzelne ist. Also die beiden Seiten verhalten sich wie Richtung auf die Außenwelt, und Richtung nach innen, die um so mehr hervortritt je mehr wir uns verschließen, beides in der Einzelnheit des Moments. So wir nun(?) aber sagen, das Einzelne ist der Ausdruck des ganzen Lebens, so ist es auch der Ausdruck des ganzen Geistes, wie er die Totalität in sich trägt. (Nicht Gegensatz zwischen allgemeinem und besonderem; dem Einzelnen steht die Totalität entgegen; dem allgemeinen das besondere). Wie ein Gemälde im Beleuchtungsverhältniß nur einen einzelnen Moment darstellt. Unsere Auffaßung ist nur die zeitliche Production des constanten Innern im bestimmten Bewußtsein von der Veranlaßung, im Zusammentreffen mit dem gegebenen Eindruck. So wie wir dies als ein Zusammengehöriges setzen, müssen wir sagen, das Einzelne, wie es durch die freie Thätigkeit entsteht, trägt ebenso(?) die Totalität des Geistes in sich, Totalität des Geistigen in Beziehung auf das Einzelne außer uns, Totalität der Beziehung des Geistigen auf unser Inneres, beides in seiner Einzelnheit das Ganze darstellend, so werden wir bestimmt scheiden, und sagen daß jede poetische Production gleich ist der gesammten Entwicklung der Wissenschaft (?), weil sie das Ganze einschließt im Einzelnen. Bleibt das fest, daß die Poesie in der Sprache nur produciren kann unter der Form des Einzelnen, nicht wie die Wissenschaft unter dem Gegensatz des Allgemeinen und Besonderen, so ist keine Form denkbar, was(?) die Poesie außerdem produciren könnte, und selbst das am meisten Phantastische muß unter einen von diesen beiden subsumirt werden können. Aber ein andres ist, ob sich diese | 80r Duplicität in den einzelnen Productionen so auseinander hält. Aber die Erscheinung bleibt immer irrational gegen die Construction, da jene, was diese unter der Form des Gegensatzes bestimmt, in Uebergängen vermittelt. Das einzeln Erscheinende subsumirt sich von einer construirten Theorie immer nur unter der nicht scharfen Form der Gruppirung des Verwandten.

Wenn wir die aufgestellte Duplicität gegen die alte Poesie halten, und gegen ihre dreifache Theilung, so entspricht unserer einen Seite der lyrische, und unsere andere dem dramatischen und epischen. Z.B. Pindars pythische Ode auf den Argonautenzug, hier ist die Form, die lyrische, von der einen Seite, der Stoff von der andern, wohin gehört es nun? Die modernen Romanzen und Balladen ähnlich; sie haben eine Tendenz zu musikalischer Begleitung und fordern sie gleichsam heraus, schon in der strophischen Form. In beiden Fällen ist aber der Stoff der Form untergeordnet; die pindarischen Oden sind vollkommen lyrisch, ebenso unsere Romanzen und Balladen. Wie weit geht denn diese Unterscheidung? Man wird sie in jedem Element finden. Wenn in einer pindarischen Ode ein Satz wäre, der in einem Argonautenzuge stehn könnte, so wäre er verfehlt. Umgekehrt in der epischen Poesie kommt vor, daß Gemüthsbewegungen dargestellt werden, aber diese Darstellung darf durchaus nicht so sein, daß sie eine Ähnlichkeit hätte mit einem lyrischen Satze, das Epische muß also hier hindurchgehn, die Charactere müssen bis in die einzelnen Elemente vollkommen durchgebildet sein. Im epischen wäre es eine Unvollkommenheit, wenn der Leser die Gestalten vergäße, und in die Identität der Gemüthsbewegungen versetzt würde. Im lyrischen ist es gar nicht die Absicht, daß die Figuren gesehn werden sollen, sondern nur die Thatsachen soll aufgefaßt haben. Nur daß uns dies weniger einleuchtet wegen gewißer Unterschiede des Antiken und Modernen. | 80v

Ein andrer Punct ist das Verhältniß der äußeren Sprachbehandlung im Gegensatz von gebundener und ungebundener Rede zur poetischen Thätigkeit und zu andern. Wie ist die Sache factisch? Wir finden den Gebrauch der gebundenen Rede oder des Sylbenmaaßes auch außerhalb der Poesie. Ein großer Theil der alten Epigramme sind wirkliche Über- oder Unterschriften, Notizen einer Thatsache, nichts was sich auf eine freie Productivität beziehen ließe, aber im Sylbenmaaße. So giebt es versus memoriales, in ihnen gebundene Rede ohne poetische Productivität. Auf der andern Seite giebt es Werke poetischer Thätigkeit, ohne gebundene Rede. Freilich im Alterthum selten. Die prosaischen Mythologen dort sind nicht mit Hesiodus und ähnlichen in eine Reihe zu stellen. Die sogenannten milesischen Fabeln sind schon Erzählungen in Prosa und von einem erdichteten Stoff. In neuerer Literatur ist das Gebiet der Gedichte ohne Sylbenmaaß sehr groß: unsere Romanenliteratur, viele dramatische Werke; Gessners Idyllen, etc. Da ist also ein Hinüberschweifen der Prosa ins poetische Gebiet, und ein Hinüberschweifen des Sylbenmaaßes in ein prosaisches Gebiet. Also ist die Verbindung nicht nothwendig. Ja, es ließe sich noch etwas sagen, was aber die am meisten Sachkenner sind nicht zugeben werden, was aber als Grenzpunct angeführt werden muß. Beim Sylbenmaaß denken wir nicht nur ein Verhältniß von Länge und Kürze, sondern auch eine Wiederkehr dieser Verhältnisse; auch in den alten Chören ist dies strophische nicht zu verkennen; aber die dithyrambische Poesie hat es nicht. Daher kann das letzte schon als ein Mittelglied zwischen Sylbenmaaß und Prosa angesehn werden von unserm Standpuncte, weil die strophische Wiederkehr fehlt; wenn auch nicht vom antiken Standpuncte. Hier sehen wir auch, wie die Vorstellung von dem Gegenstande nicht dieselbe ist. Klopstock, Göthe haben Gedichte gegeben ohne strophische Wiederkehr; aber unser Ohr ist gewöhnt sie zu suchen. Wie steht es nun um das Verhältniß zwischen dem Innern der Poesie und Sylbenmaaß? Es gab eine Zeit unserer dramatischen Literatur, wo man | 81r im Drama das Versmaaß unnatürlich fand. Im Alterthum gab es eine bedeutende Periode, wo alles Öffentliche das Sylbenmaaß nicht entbehren konnte. Worauf kann das beruht haben? Dies schließt sich an das, was vom Gebrauche des Sylbenmaaßes außerhalb der Poesie gesagt ist: Hülfe des Gedächtnißes, besonders wo wenig geschrieben wurde. Dabei wäre höchst einseitig, darin die Entstehung des Sylbenmaaßes zu suchen, oder zu sagen: das prosaische Drama sei vollkommner, weil dabei dem auswendig lernenden Schauspieler noch mehr zugemuthet werde. Nun wollen wir aber ein andres Element dazu nehmen. Wenn wir ausgehn von der musikalischen Seite der Poesie, so müssen wir sagen, hier war eine ursprüngliche Verbindung. Die Musik kann nicht bestehen ohne Takt; Einzelnes ohne Tact verschwimmendes kann nur als einzelne Ausnahme und vorübergehend vorkommen. Sobald also Rede und Musik verbunden sein sollen, tritt für die Rede die Nothwendigkeit des Sylbenmaaßes ein. Das gilt aber noch nicht für die strophische Wiederkehr. Aber wie, wenn wir nun denken an den epischen und dramatischen Theil der Poesie? Gehen wir von der musikalischen Poesie aus, und sagen, in der alten Tragödie sind die Chöre eine Hauptsache, und sie sind musikalisch, wenn dann der Dialog reine Prosa gewesen wäre, wäre der Gegensatz zu schroff gewesen, und das Sylbenmaaß habe sich auf den Dialog ausgedehnt. Wir haben Notizen, nur leider keine Fragmente, von den sogenannten Mimen die prosaisch und ohne Chor waren.

Wie wollen wir aber von hier aus das Sylbenmaaß in der epischen Poesie erklären? Wollte man sagen: auch der mündliche Vortrag erreicht leichter eine sichere Bestimmtheit und wird leichter für eine Menge vernehmlich durch das Sylbenmaaß, es ist auch eine Hülfe für den Sinn des Hörers. Warum wurde dasselbe nicht auch dem politischen Redner gestattet, der oft eine größere Versammlung vor sich hatte, als der epische Rhapsode? Freilich war anzunehmen, daß jener seine Rede erst producirte. So scheint es also, | 81v daß die Verbindung der Poesie und Musik nicht kann der einzige Grund sein, wodurch das Sylbenmaaß sich realisirte. In unserer Operette wechseln prosaischer Dialog und Musik, und es beleidigt uns nicht. Giebt es einen inneren Zusammenhang und Grund, warum wissenschaftliche und Geschäftssprache in ungebundener Rede spricht, und warum die freie Productivität die gebundene Rede sucht? Wir müßten uns über den Gegensatz stellen können. Giebt es etwas in der Sprache, was über dem Gegensatz von Poesie und Prosa steht? Diese Frage führt auf die Aufgabe, den Gegensatz durch Uebergänge zu vermitteln, daß wir eine Reihe bilden könnten, welche Endpuncte darbietet; diese würden den Gegensatz in sich schließen.

Hier müssen wir festhalten als das Gemeinschaftliche, daß die Sprache aus articulirten Tönen besteht, aus Zusammensetzung von Sylben. Wenn wir dies betrachten, wie es für das Ohr heraustritt, können wir denken eine Tonlosigkeit, wo die Sylben nicht unterschieden sind; da ist der Rhythmus Null, ebenso wenig ein prosaischer Rhythmus als Sylbenmaaß. Denkt man sich dies Extrem, so erkennt man eine Unangemessenheit der Sprache für logischen und geschäftlichen Gehalt. Denn im Sprechen ist immer ein Gegensatz zwischen Hauptpuncten und Nebenpuncten; deutet das Sprechen diesen nicht an, so ist eine Disharmonie zwischen Gedanke und Ton. Dies Misverhältniß kann nirgends angemessen sein. Da haben wir also einen Endpunct auf der einen Seite. So wie nun in ein solches Chaos einige Ordnung (Ausdruck) hineinkommt, so tritt die Rede in Gegensatz von Accent und Accentlosigkeit, von Arsis und Thesis, und dies findet sich dann im einzelnen Wort, wo Kern und Nebenbestimmung sich so auszeichnen, und im Satz. Dies schließt sich an die logische Construction der Sprache, trägt nichts in sich als die Beziehung auf die Natur des Satzes. Betrachtet man nun das Sylbenmaaß in seiner höchsten Ausbildung | 82r eine Opposition gegen jene Differenz die sich rein auf den logischen Gehalt bezieht, denn vollkommenes Sylbenmaaß nimmt von dem logischen Werth der einzelnen Glieder oder Sylben gar keine Notiz; eine Vorsatzsylbe, eine Endung kann eine vollständige Länge sein, und der Wortstamm eine Kürze. Also da ist ein anderes Princip. Wie kommt das in die Darstellung der Rede hinein? Können wir das erklären als eine Steigerung der Tonlosigkeit zum logischen Accent? Doch wohl nicht. Da hier ein Gegensatz ist zwischen beiden, läßt es sich nicht als Steigerung erklären. Verhält sich aber in dieser Beziehung das Sylbenmaaß überall gleich? Bildet die Entwicklung des Sylbenmaaßes immer ein Gegensatz zu der Entwicklung des Accents und Rhythmus als eines logischen und grammatischen? So wie wir hier nur sagen: es ist wohl möglich, daß in verschiedenen Sprachen dies nicht ganz dasselbe sei, so muß dies Verhältniß Einfluß haben auf das Gebiet der gebundenen und ungebundenen Rede. Wo vollkommener Gegensatz ist, darf das Hinübergreifen der Prosa in die Poesie nur geringer sein. Und umgekehrt, wo weniger, kann die Poesie ungebundene Rede eher aufnehmen. In den antiken Sprachen ist der Gegensatz sehr vollständig; uns hingegen wird es schwer, wenn wir im Vortrage der antiken Poesie diesen Gegensatz ausdrücken, und neben dem Sylbenmaaaße auch den Accent geltend machen sollen, weil bei uns beides nicht einen so vollkommenen Gegensatz bildet. Daher konnte sich auch in der modernen Poesie die Prosa mehr geltend machen. Nur ist dabei schon vorausgesetzt, daß der eigentliche Ort des Sylbenmaaßes die Poesie sei. Also kommen wir auf unsere allgemeine Frage zurück. Bei der Entscheidung der Frage ist von jeher viel Prävention gewesen. Eine Theorie der Kunst kann immer nur auf sie folgen. Aristoteles ist auch gewiß sehr davon penetrirt gewesen; er hat auch nicht der | 82v Kunst Gesetze geben wollen, sondern nach den Werken der Meister deren Methode zu beschreiben. Auch hat er nie über das Gebiet ger griechischen Sprache hinausgehen wollen. Die Poesie entsteht(?) überall auf(?) einem ursprünglichen Boden eigenthümlich wo eine Völkergemeinschaft. Zwar haben wir nicht viele Beispiele. Die römische Poesie ist freilich als Nachahmung der griechischen entstanden. Aber im Orient überall die eigenthümliche Gestaltung. Die europäische Poesie ist auch neben(?) Bekanntschaft mit der alten Poesie entstanden, aber sie hat sich nicht daran gebunden. Es kann also hier sehr wenig allgemeines geben. Es muß sich wieder specialisiren nach dem Entwicklungsgange. Es ist eine Thorheit zu streiten, ob z.B. der Reim zulässig sei oder nicht. Also was können wir hier noch sagen über die Entwicklung der Poesie? Es kommt immer nur darauf an, den Gang den sie in einem Volke genommen hat zu verstehen. Dabei ist das schwerste, wenn eine Literatur nicht rein eigenthümlich ist. Die Franzosen haben hie und da antike Sylbenmaaße nachgeahmt, aber es ist in ihrer Literatur nicht geblieben. Am schwierigsten ist unsere deutsche Literatur. Wir haben eine alte Poesie, die so gut als verschollen war. Wir haben eine neue Literatur, als Imitation einerseits des Antiken, und andrerseits des Englischen und Französischen. Das hat seine guten Gründe in der ganzen volksthümlichen Anlage.

Wir wollen von unsern festgestellten Elementen ausgehn. Wir sind dabei zuletzt bei einem Unbestimmten stehn geblieben. Wir haben zugegeben, es giebt Gebrauch des Sylbenmaaßes ohne poetische Productivität, und diese ohne jenes. Aber das sind nur Grenzgebiete. Wir könnten von da aus Reihen ziehn. Wir könnten aufsuchen ein Minimum poetischer Productivität. Ebenso eine poetische Productivität ohne Sylbenmaaß. Wenn wir nun fragen, was ist jenes Minimum? das ist das Epigramm, eine Notiz im Sylbenmaaß. Die Richtung auf den Wohlklang ist wesentlich auch dabei. Das andre Moment ist ebenfalls dabei. Aber es ist eigentlich kein Gegenstand da. Und da | 83r sehen wir gewissermaßen isolirt, was die Poesie an der Sprache thut. Doch kann sich der poetische Character dabei manifestiren. Es giebt also auch hier eine Auffaßungsweise, welche sich der musikalischen Seite nähert, nämlich wo die Empfindung vorwaltet. In ein und derselben kleinsten Gattung finden wir also hier die beiden Momente. Wenn wir die Sache von der Seite des Sylbenmaaßes weiter verfolgen, so haben wir einen Gegensatz, der fließend ist, aber sich doch in der That sehr bestimmt absetzt: Die epischen Sylbenmaaße kurz, meist ein-, höchstens zweizeilig; die musikalischen zusammengesetztere Strophen. Liegt das in der Sache, oder ist es zufällig? Ariost, Tasso freilich liegen auf der objectiven Seite, aber die achtzeilige Stanze ist ein sehr zusammengesetztes Sylbenmaaß. In der modernen Poesie aber ist die reine Objectivität nicht so gehalten, als in der alten, sondern hat eine Richtung auf das Musikalische, welche auch das Sylbenmaaß gestaltet. Wollte man einwenden, daß Klopstocks Messias wenigstens eine so starke Hinneigung auf das Musikalische habe der Sache nach als Tasso, so muß man sagen, daß er gerade in der Nachahmung der antiken Sylbenmaaße befangen war. So kann die Theorie ihre Gesichtspuncte sehr zusammensetzen, aber daran zeigt sich gerade, wie übel es um ihre Gesetzgebung steht, denn sie kann doch nicht beschuldigen, wenn ein Dichter hier Willkühr übt. Ganz anders, wenn man fragt, ob nicht ein Gedicht viel volksthümlicher würde geworden sein. Aber wenn wir die Zeit der Messiade betrachten, so finden wir, es war keine bildende Periode, hätte das Antike nicht geherrscht, so würde vielleicht noch das Französische geherrscht haben.

Wir wollen nur behaupten, die objective Poesie, die unter der Form der Wahrnehmung producirt, hat eine überwiegende Richtung auf kürzere Sylbenmaaße; die subjective Poesie, welche in Gedankenreihen innere Zustände darstellt, | 83v liebt längere. Die epische Poesie war bei den Alten entstanden zu einer Zeit, wo noch das Schreiben schwierig und selten war, mußte also das Gedächtniß berücksichtigen. Die musikalische Poesie wurde überwiegend mit Rücksicht auf große Volksfeste, also meist musikalische, orchestrische Begleitung voraussetzend. Die moderne Poesie hat nur eine Gattung, die sich damit parallelisiren ließe, das Kirchenlied. Sonst geht die lyrische Poesie aus vom Einzelnen, vom Leben, und das Zusammensein mit Musik ist etwas relativ zufälliges. Die große Masse unserer lyrischen Poesie ist von der Musik getrennt. Unsere objective Poesie steht nicht mehr unter jener Schwierigkeit des Schreibens, sie konnte daher einen andern Character annehmen. Im Homer sagt einer: Geh hin und bestelle dem dies und das, und dann bestellt der, und alles kommt [in] denselben Worten wieder aus dessen Munde. Das ist etwas durch das Rechnen aufs Gedächtniß entstandenes; es ist wunderlich, dgl. nachzuahmen unter der Voraussetzung daß hier alles Zufälligste zu allgemeinen Gesetzen tauge. Große metrische Massen würden in unserer Poesie nicht ursprünglich sein, nicht als ob wir das Ohr nicht hätten wie die Alten; es fehlt uns an den Erleichterungen, welche wir uns nicht so herbeischaffen können. – So steht es auch mit dem zweiten, mit dem Verhältniß zwischen QuantitätsMessung, und dem was logisch und grammatisch ist. Die Abstufung läßt sich ziemlich verfolgen. Bei den Alten war die Quantität das überwiegende. Doch war das andere nicht verloren. Aber indem die beweglichere Sprache dem Gesange näher war, so war noch eine Differenz mehr darin. Bei uns müssen sich jene Elemente ausgleichen. Wir müssen nothwendig andere Regeln haben als die Alten. Uebertreibt man dabei nach dem Antiken hin, so geht viel verloren. Das ist Voss' Fehler, die Übertreibung, welche viele seiner Uebersetzungen unzugänglich gemacht hat.

Aber wie steht es nun mit den Dichtungsarten, die das Sylbenmaaß | 84r wieder verlassen. Bei den Alten sind es untergeordnete Werke aus Zeiten des Verfalls. Nicht so bei uns. Aber worin hat die Differenz ihren Grund. Daß es bei uns Compositionen gibt, wo Prosa und Poesie gemischt sind, müssen wir hinzu nehmen. Davon wußten die Alten nichts. Ist es darum etwas Verkehrtes? Das würde doch wohl sehr unrichtig sein. Wir müssen auf die Behandlung der Gegenstände gehen. In einer dramatischen Einheit sind immer sehr erregte Momente, hinter Einleitungen dazu mit Richtung darauf. Da erscheint das Sylbenmaaß von selbst. Denken wir uns ein ganzes menschliches Leben dargestellt, wie in unsern Romanen, da muß eine große Mannichfaltigkeit sein. Diese muß sich doch auch in der Sprache herausheben, um die mehr betrachtenden und die concipirten Momente zu scheiden. Finden wir dgl. in unserem Drama, so müssen wir es damit vergleichen, mit der Tragödie, mit dem tragischen Trimeter dem kurzen epischen Sylbenmaaß zu vergleichen (in dem Sinn wie hier gesagt ist, „denn das weiß ich wohl daß ich würde gewaltig ausgelacht werden, wenn einer auf mein Conto erzählte ich hätte den Trimeter für ein episches Sylbenmaaß erklärt“) und mit den zusammengesetzteren. Das eigenthümliche Verhältniß jeder Sprache liegt hier theils im Verhältniß von Quantität und Betonung theils in ihrer Ausbildung unter Einfluß fremder Kunstentwicklung. Es giebt verschiedene Verhältnisse der Abstoßung, oder der Capacität und Assimilation der einen Sprachen gegen die andern. Ist letzteres verbunden mit Nichtentwicklung der Nationalität, so leidet diese. Wenn dies nicht, so ist jede Receptivität gegen fremde Kunstformen immer eine Erweiterung. Das wäre die eine Reihe. Nun zweitens von jenem Minimum des Epigramms aus entwickeln sich eine epische und eine lyrische Reihe von Productionen. Wollten wir dies aus der metrischen Form des Epigramms selbst ableiten so möchte sich das gar nicht durchführen lassen. So wie wir eine Einheit haben, welche | 84v auch schon im Gebiet des Epigrammes ein wiederholbares ist, wie das Distichon, so erkennen wir das Strophische. Dies entwickelt sich erweiternd nach der lyrischen Seite, umgekehrt nach der epischen, in eine Duplicität. Der Reim ist national in der deutschen Literatur; daneben besteht im Deutschen ein System von Nachbildung des Antiken und des Romanischen. Wir sind begrenzt in der ersten Beziehung durch den Unterschied des Verhältnisses des grammatischen und musikalischen Verhältnisses. Wir können viel eher die Canzone nachbilden, als die großen Formen der antiken Chöre.

Wenn wir noch das Verhältniß zwischen der antiken und modernen epischen Poesie vergleichen, so ist in der letzten eine Neigung zum musikalischen, welche in jener nicht. Darum ist hier eine Annäherung an die lyrischen Formen gestattet. Hier ein Gegensatz, aber ein fließender, nur in überwiegenden Richtungen. Wenn man die Structuren der so sehr vielfältigen lyrischen Sylbenmaaße betrachtet, so ist es unmöglich sie auf ein System zurückzuführen; man muß sie als positiv und willkührlich annehmen; es ist das die immer wiederkehrende Irrationalität des einzelnen bestimmten auch zu dem nächsten Begriffe, den man aufstellen kann. Z.B. im Sonnet ist eine Duplicität die ein Ganzes construirt. Wäre das etwas Wesentliches und Construirbares, so müßten sich Gegenstände nachweisen laßen, die nur dazu paßten. Aber es giebt nichts Lyrisches was sich nicht so behandeln ließe. Es gilt nicht einmal, daß der Gegenstand ganz hineingehn muß in ein Sonnet, sondern es kann schöne poetische Ganze geben in Reihen von Sonneten. Das einzige was man sagen könnte ist daß es lyrische Formen giebt, welche Rückgänge bilden in das Epigrammatische hinein. Nur eine Frage noch. Diese metrischen Typen gehen fast immer über die geschichtliche Zeit der Sprache hinaus; die Geschichte eines Gegenstandes wird nicht eher aufgefaßt, bis er einen Grad constanter Bildung hat. Diese Typen erscheinen | 85r überwiegend als geworden. Später aber, findet man auch, werden metrische Typen gemacht. Wenn wir uns denken, es ist in einer Sprache eine Mannichfaltigkeit von metrischen Typen gegeben, woher kann ein Reiz entstehen etwas Neues, willkührlich zu machen? Nach beiden Seiten haben wir den Fall im Deutschen. In Klopstockschen Oden herrscht vor die Nachbildung der griechischen und römischen Sylbenmaaße, aber Klopstock hat eine Menge neue nachgebildet. Ebenso den romanischen verwandte. Jene neuen Klopstockschen haben sich verloren und werden nicht weiter gepflegt. Anders die den romanischen verwandten. Der Grund scheint doch darin zu liegen, daß sie sich mehr an unsere ursprüngliche nationale Poesie anschließen. Wir müssen uns denken in einer lebendigen Sprache die metrische Productivität in lebendiger Entwicklung, und es ist wie mit allem Leben: da ist Wachsthum, aber nicht gleichmäßig, sondern es giebt EntwicklungsKnoten, nach welchen schnelleres Wachsthum ist, worauf dann wieder mehr Ruhe folgt. Außerdem tritt eine akme der Entwicklung ein. Darunter läßt sich doch auch wohl die Geschichte einer Sprache subsumiren. Die ältesten Typen sind die Resultate der ersten Entwicklung. Auf diese folgen andere. Und so lange dies ohne Einfluß eines andern Volks geschieht, nennen wir dies nationale. Tritt nun die Zeit eines allgemeinen Kunstverkehrs ein, so wirkt dies als Incitament auf die noch bewegliche Sprache, das sind dann Nachbildungen des Fremden, nicht Wirkungen einer fremden Kraft, sondern aus der eignen Beweglichkeit der Sprache, jedoch mit dem Fremden als coefficienten. Es wird niemand entgehn können, daß ein aufgenommenes fremdes Sylbenmaaß immer etwas anderes wird. Der Klopstocksche und der Kleistsche Hexameter sind dgl.; ein späterer Herausgeber hat den Kleistschen Frühling so herausgegeben, daß er seine Hexameter mit einem Vorschlag in zwei Theile getheilt hat; auch Klopstock, hat man später gefunden, | 85v sei noch weit vom rechten Hexameter. Der Vossische Hexameter ist dann wohl das Maximum der Identität mit dem Griechischen, was unsere Sprache erreichen kann. Aber hier ist in dem Streben danach so viel am Grundcharacter unserer Sprache modificirt, daß die Popularität des Vossischen Hexameter eine sehr beschränkte geworden ist. Der Göthesche Hexameter erreicht ihn lange nicht in Annäherung an das Antike; aber weil er weniger vom Grundcharacter der deutschen Sprache Preis giebt, hat er mehr Popularität, und nicht bloß durch den dichterischen Inhalt. Was für einen Werth hat nun Erfindung neuer Sylbenmaaße? Das Aufnehmen der fremden war auch ein Erfinden, und wollte man das Erfinden verbieten und zurückgehn, so würde man keine Grenze finden. Die Beweglichkeit der Sprache in der metrischen Productivität repräsentirt sehr wesentlich ihr Leben. Zeigt sich nichts mehr der Art, so fängt schon die Erstarrung, der Marasmus senilis an. Hat sich eine Sprache lange in denselben Formen bewegt, so ist dies ein Zeichen davon. Aber man darf die Hoffnung nicht aufgeben, daß nicht doch noch ein EntwicklungsKnoten aufgehn könne. Davon haben wir jetzt an der französischen Sprache ein auffallendes Beispiel. Man hat sie lange bei uns proscribirt, gezweifelt, ob da überhaupt Poesie sei und nicht etwa bloß Rhetorik welche ins Metrische hinüberschweife. Jetzt geht ein EntwicklungsKnoten auf, sie tritt in den allgemeinen Kunstverkehr, eignet sich englische und deutsche Poesie an, und hat die alte unbewegliche französische Maske abgelegt; nun zeigt sich neues Leben plötzlich, und neue Eigenthümlichkeit. Das geht von Einzelnen aus; aber soll das Werk Einzelner allgemein wirken so muß es vortrefflich sein, und das Vortreffliche bedarf einer großen Unterlage, eine Vorbereitung durch die Entwicklung des ganzen Volkes. | 86r

Wir haben auszugehen von zwei anscheinend von einander sehr entlegenen Puncten. Wir haben festgehalten, daß die Productivität der Poesie sich auch unter der Form des Einzelnen manifestire, des Einzelnen für sich und des Einzelnen im Zusammensein. Dem Menschlichen ist dabei alles untergeordnet. Vorher sagten wir dann: es giebt ein Minimum poetischer Productivität, wo das Kunstwerk noch einem andern Dinge zu einem Zwecke anhaftet. Der Gegenstand ist dann immer eine Thatsache aus menschlichem Leben. Das wäre ein Minimum in Beziehung auf den Inhalt. Der andre Punct ist der: so wie hier die  korr. v. Hg. aus: PunctPoesie anfängt mit einer Angehörigkeit ans practische Leben, so hat sie eine andere Richtung gegen das Speculative und Philosophische, als ein ursprüngliches, in zwei Formen:

es giebt Völker, die nie zwischen Speculation und Poesie geschieden haben, und in dem Sinn, daß ihre Poesie immer bloß Gegenstände der Speculation enthielt. So in der indischen Literatur. Für uns sind die Resultate dieser Operation nicht befriedigend: uns wird es immer am natürlichsten sein die Sache so anzusehn: die poetische Form hat so viel Gewalt gehabt, daß sie die Speculation aufgeregt hat, und so sind es einzelne Formen, in denen sich die ganze Wahrheit des Seins und des Denkens abbilden soll. Wir werden sagen, günstiger habe sichs gerade im Griechischen gestaltet, wo dies geschieden sei. Die poetische Productivität verläßt dann aber auch bei der Scheidung die  korr. v. Hg. aus: poetischen speculativen Gegenstände immer mehr, und hält sich an das Einzelne. So ist unsere Art, die Sache anzusehn; immerhin auch die richtige; aber wenigstens der orientalischen Menschheit müßte diese Ansicht fremd bleiben. Nun könnte man gleich fragen: so wie wir uns dies denken als erste Productivität der Poesie, so können wir wohl nach der Scheidung gleich zwei Formen scheiden. Im Homer ist das Speculative auch gesetzt; sie sind gleichsam Amphibien, einerseits Principien Methoden des geistigen Daseins und Wirkens darstellend, andrerseits | 86v wie einzeln in der Wirklichkeit. Bei den physiologischen Dichtern, wie Empedokles, wovon freilich nicht viel übrig, werden die Principien dargestellt; aber mit rein speculativem Gehalt kommt man in die epische Form hinein. Verschwindet der speculative Gehalt so bleibe dann das rein Epische. In der Odyssee tritt die Analogie mit dem Menschlichen schon mehr heraus. Im Hesiod das Principienartige mehr in seinem Fürsichsein, von dem epischen Gebiete gesondert. Es ist oft so schwer zu entscheiden, ob das Epische nur Form des getrennt gedachten speculativen Gehaltes ist, oder ob beides im Geiste des Dichters noch zusammen liegt. Geht die Trennung auch in die Form über, wie in den 4 Elementen des Empedokles, so bildet sich dann da heraus die Prosa. Also aus beiden erst entsteht Selbstständigkeit der Poesie, aus einer Poesie als Kunstform an Practisches sich lehnend, und aus Poesie zusammen mit dem speculativen Gehalt. Die Entdeckung muß gemacht werden, von der Unzugehörigkeit von Speculation und poetischer Form, und die Poesie einziehen in ihr eigenthümliches Gebiet der Darstellung des Menschen und des Einzelnen.

In der ganzen alten Entwicklungsperiode ist die Poesie aber nie feindlich isolirt herausgetreten; sondern wie sie von der einen Seite die Selbstständigkeit gewonnen hat, ist sie von der andern wieder mit andern Künsten in Verbindung gekommen. Sie ist wie aus einer Hand in die andere gegangen. Die homerischen Gedichte haben sich ursprünglich erhalten durch die Recitation. Das ist schon eine Verbindung der Poesie mit der Mimik, nicht einmal die Sprachmimik allein, sondern auch die Geberdenmimik, nach Platons Ion. Betrachtet man analoge spätere Productionen wie die der Alexandriner, nun da ist die Mimik davon, sie sind für Leser gemacht. Aber da sind wir auch schon im Verfall des Antiken und Übergang zum | 87r Modernen. Die alten philosophischen Gedichte sind wohl nie recitirt, sondern für Leser. Aber damals hing die Poesie noch an der speculativen Richtung und hatte innerlich noch nicht ihre Selbstständigkeit.

Im Epigramm, unserm andern Anfangspuncte, ist die Poesie im Dienst des practischen Lebens, aber nicht im Dienst einer andern Kunst. Wenn wir nun die Duplicität des Epigramms, Richtung zum Lyrischen und zum Epischen, und man denkt sich das Fortschreiten, so werden wir sagen müssen, wenn die Richtung zum Lyrischen Oberhand gewinnt, bleibt die Form in sehr enge Grenzen eingeschlossen; sie muß diese verlassen; die lyrischen Formen gehen an, aber gleich auch die Verbindung mit der Musik. Nun entwickelt sich also die Poesie fortschreitend in Verbindung mit der Musik als Lyrik, und in Verbindung mit der Mimik als Epik, aber wir können dies nur festhalten, wenn wir in der ersten ursprünglichen Periode bleiben. Aber hier tritt uns gleich Dieses(?) entgegen. Der Maler kann seinen Stoff nehmen aus der Poesie. Eine Reihe von Gemälden für ein episches Gedicht, und dies Gedicht daneben, da entsteht eine lebendigere Auffaßung. Dergleichen findet sich sehr viel, wenn gleich häufig nur in sehr niedrigen Regionen der Kunst, daß Poesie durch Gemälde, und außerdem Mimik veranschaulicht wird, so ist da schon der Übergang ins Dramatische. Im Epos ist immer ein großes öffentliches Leben dargestellt, kommen große Massen vor. Das leidet keine rein dramatische Darstellung, weil die Massen in ihrer Wahrheit nicht können gegeben werden. Aber die Massen sollen sich zurückziehn in einem kleinern Umfang, in diesem eine Art Gegensatz bilden gegen die Einzelnen, so daß die Handlung unter den Einzelnen versirt, und so daß die musikalische Richtung in der Masse ist, so erhält man damit das griechische Drama, aber es bleibt die Poesie in Verbindung mit der Mimik. Nun mögen die Gemälde auch nicht ganz | 87v aufgegeben werden zu wenigstens leblosen Umgebungen, so hat man die Decoration, und so die ganze dramatische Darstellung, Verbindung der Poesie mit Musik Mimik und Malerei. Die moderne Poesie drückt aber hier einen Gegensatz aus, den wir aber auf diese Weise noch nicht gefunden haben. Das Lyrische für sich erscheint als dem öffentlichen Leben angehörig, also an einem Andern, welches in gewissen Sinn ein Kunstwerk, in gewissem Sinn ein Moment des practischen Lebens war. So ist es in Volksfesten, religiösen und politischen; so Pindar. Aber lassen wir den geschichtlichen Zusammenhang fahren, so steht damit rein parallel unsere lyrische Poesie beim Gottesdienst. Jede festliche Versammlung ist ein Kunstwerk; das ethische Princip des Zusammenlebens, wodurch das Volk zusammenhängt, erscheint im Einzelnen, wird freie Production, eine Subsumtion unter die Kunst; je besser organisirt, desto besser wird es dieser Forderung entsprechen. Aber da müssen dann auch alle einzelnen Elemente sich unter die Kunst subsumiren lassen. Da ist denn auch das Zusammenwirken der Künste. Hier haben wir also überall die Poesie nur in Verbindung mit andern Künsten, und ein isolirtes Bestehn verschwindet. In der modernen Poesie aber zeigt sich nun gerade das umgekehrte, ausgenommen in der dramatischen. Welches ist das Princip dieses Unterschiedes? Darin muß der Schlüssel des wesentlichen Unterschiedes zwischen moderner und antiker Poesie liegen, und das Gemeinschaftliche muß das Wesentliche aller Poesie sein.

Selbst die dramatische Form, welche eigentlich (?) an anderer Künste Zusammenwirken gewiesen ist, besteht in der neuern Poesie rein für sich. Die Entwicklung der neuern Poesie ist einmal mehr ausgegangen von der allgemeinen Voraussetzung des Lesens, also des einzelnen Gebrauches, und dann ausgegangen von Einzelnen, | 88r nicht aus einem großen öffentlichen Leben. Wir finden diese Differenz schon hoch hinauf, denn sie ist das vorherrschende schon in der Reproduction der griechischen Poesie bei den Alexandrinern, nach dem Verfall des hellenischen Lebens, als das Hofleben und das große Auseinandergehen unter Alexanders Nachfolgern schon anfing. Aber der unmittelbare Zusammenhang mit den Gegenständen, und die Form durch die Öffentlichkeit der Volksfeste hatte aufgehört. Da mußten neue Gattungen, oder Nachbildungen der Alten, mit bedeutenden Abweichungen entstehen. Wir finden beides in jener Zeit. Die Idylle ist der Übergang aus dem Epischen in das Dramatische ohne eine Beziehung auf dramatische Darstellung, ohne daß darauf gerechnet war. Die Nachbildungen waren theils in der epischen, theils in der dramatischen Form. aber nicht mehr im alten Gegensatz zwischen Tragödie und Komödie, sondern in der neuern Komödie, welche nun eben nicht mehr mit öffentlichen Gegenständen, sondern mit dem Innern des Privatlebens zu thun hat. In der neuern Poesie ist auch ein Anfang wie die homerische Zeit, mit Vermischung des Historischen und Mythischen, von der Edda bis auf die Nibelungen. Im Mittelalter sondert sichs wieder. In jenem aber findet sich jene Vermischung von Zeiten und Personen aus verschiedenen Zeiten also fingirte Verhältnisse mit Anklängen aus Wirklichem; das ist dem homerischen analog. Nachher eine allgemeine Weltbegebenheit, welche verschiedenste Völker einander näher brachte, die Kreuzzüge, zugleich ein neuer historischer Stoff. Daneben das Ritterthum, eine Art von öffentlichem Leben in der Form des Privatlebens, eine Existenz welche über ein Volk hinausging, in mehreren Völkern dasselbe war, einen Typus einschloß, der sich sehr dazu hergab, poetisch in einer Reinheit darge | 88v stellt zu werden, welche sich in der Wirklichkeit nicht fand. Nun begann aber jene Spaltung der höhern Welt, welche sich an die Höfe anschloß, und der Masse. Und die Poesie war überwiegend an jene gewiesen. Nun entstand dies Dichten für das Auge, für kleinere gesellschaftliche Kreise. Stand dem etwas gegenüber? Ein Volksleben war damals nur das religiöse; wäre darin damals eine freie Poesie möglich gewesen, so würden wir hier eine sehr würdige lyrische Poesie erhalten haben. Aber die Uniformität der römischen Kirche beengte diese Entwicklung zu sehr. Doch blieben immer noch Reste von Volkspoesie, zwischen Historischem und Mythischen schwebend. Also aus der Veränderung der Lebensweise pp wurde die Poesie an die höhern Kreise, und hier an ein Privatleben, wenn auch ein höheres, gewiesen. Hier hörte also die Vereinigung der Poesie mit andern Künsten auf, und sie blieb nur an jenen Resten der Volkspoesie, woraus einerseits der KirchenGesang, und andererseits kleine lyrische Formen, Tanzweisen mit Text welches der Ursprung der Ballade ist, und dergleichen; außerdem dramatische Werke in Beziehung auf die Passionszeit in sehr roher Form.

Fragen wir hier nach der Verschiedenheit der Völker. Die Italiener zeichneten sich aus durch eine ins Lyrische hinüberspielende epische Poesie, besonders mit Beziehung auf die Kreuzzüge. Ähnlich bei den Spaniern. Bei den Engländern hebt sich später die dramatische Poesie hervor, und ergreift die Geschichte des Volks, freilich zur Zeit einer schon sehr hervorgetretenen ritterlichen Aristokratie; hier ist eine | 89r Verbindung des Epischen und Dramatischen, wie in den zusammenhängenden Reihen shakespearescher Dramen (auch innerhalb der Einzelnen Ernst Henke ). Dies ging aber von den Großen aus, würde im Volksleben anders entstanden sein, hier waren die Stoffe zur Komödie; in Shakespeare als dem Gipfel von beiden ist das Zusammenfließen von beiden; seine Komödie ruht auch meist auf Novellen, auf traditionellem Stoff, und umgekehrt ins(?) tragische Epos die komischen Elemente gemischt. Wollten wir sagen das sei eine Weissagung gewesen auf das spätere Eindringen des demokratischen Elements in das aristokratische, so könnte das sehr sonderbar klingen, aber die Sache bestätigt es doch. In Frankreich war die Entwicklung ganz an das Hofleben gebunden. Diese sogenannte klassische Poesie der Franzosen ist im Wesentlichen Nachahmung der antiken Tragödie, welche auf uns oft einen komischen Eindruck macht, weil wir die antike Tragödie kennen, und sie nun hier wieder finden, aber mit modernem Geist und modernen Formen. Aber dies hielt(?) sich an die Form der Dinge, an das was den Monarchischen am nächsten war. In der lyrischen Poesie sehr wenig Quantitätsdifferenz, mehr nur Sylbenzählung, nicht Messung, Rhythmus nur am Anfang und Ende der Zeilen wahrnehmbar. Aber in dieser Beschränkung eine Mannichfaltigkeit von Formen, alle aber vom einzelnen Leben ausgehend, Zustände des Einzellebens darstellend, ohne alle Beziehung auf Vereinigung mit andern. Hier ein ähnliches weit verbreitetes in der italienischen Poesie, nämlich die erotische | 89v Poesie, welche neuerlich einen so großen Raum auf dem Gebiet der musikalischen Poesie einnimmt, so daß es sich fast ganz in religiöse und erotische Poesie spaltet, und alles übrige fast Ausnahme ist. Es kommt auch wohl in der antiken Poesie hervor, aber lange nicht so hervortretend. In dem selben Maaße aber, als die Poesie sich an ein öffentliches Leben anschließt, tritt dies Element zurück, weil es sich doch immer nur endigt in bloßen Scherz(?), ich verstehe hierunter nur den vorübergehenden Gemüthszustand, oder in die Begründung des Privatlebens. Hier finden wir die Richtung auf das öffentliche Leben ganz auf das religiöse hingewandt, weil im Politischen das Volksmäßige zurücktrat, und die vom Einzelnleben ausgehende Poesie überwiegend erotisch. Auffallend, daß diese anscheinend so widerstreitenden Richtungen sich auch wieder verflochten haben, daß das Erotische gesteigert wurde bis zur christlichen Heiligkeit, und daß das Religiöse sich steigerte bis zu einer erotischen Darstellung des Verhältnisses der Einzelnen zu den Quellen ihres religiösen Gefühls, zu Christo und den Heiligen der römischen Kirche. Wollten wir hierin nicht erkennen diese Richtung der Vereinigung der beiden, so würden wir die Thatsache nicht richtig beurtheilen. Was ist denn hier das Original? Nicht die ursprünglich erotische oder religiöse Erregung, sondern beides war hier die poetische Erfindung, die nachher Wahrheit wurde. Dies spielt an eine Aufgabe die uns noch übrig ist, eine sehr wichtige Frage, wie sich das Innere des Dichters, sein inneres Urbild, das Ursprüngliche der Poesie, verhält, so | 90r fern es Productivität unter der Form des Einzelnen ist, zu der Wirklichkeit, d.h. zu dem was wir überwiegend unter der Potenz des äußern Eindruckes in uns bilden, und zu dem was man ideal nennt, wo man meint Gleichstellung des Einzelnen mit dem was man sich als das Maximum des ethischen Werthes zu denken geneigt ist. Das ist eine Differenz nicht bloß in der Theorie, sondern welche noch den Geschmack theilt, und die Poesie wie in verschiedene Religionen zu theilen scheint, so daß der Gegensatz nicht identisch ist mit dem zwischen Tragischem und Komischem, es ist nicht das Einzelne in seiner Nichtigkeit, sondern es fragt sich, wie das Allgemeine im Einzelnen darzustellen sei, und so wie dies nie ein Einzelnes werden kann. So haben wir uns auch hier wieder Endpuncte festzustellen, und danach eine Reihe zu bestimmen.

Wir gehen davon aus was das Specifische ist in der poetischen Begeisterung. Es ist die freie Productivität in der Form der Vorstellung, also in der wesentlichsten Verbindung mit der Sprache. Was qualificirt sich für ein Gegenstand besonders dazu? das geistige Leben. Das Verhältniß welches übrig bleibt nach Absonderung der philosophischen Poesie zwischen der Poesie, die sich mit dem Geist, und der die sich mit der Natur beschäftigt, ist ein viel geringeres als zwischen Historienmalerei und Landschaftsmalerei. Das untergeordnetste ist die Naturbeschreibung, die sich als solche schon durch ihren Hang zum Subjectiven, zur Beschreibung des Eindruckes ankündigt. Die lyrische Poesie hat es mit dem Moment zu thun, die epische mit einem zusammenhängenden Leben, einer Reihe von Ereignißen aus menschlichem Leben. Nehmen wir das Dramatische als zusammengesetzt aus beiden oder zwischen beiden: sie(?) ist Darstellung eines Moments, aber wie er hervorgeht (?) aus dem Zusammenwirken anderer Menschen zu diesem Moment, zur Katastrophe. Für das Epische verlangt sie bloß einen Abschluß in Grenzen und die Unmittelbarkeit der Darstellung, wobei der Erzähler nichts gilt. Hiernach zweierlei dramatische Richtungen. Ist alles was Moment sein kann im menschlichen Leben ein Gegenstand für musikalische Poesie, und jede menschliche Figur für die epische? haben wir das bestimmt, so brauchen wir über die dramatische Poesie nichts mehr zu sagen, weil ihre Elemente in beiden aufgehen. Wir sagten über die freie Kunstproductivität, sie solle die Form, die dem menschlichen Geiste auf ideale Weise inwohne, und zugleich real in der Natur sind, soll der Dichter so ausdrücken, | 90v daß sie dies innere Princip rein ausdrücken, befreit von den störenden Eindrücken fremder Principien, die da vorkommen. Bei der Poesie wieder zwei Endpuncte. Die einen wollen alle menschliche Unvollkommenheit des einzelnen Daseins, auch alle ethische Unvollkommenheit wo das menschliche noch nicht völlig vom geistigen Princip durchdrungen erscheint, erklären für unter Einfluß fremder Natureindrücke stehend und dadurch gehemmt. Also wenn der Dichter diesen Typus, der menschliche Geist in der Mannichfaltigkeit des einzelnen Daseins erscheinend, darzustellen hat, so soll er geistig vollkommen durchgebildete Individuen darstellen, verschieden, jeden als sein eigenes Ideal. Die andern sagen, diese Vollkommenheit, welche jene für das Ursprüngliche ansehn, ist für Endliches unerreicht; der Dichter soll den Menschen darstellen in seiner Wahrheit; jene Schranken gehören zu dieser, zu der Wahrheit des Einzelnlebens, also mit anhaftenden auch ethischen Mängeln. Stellen wir die erste Forderung rein auf, so läßt sie 1) das Komische gar nicht zu in der Poesie 2) auch die Darstellung der gemeinen Natur des Menschen, wie er sich in der Masse darstellt, läßt sie nicht zu, denn diesen Zustand der Masse wird sie auch für eine Hemmung erklären. Die andre Forderung wird alles aufnehmen, und sagen, es komme nur auf den Dichter und seine Darstellung und seine Wahrheit an. Man sieht leicht, daß dies keine reinen Gegensätze sind; beide gehn von verschiednen Puncten aus, aber beide von Puncten die nicht zu vernachlässigen sind. Beim Dichter, wie bei jedem Künstler, ist das Werk zuerst ein innerliches, und das Heraustreten ist ein zweiter Act. Aber es gehört zum Eigenthümlichen der Poesie, daß hier die Grenze viel geringer ist, da das innere Produciren auch schon unter der Form der Sprache geschieht. Zwischen der Conception und der Darstellung des Malers ist ein viel größerer Zwischenraum. Sobald aber der Künstler sein Inneres heraustreten läßt, will er sich selbst in andere hineinpflanzen. Daraus zwei Aufgaben. Hat der Dichter es überwiegend mit der menschlichen Natur zu thun, mit dem Geist unter der Form des Menschen, und müssen sich Menschen (?)-Geister in ihm bilden, so wird, je nachdem jeder beschränkt ist in seinen Erfahrungen, je weniger | 91r er den menschlichen Geist in seiner Mannichfaltigkeit kennt, desto weniger wird er ein Dichter sein. Wie im Maler ein Gestaltbildner immerwährend sein muß, so müssen im Dichter unaufhörlich ausgezeichnete Momente menschlichen Daseins, Gestaltungen des menschlichen Geistes sich bilden; aber das läßt sich gar nicht trennen von der Wahrheit und Continuität des Auffassens; er muß in immerwährendem Beobachten sein, und immer das Innere durch das Äußere sich restituiren können. Je reicher er mannichfach unter beiden Formen der ergänzenden Productivität und der Beobachtung er lebt, desto mehr ein Dichter; und es muß verbunden sein, mit jener absoluten Gewalt über die Sprache. Aber können wir nun sagen, daß diese(?) reine Gleichheit der Auffaßung und Darstellung sein werde so daß lauter idealisirte Figuren zum Vorschein kommen? Vielmehr soll ein Zusammenhang sein zwischen dem wahrhaften Auffaßen des menschlichen Daseins in der Seele des Dichters, und den Gestalten und Lebensmomenten, welche sich in ihm bilden, so muß, was er gestaltet, geschichtlich vorhanden sein. Aber im geschichtlichen MenschenLeben ist immer nur ein Streben nach Vollkommenheit, welche sich mehr oder weniger in Puncten manifestirt. Übersieht er dies, so ist die Wahrheit nicht in ihm. Jene Forderung absoluter Idealität scheint auf das höchste auszugehn, ist aber sehr dürftig, zumal das einzelne Dasein doch das reichste ist was überhaupt zum Vorschein kommen kann. Diese Theorie daher hält sich überwiegend an die musikalische Seite, denn da tritt die Subjectivität überwiegend hervor. Sehn wir aber auf das zweite wenn der Dichter mehr als jeder Künstler die Richtung auf das Heraustreten hat, weil die Sprache schon diese Richtung hat, so muß er auch produciren im Gebiet des Auffassens der andern, sonst können sie sichs nicht aneignen, und sein Heraustreten ist eine leere Tendenz geblieben. Nach unserm Unterschied zwischen moderner und antiker Poesie, nach öffentlichem und Einzeln-Leben, so ist die Grenze, daß allein was | 91v auffaßbar ist, kann darstellbar sein; wenn nicht vom öffentlichen Leben ausgegangen, muß die Poesie doch vom Gesammtbewußtsein der Mitwelt ausgehn, muß von der Wahrheit ausgehn. Keiner kann dafür stehn, daß sein subjectives Ideal das allgemeine sei. Und so sehn wir diese Forderung in das Leere und Unsichre hinausgehn.

Aber die zweite Forderung wollte sich überwiegend ausschließend an die Wahrheit halten. So wie diejenigen, denen ein Dichterwerk geboten wird, dies zurückführen können auf ihre eigne Erfahrung, so sei es gut. Also Zurückführung auf den zweiten Moment. Verfolgen wir dies in seinem Umfange. Denken wir Einen, in dem sich seiner Natur nach nur gemeine Naturen constituiren wollen, und diese stellt er dar; wollte dieser ein großes Drama oder Epos darstellen, so würde keiner es aushalten dies durchzumachen und sich anzueignen, und keiner würde sagen daß das Poesie sei. Bei Gemälden können wir uns an der Wahrheit gemeiner Gestalten erfreuen, aber nicht sage man, daß das die Malerei sei, daß damit die Malerei erschöpft sei, sondern es ist eine untergeordnete Gattung. Denken wir uns dies aber in einer so großen Form, so wäre es nicht einmal mehr die Wahrheit. In einer großen Weltbegebenheit müssen auch ausgezeichnete Menschen sein. In geringem Umfange mag solche Darstellung gemeiner Naturen eine poetische Vollkommenheit haben können. Wer nichts weiter könnte, hätte ein sehr beschränktes poetisches Talent. Aber die ausgezeichnete menschliche Natur darf auch nur in ihrer Wahrheit, wie sie im geschichtlichen Leben ist, dargestellt werden. So wie wir eine Richtung zu idealisiren finden, so finden wir uns gleich aus der reinen Objectivität herausgesetzt, weil wir gleich fühlen, das ist kein wirkliches Dasein dargestellt, sondern es ist Darstellung der Richtung, welche der Poet dem Leben geben will, aber das ist nun eben nicht die Poesie, sondern geht über ihr Gebiet hinaus. Dies alles verweisen wir in die musikalische Poesie, da kann der Dichter idealisiren so viel er will, denn da gilt seine Betrachtung. Danach erklärt sich jener | 92r Gegensatz. Je mehr man sich auf den einen stellt, wird man freilich den andern vernachlässigen.

Um dies noch anders auszudrücken: stellt der Dichter Ideale dar, und dies ist eine Richtung die er erst dem Leben geben will, und das ist keine Poesie, was ist es denn? Eine unrichtige Rückkehr in die philosophische Poesie; das ist die Ethik; die soll das sagen; aber sie kann nicht sprechen in der Form des Einzelnlebens. Also diese Verwechslung, die Richtung das Ethische in der Form der einzelnen Handlung darzustellen, ist das proton pseudos dieser idealistischen Richtung. Immer entsteht daraus etwas „Nebulistisches“ (Göthe) ein Schillern und schlecht begränzte Formen. Aber in der musikalischen Seite der Poesie ist dagegen nichts einzuwenden. Hier erscheint es in doppelter Form, der der Sehnenden aus einem Wirklichen nach einem höheren hin, und der des Zurückstoßens des Wirklichen als einem Unvollkommenen. Das letztere ist Satire, sofern dies ein poetisches ist. In der objectiven Seite der Poesie aber müssen immer Grundverhältnisse der Erscheinung des Geistes in seinen Abstufungen vorwalten, gebaut auf die geschichtliche Welt, für welche der Dichter darstellt. Nicht als sollte er sich beschränken auf die Gegenwart, er kann das Bewußtsein seiner ganzen Vergangenheit aufnehmen, aber damit dichtet er nur für die welche das geschichtliche Bewußtsein haben; aber will er für die Masse dichten, kann er so nicht. Danach zwei Richtungen. Darum war es so einseitig, als die Poesie nur für die Höfe dichtete; das Extrem das ungeschlachte Überschlagen in die Volkspoesie wie bei Bürger. Je mehr das geschichtliche Bewußtsein sich in die Masse verbreitet, desto mehr kann sich die Dichtung veredeln, welche nur die Gegenwart berücksichtigt. Nur erst wenn ein Volk vollkommen durchgebildet ist so daß alles in unmerklichen Übergängen sich verliert und es einen gemeinschaftlichen Boden für das Ganze gibt, erst dann wird jener Streit zwischen Idealität und Überschätzung der rohen Wirklichkeit [sich] von selbst erledigen, und | 92v nur wiefern es der Poesie gelingt, jene Gegensätze zwischen einer Poesie für die Gebildeten und für das Volk auszugleichen wird sie sich der richtigen Theorie in Beziehung auf ihre Aufgabe bemächtigen.

29. März 1833

 

Zitierhinweis

Ästhetik 1832/33, Nachschrift Henke (Fragment), ediert von Holden Kelm. In: schleiermacher digital / Vorlesungen / Vorlesungen über die Ästhetik, hg. v. Holden Kelm. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0008437 (Stand: 26.7.2022)

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