Trotz des Abschlusses des Wiener Kongresses und der Beruhigung der politischen Lage in Europa blickt Schleiermacher zu Beginn des Jahres 1816 pessimistisch in die Zukunft. In einem Brief an Alexander Graf zu Dohna-Schlobitten äußert er sich zum Zustand Preußens: „Soll der Staat ersticken an der immer zunehmenden Menge von Staatsdienern die bald nichts als sich unter einander werden zu verwalten oder zu beaufsichten haben? Oder soll er auszehren an der sinnlos stokenden Circulation auf der einen Seite und an der Verschwendung auf der andern? oder soll er verfaulen durch die absolute Unthätigkeit aller innern Organe? Diese drei Todesarten sehe ich ganz gleich möglich und gleich nahe bevorstehend, zum Leben aber keine Hofnung!“Brief 4239, 5–12, KGA V/13. [Schließen] Über seine eigene Rolle schreibt er: „Wäre die Preßfreiheit wirklich verliehen worden so könnten wir auch etwas thun; nun sind wir völlig gebunden und müssen die passivsten sein, wenn wir nicht revolutionär sein wollen.“Brief 4239, 39–42, KGA V/13. [Schließen]
Wissenschaftlich hält Schleiermacher nach wie vor Vorlesungen an der Berliner Universität. So beginnt er am 22. April das Sommersemester 1816 mit drei Vorlesungen: „Der Brief an die Hebräer und die Briefe Jacobi, Petri und Judä“, „Die christliche Dogmatik“ und die nicht angekündigte Vorlesung „System der Sittenlehre“.Vgl. Arndt / Virmond: Schleiermachers Briefwechsel, 1992, S. 312. [Schließen] Im Wintersemester liest er zwei Vorlesungen: „Theologische Encyclopädie“ und „Das Evangelium und die Apostelgeschichte des Lucas“.Vgl. Arndt / Virmond: Schleiermachers Briefwechsel, 1992, S. 312. [Schließen] An der Akademie der Wissenschaften hält Schleiermacher zwei Vorträge, am 1. April den Akademievortrag „Ueber die Aechtheit der Aristotelischen Ethiken“. Der Vortrag ist allerdings nicht erhalten.Vgl. KGA I/11, S. XLVI. [Schließen] Am 16. Mai hält er den Akademievortrag „Über die griechischen Scholien zur Nikomachischen Ethik des Aristoteles“.Vgl. KGA I/11, S. XXIII. [Schließen]
Zu den Publikationen des Jahres gehört die dritte Auflage seiner ersten PredigtsammlungVgl. Predigten von F. Schleiermacher. Erste Sammlung. Dritte Auflage, Berlin: Realschulbuchhandlung 1816; vgl. Meding: Bibliographie der Schriften Schleiermachers, 1992, S. 50. [Schließen] sowie „Ueber die verschiedenen Methoden des Uebersetzens. Von Herrn Schleiermacher. Vorgelesen den 24sten Junius 1813“.In: Abhandlungen der philosophischen Klasse der Königlich-Preussischen Akademie der Wissenschaften aus den Jahren 1812–1813, Berlin: Realschulbuchhandlung 1816, S. 143–172, vgl. Meding: Bibliographie der Schriften Schleiermachers, 1992, S. 50. [Schließen]
Auf die 1815 mit einer polemischen Streitschrift Schleiermachers eröffnete Kontroverse mit Theodor Anton Heinrich Schmalz und dessen Warnung vor staatsgefährdenden Geheimgesellschaften nehmen noch 1816 viele Briefe Bezug, so zum Beispiel Karl Friedrich Graf von GeßlerVgl. Brief 4219, KGA V/13. [Schließen] und August Twesten.Vgl. Brief 4262, 26–48, KGA V/13. [Schließen] Schmalz‘ Frau Louise Elisabeth macht Schleiermacher im Januar in einem Brief schwere Vorwürfe wegen seiner verletzenden Kritik.Vgl. Brief *4225 und Brief 4232, KGA V/13. [Schließen]
Als Prediger ist Schleiermacher in diesem Jahr weiterhin in der Dreifaltigkeitskirche aktiv. Erwähnenswert ist der Sondergottesdienst am 27. Juni zur Stadtverordnetenwahl für den Bezirk 8.Vgl. KGA III/1, S. 859. [Schließen] Im Kirchenvorstand der Dreifaltigkeitskirche setzt er sich für die Fortsetzung der Renovierungsarbeiten, insbesondere die Instandsetzung der Dachkuppel, ein.Vgl. KGA III/5, S. XVI. [Schließen] Auch übernimmt er im Frühjahr die Aufsicht über die Vermietung der Kirchenstühle – eine wichtige Einnahmequelle der Kirchengemeinde – und kann im Laufe der nächsten Jahre die vorhandenen 1125 Sitzplätze nahezu vollständig vermieten und die Einnahmen um mehr als das Dreifache steigern.Vgl. KGA III/5, S. XVII. [Schließen]
Privat begibt sich Schleiermacher vom 28. August bis zum 8. Oktober auf eine Reise über Hamburg, Kiel, Lübeck, Rostock und Stralsund nach Rügen.Vgl. KGA III/5, S. XVI. [Schließen] Seine Frau Henriette reist bereist früher nach Rügen, Schleiermacher wartet erst das Ende der Vorlesungen ab und reist dann mit Georg Andreas Reimer – der ihn einen Teil des Weges begleitet – nach. In den verschiedenen Städten trifft er alte Freunde und macht neue Bekanntschaften. Getrübt wird das Jahr von erneuten Magenkrämpfen, die auch seine Abreise kurzzeitig unsicher machen.
Anfang Dezember erhält Schleiermacher von Joachim Christian Gaß aus Breslau Geburtstagsglückwünsche, erfährt aber auch von der schwierigen Geburt seiner Tochter: „Bei uns ist auch allerlei Noth gewesen in diesem Herbst. Das kleine Mädchen, womit unser Haus vermehrt ist, kam wohl etwas zu früh und wurde mit einem ofnen Kopf geboren, welches wir erst 8 Tage nachher entdekkten.“Brief 4312, 20–23, KGA V/13. [Schließen]
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Zitierhinweis

Überblick zu Leben und Werk Schleiermachers von 1816, erarbeitet von Johann Gartlinger. In: schleiermacher digital / Begleittexte, hg. v. den Schleiermacher-Forschungsprojekten. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S9939919 (Stand: 26.7.2022)

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