Der Entschluss im Dezember 1807, Halle zu verlassen und nach Berlin zu ziehen – Schleiermacher hatte bereits einige
Monate in Berlin verbracht und
private Vorlesungen dort gehalten –, erfolgt mit der konkreten Hoffnung auf eine Anstellung an
der neu zu gründenden Berliner
Universität als Professor der Theologie.
Vgl. Köpke,
Die Gründung der Königlichen
Friedrich-Wilhelms-Universität
, 1860, S. 44 sowie Wolfes, Öffentlichkeit und Bürgergesellschaft, 2004, S.
275.
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Zugleich nimmt er selbst als Hörer an der Vorlesung des Mineralogen Dietrich Ludwig Gustav Karsten im
Wintersemester 1808/09 teil.
Gedruckt erscheinen 1808 seine Überlegungen zu Anlage und
Struktur der neu zu errichtenden Universität sowie sein langer Aufsatz über Heraklit im
Museum der Alterthums-Wissenschaft
.
Vgl.
Schleiermachers Rezension von
„Sendschreiben an Herrn G. S. über die Verlegung der
Universitäten Halle nach Berlin“ und „Soll in Berlin eine
Universität seyn?“ (KGA I/6, S.
7–13), die
Schrift
Gelegentliche Gedanken über
Universitäten in deutschem Sinn. Nebst einem Anhang über
eine neu zu errichtende
(KGA I/6, S. 15–199) und
Herakleitos der dunkle, von Ephesos,
dargestellt aus den Trümmern seines Werkes und den
Zeugnissen der Alten
(KGA I/6, S. 101–241). [Schließen]
Darüber hinaus erarbeitet er einen Vorschlag zu einer neuen Verfassung der protestantischen
Kirchen im preußischen
Staat
.
Wissenschaftliche Anerkennung erfährt Schleiermacher im
Sommer 1808 durch die Aufnahme als auswärtiges korrespondierendes
Mitglied der Münchner Akademie der
Wissenschaften, die ihm durch Schelling mitgeteilt wird.
Mit dem Tod des reformierten Predigers an der Dreifaltigkeitskirche, Karl Friedrich Thiele, eröffnet sich die Aussicht
für Schleiermacher, wieder in Lohn und Brot und auf eine eigene
Kanzel zu kommen.
Seine Anstellungsbestätigung durch den König erfolgt am 19. Juli 1808, der
Amtsantritt jedoch erst ein Jahr später im Sommer 1809. Drei Reisen
prägen das Jahr 1808: Eine mehrwöchige Reise von Mitte Juni bis Anfang August nach
Rügen, auf der er seinen Rügener
Freundeskreis besucht, mehrfach predigt
und sich mit der Witwe seines Freundes Ehrenfried von Willich, Henriette von Willich, verlobt. Die Rückkehr nach Berlin ist der Auftakt zu den
sogenannten Brautbriefen, die zwischen den Frischverlobten bis zur
Heirat im Mai 1809 gewechselt werden. Kaum ein paar Tage Pause in
Berlin sich gönnend,
bricht Schleiermacher Mitte August zu einer geheimen Mission
nach Königsberg auf und übernimmt die Rolle
eines Geheimkuriers mit dem Ziel der Vernetzung und Koordination der
unterschiedlichen Zentren der antinapoleonischen Gruppierungen.
Wie an vielen anderen Orten in Preußen hatte sich auch in Berlin eine Keimzelle des Widerstands
gegen die französische
Besatzung formiert, die
einen militärischen Schlag zum Ziel hatte und nun in Kooperation mit
anderen Widerstandszentren unter Duldung des zögerlichen Königs den möglichen Kriegsfall
vorzubereiten suchte.
Vgl. Wolfes,
Öffentlichkeit und
Bürgergesellschaft
, 2004, S. 209–225. Schleiermacher beschreibt seiner
Braut kurz vor seiner
Reise in Andeutungen die bevorstehende Mission: „
Viel Liebe und Vertrauen ist mir hier entgegen gekommen,
auch schon in dieser kurzen Zeit von neuen und merkwürdigen
Seiten; und was ich geweissagt habe daß diesen Winter noch große
Verwirrungen in Deutschland losgehn würden, davon sehe ich
schon mehrere bedeutende Vorzeichen seit ich hier bin, und es
bewegt mich nun noch mehr und schöner was ich Dir schon als
etwas erfreuliches sagte daß unser Schiksal recht verwebt ist in
das des Vaterlandes.
Und sollte es geschehen, was ich freilich nicht absehe aber was
doch kommen kann, daß ich mitten in diesen Verwirrungen befangen
bin so sei nur recht guten Muthes und denke daß Vaterland Du und
die Kinder meine Losung sind.
“ (Brief 2782, 40–49,
KGA V/10). [Schließen]
Auf dieser Reise trifft er neben den alten Freunden und
Bekannten wie Johann Christoph
Wedeke
und Fabian von Dohna
auch Mitglieder der Königsfamilie
und führende preußische
Reformpolitiker wie Freiherr von und zum Stein
,
Scharnhorst
oder Gneisenau
.
Eine Verzeichnung der einzelnen Treffen findet sich im
Tageskalender, ein briefliches Echo insbesondere in den aufgrund
der zu erwartenden Briefzensur zum Teil codierten Briefe an
seinen Freund und Verleger Andreas
Reimer, vgl. Briefe 2810, 2821, 2831 u. 2842
(alle KGA V/10).
Eine Auseinandersetzung mit Schleiermachers
Beobachtungen und Deutungen der politischen Lage in diesen
Briefen findet sich bei Wolfes,
Öffentlichkeit und
Bürgergesellschaft
, 2004, S. 225–230.
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Ein freundschaftliches Treffen – möglicherweise aber auch
eine Gelegenheit zu konspirativem politischen Austausch – ist das
Wiedersehen mit Henrich Steffens
im Wörlitzer Park
. Vgl.
Brief 2883, 1–28, KGA V/10 und Brief 2913, 89–99, KGA V/10.
Eine knappe aber prägnante Beschreibung aller drei
Reisen findet sich in einem Brief an seinen Freund Brinckmann am 11.2.1809: „Ich habe einige der schönsten Sommermonate auf eurem
reizenden Rügen zugebracht
höchst angenehm, nur freilich hie und da gestört durch die
großentheils sehr unbescheidnen Gäste,
die sogar auf Stubbenkammer und Hiddensoe Posto gefaßt hatten.
Kaum war ich zu Hause, so fand sich eine herrliche
Gelegenheit nach Königsberg zu reisen.
Viel alte Freunde und Bekannte habe ich dort
wiedergesehn, nur mit Stägemans leider nicht viel gelebt,
aber Steins des
herrlichen Mannes ziemlich genaue Bekanntschaft gemacht,
Gneisenau, und Scharnhorst,
die Königin
gesprochen
vor allem Prinzeß
Wilhelm kennen gelernt die ich für eine der
ersten und herrlichsten deutschen Frauen halte.
Im Herbst habe ich noch eine kleine Fahrt nach
Dessau gemacht wohin
ich mir Steffens bestellt
hatte um mich
wieder einmal an seinem frischen Lebensmuth zu laben, und einen
Blikk in sein wissenschaftliches Treiben zu thun. Seitdem aber habe ich
leider ungeheuer gelitten an Magenkrampf und bin nur eben
ziemlich befreit davon.“ (Brief 3075, 16–31, KGA V/11). [Schließen]
Im Oktober 1808, direkt nach der Rückkunft aus Königsberg, nimmt Schleiermacher seine Übersetzung des Platon wieder auf,
er übersetzt im Oktober den
Phädon
,
im November arbeitete er am
Alkibiades
und im Dezember am
Philebus
.
Seine Fortschritte notiert er im Tageskalender ebenso wie gemeinsame
Arbeiten mit Heindorf
und die abendliche Lektüre der
Ilias
im November mit seiner Halbschwester Nanny.Vgl. KGA V/10, Brief 2904,
42–45: „Wenn wir Abends zu Hause sind wie heute so lese ich jezt
mit Nanny
den Homer der mir selbst wieder ganz
neu ist, weil ich seit vielen vielen Jahren gar nicht hinein
gesehn und den Deutschen überhaupt noch nie ordentlich und ganz
gelesen habe.“
Zur ausführlich ausgewerteten Lektüre Schleiermachers
vgl. Virmond, „Schleiermachers Lektüre
nach Auskunft seiner Tageskalender“, in: Schleiermacher und die wissenschaftliche
Kultur des Christentums, hg. von Meckenstock, 1991, S.
71–99.
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Zu Schleiermachers regem sozialen Leben gehört seit dem
Umzug nach Berlin auch seine
Teilnahme an der von Zelter
geleiteten Berliner
Singakademie
, in der er als Tenor sang und für die er
auch seine zukünftige Frau zu
begeistern suchte.
Vgl. Brief an Henriette von Willich vom 27.11. bis
Donnerstag, 1.12.1808, Brief 2953, 218–225, KGA V/10: „Und wenn
Du Dich auf die Singakademie freust so thue es nur auch
vorzüglich deshalb weil da fast lauter große Kirchenmusik
aufgeführt wird. Mit großer Freude bin ich jeden Dienstag da, an
diesem Tage weißt Du bestimmt wo Du mich zu finden hast Abends
zwischen Sechs und Sieben, und recht oft denke ich wieviel
schöner es noch sein wird wenn Du auch dastehst und singest.
Sobald unser Verhältniß hier ganz bekannt wird lasse ich Dich
einschreiben; singe nur Dein Stimmchen noch recht aus.“
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