Am 21. November 1768 wird Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher in Breslau als Sohn des reformierten Feldpredigers Johann Gottlieb Adolph Schleyermacher und seiner Frau Elisabeth Maria Katharina (geb. Stubenrauch) geboren. Seine Kindheit verbringt er in Breslau. Im Alter von vier Jahren beginnt Schleiermacher zu lesenBr 1(2), S. 18 (Schleiermachers Mutter an ihren Bruder Ernst Stubenrauch). [Schließen], mit fünf Jahren besucht er die Friedrichs-Schule in Breslau, wo er zu den Besten gehört. Die häusliche Erziehung liegt, da der Vater als Feldprediger viel auf Reisen ist, größtenteils in den Händen der Mutter. Im Oktober 1774 schreibt diese aus Breslau an ihren Bruder Samuel Ernst Timotheus Stubenrauch: „Du wirst es mir wohl nicht übel nehmen, daß ich dem Fritzchen erlaubt habe ein Briefchen zu schreiben, da er noch so kritzelt. Er würde es wohl etwas besser gemacht haben, wenn er es bei Tage geschrieben, aber es fiel ihm erst bei Lichte ein.“Br 1(2), vgl. auch Brief *1, KGA V/1. [Schließen] Als Kind lässt die ältere Schwester Charlotte ihren Bruder zu Boden fallen, wodurch „sein Wachstum gestört [wurde], und er eine schiefe Schulter“ bekam.Ehrenfried von Willich: Aus Schleiermachers Hause. Jugenderinnerungen seines Stiefsohnes, Berlin: Reimer 1909, S. 24. [Schließen] In den Jahren 1778 bis 1783 lebt Schleiermacher in Pleß und Anhalt. Bis 1780 ist sein Lebensmittelpunkt überwiegend in Anhalt, wo er u. a. seinem Bruder Karl Unterricht erteilt. Wohl zum Herbst 1780 geht er in Pension zu dem Pleßer Hauptlehrer Schubert, bei dem er besonders die klassischen Sprachen und die in Breslau vernachlässigte Mathematik lernt.Br 1(2), S. 18–20. [Schließen] Mit dem Weggang Schuberts kehrt Schleiermacher im Frühjahr 1782 nach Anhalt zurück. 1783 verlässt er endgültig das Elternhaus, um seine Ausbildung in Niesky fortzusetzen. Zwischen 1783 und 1785 besucht er das Nieskyer Pädagogium. Dort schließt er unter anderem Freundschaft mit Johann Baptist von Albertini, unternimmt Privatstudien in Hebräisch (Lektüre der ersten Hälfte des Alten Testaments) und Griechisch (Lektüre der Dichter, daneben Einzelnes aus Herodot, Plutarch, Platon u. a.). Auf der Grundlage dieser Studien verfassen Schleiermacher und Albertini „gelehrte Abhandlungen“.Vgl. KGA V/1, S. XXVIII. [Schließen] Am 17. November 1783 stirbt die Mutter in Cosel, wo sie auch begraben wird. Schleiermacher schreibt an seine Schwester über die Nachricht vom Tod der Mutter: „Die beugende Nachricht von dem Heimgange unserer lieben Mutter erfuhr ich vom Bruder Zembsch aus unseres lieben Vaters Brief an Bruder Sternberg.“Brief 13, 1f, KGA V/1. [Schließen] Von 1785 bis 1787 studiert er dann am Seminar der Brüdergemeine in Barby. Schleiermacher, Albertini und Samuel Okely bilden einen „philosophischen Club“, dem sich auch Johann Jacob Beyer und Emanuel Zaeslin anschließen und in dem die Lektüre und Diskussion verbotener Schriften (u. a. von Wieland und Kant) stattfindet. Die Fernhaltung der Seminaristen von allen neueren theologischen und philosophischen Diskussionen und die strenge Disziplin bringen den Club zunehmend in Gegensatz zu den Lehrern und den Grundsätzen der Brüdergemeine.Vgl. dazu Simon Gerber: „Brodersens Himmelfahrt – ein satirisches Gedicht auf die Herrnhuter“, in: Sarah Schmidt/Leon Miodonski (Hg.): System und Subversion. Friedrich Schleiermacher und Henrich Steffens, Berlin/Boston: De Gruyter 2018, S. 27–32. [Schließen] Schleiermacher bittet seinen Vater brieflich um die Erlaubnis, Barby zu verlassen und an der Universität Halle Theologie zu studieren, was dieser schließlich erlaubt. Im Jahr 1787 nimmt Schleiermacher ein Studium der Theologie in Halle auf, das er bis 1789 fortführt. Er wohnt zunächst bei seinem Onkel Ernst Stubenrauch, Professor der Kirchengeschichte und heiligen Altertümer am reformierten Gymnasium zu Halle. Nach seiner späteren Erinnerung lebt Schleiermacher in Halle „wie ein ächter Herrnhuter, ohne mich um mein Schicksal zu bekümmern […] Ich wäre, hieß es, in meinem Aeußern sehr nachlässig, hätte ganz das Wesen eines in sich gekehrten Menschen an mir, cynisch in meiner ganzen Lebensart, für mich sehr genügsam, aber in Gesellschaft, und meinen Freunden zu gefallen, Alles aufopfernd, auch das Nothwendigste; fleißig für mich, aber nur sehr stoßweise, und immer ein schlechter Besucher der Collegien, die ich zu verachten schiene; übrigens die Verborgenheit fast geflissentlich suchend; aber wenn ich unter die Vornehmen und Reichen käme, so, als wäre ich Beides noch mehr als sie; kalt und stolz gegen alle Höheren, und vorzüglich gegen meine Lehrer und Vorgesetzen.“Brief 1311, 124–145, KGA V/6. [Schließen] Tatsächlich ist Schleiermachers Identifizierung mit dieser Beschreibung zum Teil auch Selbststilisierung. Durch die Freundschaft mit Carl Gustav von Brinckmann, der in der literarischen und wissenschaftlichen Welt Halles und Jenas zahlreiche Kontakte besitzt, wird er in deren Bannkreis gezogen. Er hilft Brinckmann bei der Veröffentlichung seiner „Gedichte. Von Selmar“. Brinckmann, der später als Diplomat in schwedischen Diensten stand, bleibt zeitlebens ein enger Freund Schleiermachers. Daneben besteht ein Freundschaftsbund mit Friedrich Duisburg und Jakob Daniel Loos; in den Briefen an die Schwester wird zugleich eine erste amouröse Gefühlsregung, wohl zu Henriette Fraisse, deutlich.Vgl. Anm. zu Brief 222, 142, KGA V/1. [Schließen] – Das Studium betreibt Schleiermacher eher autodidaktisch.Br 1(2), S. 12. [Schließen] In seinem ersten Semester hört er Apostelgeschichte (vielleicht bei Samuel Mursinna, Stubenrauchs Kollege am reformierten Gymnasium – die reformierten Gymnasialprofessoren kündigten ihre Vorlesungen auf dem Gymnasium auch an der Universität an) und Metaphysik bei Johann August Eberhard.Vgl. Brief 79, 26–50, KGA V/1. [Schließen] Daneben sind nur die Teilnahme an einem philologischen Kolleg Friedrich August Wolfs sowie der Besuch von Eberhards Geschichte der Philosophie zu belegen.Vgl. Brief 82, 29f, KGA V/1 sowie Brief 123, 48, KGA V/1. [Schließen] Durch Eberhard angeregt, befasst sich Schleiermacher mit dem Studium des Aristoteles (vornehmlich der Nikomachischen Ethik) sowie des Platon und setzt sich angesichts der beginnenden Auseinandersetzung zwischen Eberhard und dem Kantianismus intensiv mit der Kantischen Philosophie auseinander, auch hier mit dem Hauptinteresse an der Grundlegung der praktischen Philosophie.Vgl. dazu auch Günter Meckenstock: Deterministische Ethik und kritische Theologie. Die Auseinandersetzung des frühen Schleiermacher mit Kant und Spinoza 1789–1794, Schleiermacher-Archiv Bd. 5, Berlin/New York: De Gruyter 1988. [Schließen] Daneben erweitert er auf Wunsch des Vaters seine Kenntnisse im Englischen und Französischen, um sich besser für ein Amt als Lehrer zu qualifizieren. Bereits während des Studiums verfolgt Schleiermacher literarische Pläne, zum Teil in Absprache mit seinem Freund Brinckmann.Vgl. zu Schleiermachers Werken bis 1796 insgesamt die Historische Einführung in KGA I/1, besonders die Tabelle S. LXXXIII. [Schließen] In Halle entstehen – neben nicht erhaltenen Briefen zum Ursprung der Verbindlichkeit der VerträgeVgl. dazu auch Brief 128, 238f, KGA V/1. [Schließen] – Anmerkungen zu Aristoteles' Nikomachischer EthikVgl. KGA I/1, S. 1–43. [Schließen] und die „Rhapsodie“ „Über das höchste Gut“.Vgl. KGA I/1, S. 81–125. [Schließen] Die Teilnahme am studentischen Leben hinterlässt einen literarischen Niederschlag in einem Gedicht Schleiermachers, das später (1820) in einer Sammlung hallischer Studentenlieder publiziert wird.„Den Vollendeten“, in: Tafellieder der Hallisch-akademischen Zeitgenossen 1785–1790, S. 22; Abdruck bei Dilthey: Leben 13, S. 42f. Zur poetischen Produktion Friedrich Schleiermachers vgl. Hermann Patsch: Alle Menschen sind Künstler: Friedrich Schleiermachers poetische Versuche, Schleiermacher-Archiv Bd. 2, Berlin/New York: De Gruyter 1986 und Manuel Bauer: Schlegel und Schleiermacher. Frühromantische Kunstkritik und Hermeneutik,Paderborn u.a.: Schöningh 2011. [Schließen] In den Jahren 1789 und 1790 hält sich Schleiermacher in Drossen auf. Er lebt zurückgezogen – unterbrochen nur durch gelegentliche Reisen nach Landsberg/Warthe zu den dortigen Verwandten –, korrespondiert vor allem mit Brinckmann und arbeitet an mehreren literarischen Projekten. Auf Veranlassung seines OnkelsBrief 1311, 125–127, KGA V/6. [Schließen] bereitet er sich schließlich auf das erste theologische Examen vor, zu dem er sich im Februar 1790 meldet. In Drossen entstehen drei „Freiheitsgespräche“Vgl. KGA I/1, S. 135–164. [Schließen], eine Abhandlung zur Pflichtentheorie, eine Übersetzung der Bücher acht und neun der Nikomachischen EthikVgl. KGA I/1, S. 45–80. [Schließen], ein Exzerpt aus der Aristotelischen MetaphysikVgl. KGA I/1, S. 165–175. [Schließen] sowie Abhandlungen über den gemeinen Menschenverstand und das Naive.Vgl. KGA I/1, S. 177–187. [Schließen] Wohl von April oder Mai bis Anfang Oktober 1790 hält sich Schleiermacher anlässlich des ersten theologischen Examens in Berlin auf. Das Examen selbst, d. h. Klausuren und mündliche Prüfungen, besteht Schleiermacher Anfang Juni 1790.Vgl. Brief *141, KGA V/1. [Schließen] Während seines Berliner Aufenthalts schreibt Schleiermacher, angeregt durch den persönlichen Umgang mit Gustav von Brinckmann, Briefe „An Cecilie“.Vgl. KGA I/1, S. 189–212. [Schließen] Zwischen 1790 und 1793 lebt Schleiermacher in Schlobitten. Ursprünglich zur Begleitung des Grafen Wilhelm zu Dohna in Königsberg bestimmt, bleibt Schleiermacher als Hauslehrer in Schlobitten. Reisen mit der gräflichen Familie führen ihn u. a. nach Finckenstein, Schlodien und an andere Orte der Umgebung. Er schließt Freundschaft mit dem Hermsdorfer Pfarrer Johann Christoph Wedeke, mit dem er auch später in Verbindung bleibt. Schleiermacher bewundert das Familienleben der Dohnas, durch die junge Gräfin Friederike wird ihm, nach eigenem Bekunden, der Sinn für Frauen geweckt.Vgl. Brief 1311, 151–156, KGA V/6. [Schließen] Er macht erste Versuche im Predigen, teilweise zeichnet Schleiermacher diese Predigten auf und schickt sie dem Vater und dem Onkel Stubenrauch zur Begutachtung. In den Mußestunden studiert er (trotz Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Büchern) und setzt seine literarischen Arbeiten fort. In Schlobitten entstehen die Abhandlungen „Über die Freiheit“Vgl. KGA I/1, S. 217–356. [Schließen], „Über den Stil“Vgl. KGA I/1, S. 356–390. [Schließen] und „Über den Wert des Lebens“.Vgl. KGA I/1, S. 391–471. [Schließen] Obwohl für letztere bereits Troschel in Danzig als Verleger gewonnen ist, gibt Schleiermacher den Publikationsplan auf. Nach dem Zerwürfnis mit dem Grafen im Jahr 1793 – es ist nicht ganz klar, weshalb es zum Bruch kam, möglicherweise spielten Erziehungsfragen oder die Einschätzung der französischen Revolution eine Rolle – sucht Schleiermacher nach einem neuen Wirkungskreis. Mit den Kindern Dohnas bleibt Schleiermacher trotz des Abschieds aus Schlobitten Zeit seines Lebens in Kontakt. Durch Vermittlung Friedrich Sacks erhält Schleiermacher in Berlin eine Stelle als Schulamtskandidat am Gedikeschen Seminar für gelehrte Schulen. Schleiermacher wohnt zunächst bei dem ihm verwandten reformierten Prediger Karl August Reinhardt, dann im Kornmesserschen Waisenhaus, wo er gegen die Erteilung von Religionsunterricht unentgeltlich wohnen darf. Neben der Ausbildung am Seminar, zu der auch die Teilnahme an zwei monatlich zusammenkommenden Sozietäten (der pädagogischen und der philologischen) gehört, erteilt Schleiermacher Unterricht auf dem Cöllnischen Gymnasium. Da er weiter auf ein ihm angemesseneres Amt und namentlich auf die Landsberger Adjunktur reflektiert, nutzt er die Gelegenheit, sich in Berlin als Prediger einen Namen zu machen. Unter diesen Geschäften und den daneben energisch betriebenen eigenen Studien lebt Schleiermacher relativ zurückgezogen: „Mein Umgang beschränkte sich also auf einige meiner Vorgesetzten, ein paar alte Bekannte meines Vaters [...] und ein paar alte Universitätsfreunde“, darunter namentlich Brinckmann.Brief 281, 24–29, KGA V/1. [Schließen] Für die Sozietäten des Gedikeschen Seminars verfasst Schleiermacher mehrere Abhandlungen; die erste (wohl noch in Drossen entstanden) über eine Stelle des Diogenes LaertiusVgl. KGA I/1, S. 473–485. [Schließen], eine zweite „Über den Geschichtsunterricht“Vgl. KGA I/1, S. 487–497. [Schließen] und eine weitere über die „Philosophia politica Platonis et Aristotelis“.Vgl. KGA I/1, S. 499–509. [Schließen] Daneben studiert Schleiermacher Jacobis Spinoza-Darstellung, die er exzerpiert, kommentiertVgl. KGA I/1, S. 511–558. [Schließen] und schließlich zu einer eigenen Darstellung des Spinozismus verdichtet.Vgl. KGA I/1, S. 559–582. [Schließen] Am Anfang des Jahres 1794 beantragt Prediger Johann Lorenz Schumann in Landsberg, der mit Sophie Luise Schumann (geb. Stubenrauch, einer Tante Schleiermachers) verheiratet ist, einen Hilfsprediger und schlägt Schleiermacher vor; der Antrag stößt auf Schwierigkeiten. Schleiermacher berichtet an Stubenrauch über die Landsberger Aussichten und meldet sich zum zweiten Examen.August Engelien und Friedrich Henning: Geschichte der Stadt Landsberg an der Warthe von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, Landsberg: Schäffer 1857, S. 214; Vgl. Briefe 249 und *251, KGA V/1. [Schließen] 1794 wird Schleiermacher Hilfsprediger in Landsberg an der Warthe. Er wird sehr schnell zu einem beliebten Prediger. Neben den Predigten gehören Katechisationen und Schulvisitationen zu seinen Verpflichtungen. Wegen beabsichtigter Neuerungen, vor allem auf den letzteren Gebieten, gerät er in Konflikt mit dem Prediger Schumann. Er lebt in den geselligen Kreisen Landsbergs, pflegt besonders den Umgang mit seiner Cousine Benike und nimmt auch Gelegenheiten zum Glücksspiel wahr. Schleiermachers wissenschaftliche Beschäftigungen treten in dieser Zeit zurück, dokumentiert ist lediglich seine Übersetzertätigkeit: Im Winter 1794/1795 übersetzt Schleiermacher auf Bitten Friedrich Sacks Teile des vierten Bandes der Predigten Hugh Blairs. Der Band erscheint 1795 in Leipzig und ist Schleiermachers erste Publikation.Vgl. KGA IV/1, S. 1–401. [Schließen]
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Zitierhinweis

Überblick zu Leben und Werk Schleiermachers von 1768 bis 1795, erarbeitet von Andreas Arndt und Johann Gartlinger. In: schleiermacher digital / Begleittexte, hg. v. den Schleiermacher-Forschungsprojekten. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S6914778 (Stand: 26.7.2022)

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