Donnerstag 20t. Abends

Es ist mir eine sehr große Freude gewesen liebste Jette, daß ich mein leztes mit der Nachricht von der glüklichen Ankunft unseres zweiten Briefes an Alexander schließen konnte, und danke es der guten Voss sehr daß sie mich gleich davon benachrichtiget hat. Gott gebe nun daß der liebe Jüngling auch alles recht aufnehme und sich stark genug fühle ohne Störung alles liebe und gute zu genießen was ich Euch beiden so gern gönne; ich denke auch mein lezter Brief soll ihm Muth und Gefühl von Ruhe dazu geben.

Gern hätte ich gestern Abend noch ein bischen mit Dir geplaudert, aber als ich ziemlich spät heraus kam fand ich endlich Harscher. Er hat kein Wort von Nanny gesprochen, nicht einmal namentlich nach ihr gefragt, sondern scheint sehr von weitem zu manövriren. Denn nachdem er sich selbst gehörig abgehandelt hatte: so nahm er mich vor, und sprach sehr viel von dem räthselhaften in mir und von seiner großen Begierde mich kennen zu lernen und wie nothwendig ihm das für die Vervollständigung seiner Bildung und seiner Ansicht wäre. Du weißt wie mir dergleichen fatal ist, und ich habe ihn daher wirklich sehr freundlich aber auch sehr kurz damit abgefertigt daß ich das nicht begriffe, daß ich in drei Tagen durch und durch zu kennen wäre weil alles auf sehr einfachen Motiven beruhe, und daß es mir überhaupt nicht der Mühe werth scheine sich jedes Einzelne in einzelnen Menschen so besonders construiren zu wollen. – Indem ich Dir soviel von Harschers Besuch erzähle überfällt mich recht das Gefühl wie ungeheuer eigentlich die Einsamkeit ist in der ich lebe | 12v aber jede Störung derselben in den Abendstunden ist mir ein wahrer Verlust; ich mag mich dann gern ganz dem Gedanken an Dich und den Bildern unseres Lebens, und dem schönen Genuß den du uns durch das Wohnen hier draußen bereitet hast hingeben. Ich habe mir auch schon ausgerechnet wenn die Gefahr für Berlin (die für diesen Augenblik ganz vorüber zu sein scheint da das vorgegangene Corps wie ihr dort wol auch hören werdet seinen Weg nach der großen Armee hin nimmt) nicht wieder naht und durch eine glükliche Schlacht oder durch den Beitritt der Oestreicher vor einer verlorenen der Krieg sich wieder tiefer in Sachsen hineinspielt, und ich vom 1ten Juni das große Loos endlich gewinne ich einen vortreflichen Reisewagen kaufe und Euch abholen kann. Das wäre die Belohnung die ich eigentlich verdient hätte für die große Entbehrung in der ich lebe. Lache mich nur recht aus mein Herz, das mußt Du auch haben. Es geht mir übrigens schon wie dem Milchmädchen; denn indem ich dieses geschrieben habe hat eine Kaze ein ganz Stük Butter und ein Stük Pökelfleisch vom Tisch herunter aufgefressen. Wenn die Viergroschenstüke so weg gehn wo soll das Geld zum Loose herkommen? Indeß wenn meine Polen noch bezahlen so nehme ich doch auch für Dich noch ein Loos und wir sind wieder in Compagnie. – Süvern hat seine Hauptmannschaft niedergelegt, [...](?) über den ursprünglichen Text geschriebenweil er Unannehmlichkeiten beim Exerciren gehabt hat, das ist nun gar eine fatale Geschichte, die ich aber auch so gut als möglich suche ins Gleiche zu bringen. | 13 Kurz ich betrage mich so gut daß Du recht Deine Freude an mir haben würdest wenn Du es alles sehn könntest. Aber das eiserne Kreuz wächst mir doch aus diesem Spaß noch nicht hervor, dazu gehörte noch etwas ernsteres. Nun wenn es nur recht viel Andere bekommen! – Liebste Jette Gott gebe daß Du nun wie ich es ausgerechnet habe Gestern Abend spät oder heute bei sehr guter Zeit in Schmiedeberg glüklich und gesund mit allem was Du auf dem Wagen hast angekommen bist. Ich kann mich recht kindisch freuen daß Du nun schon das Gebirge in seiner Pracht vor Augen hast. Ich hoffe Christiane soll es etwas entzücken, und bin begierig zu hören ob es Jette und Friede doch bekannt vorgekommen ist oder ob sie alles rein vergessen haben. Schreib mir nur ja recht bald und recht viel, aber nicht ohne Tag und Datum. Gott befohlen mein süßes Herz. Ich habe lange geschwelgt und will nun noch ein klein wenig arbeiten um mit etwas besserem Gewissen zu Bette zu gehn.

Freitag Abend Wie soll es nur werden liebes Herz wenn ich Dir immer und immer schreibe? Ich möchte wol wissen wie die Entfernung von mir auf Dich wirkt. Mir wird die Sehnsucht alle Tage größer; ich kann nun da die Geschäfte etwas mehr in Ordnung kommen und man weniger von Gerüchten gequält wird (denn seit ein Paar Tagen hört man nichts als daß die Franzosen sich wieder zurükziehn) wieder arbeiten aber ich muß nun vielerlei treiben und kann bei nichts so lange aushalten daß es etwas ordentliches würde. Die süße Gewohnheit mit Dir zu leben, die ich grade zulezt in so vollen Zügen genossen habe fehlt mir jeden Augenblik. Daß ich so auf den Garten versessen bin ist auch nichts andres. Ich gehe fast gar nicht drin herum, ich sehe | 13v fast nur hinaus und doch ist mir nirgends so wohl. Es ist mir wie ein liebes Geschenk von dir was ich immer um mich haben und ansehn muß. – Zu irgend einer traurigen Ahndung kann ich jezt gar nicht mehr kommen ich denke nur an baldiges Wiedersehn und wie ich es recht feiern und genießen will. Aber auch das ist mehr in meinem Verlangen gegründet als in den Begebenheiten denn ehe in der Lausiz eine Schlacht gewonnen oder durch andere Begebenheiten ein über den ursprünglichen Text geschriebender Krieg wieder ganz jenseits der Elbe gespielt ist giebt es doch noch keine Sicherheit. Ich habe Dir noch nicht erzählt daß ich heute Nachricht von Dir gehabt habe, einige Zeilen von dem guten Major welche sagen ihr wäret gesund nach Löwenberg abgegangen. Sie sind vom Sonntag und ihr müßt also schon Montag in Schmiedeberg angekommen sein! Wenn nun nur nicht nachkommen eine Menge von üblen Folgen von den Strapazen und der Nachtkälte die ihr gewiß ausgestanden habt. Denke Dir Benda hat Louisen nach Rügen gebracht und ihr lieben Schwestern verfehlt euch wieder gänzlich. Ich habe das gesehn aus einem Briefe an den Onkel den dieser mir zeigte weil Geldsachen drin standen. Er hat auch Deinen Antheil von den eingelaufenen Zinsen mit 22 r 11 g eingezahlt welche ich Dir verwahrt habe. Dabei sind aber die 10 r die Du in Empfang genommen nicht mit in Rechnung gebracht, und diese mußt du bei meiner näch- sten Abrechnung conferiren. Auch ist heute mein großes Gehalt für den nächsten Monat gezahlt worden, so daß die Aussicht auf den eigentlichen Hunger wieder etwas weiter hinausgesezt ist. Zu einer recht eigentlichen Noth werden wir am Ende gar nicht kommen. Nun, wenn es nicht sein soll werden wir es uns auch gefallen lassen. Ist doch diese Trennung leider Noth genug. – Gute Nacht. Mit meinem Magenkrampf geht es sehr gut. Vergiß mir doch die Marwiz nicht. Beschäftige die Kinder so ordentlich als möglich! Doch ich habe hier gut reden; und Du wirst sehr schwer haben es auszuführen | 14

Sonnabend d 22t. Ich muß mir nur Zaum und Gebiß anlegen und es zum Gesez machen Dir nur mit der Reitpost zu schreiben damit ich nicht viermal die Woche schreibe. Auf heute wollte ich die Neuigkeiten versparen, damit Du nicht alles widersprechende Zeug erführest sondern immer nur das lezte. Nun giebt es aber heute bis diesen Augenblik keine, es erhält sich nur das Gerücht daß das Neysche Corps sich wieder zurükzieht und Bülow ihm nachgeht also wieder vor. Die meisten Leute sind daher hier ganz außer Sorgen; allein es kommt doch alles auf den Ausgang der nächsten Schlacht an. Von der Oestreichischen Allianz sagt man es sei gar nicht daran zu zweifeln allein officiell wird doch noch nichts darüber bekannt gemacht. – Denke Dir daß bei den Höfen und in der vornehmen Stadt gesagt worden ist ich sei fort. Die Schuld muß größtentheils an Pasenow liegen der den Fuhrpaß besorgt hat denn beim Plazmajor ist es auch so gemeldet worden. Die Hazfeld hat sich besonders angelegen sein lassen es auszubreiten, und mein erster Gedanke war ihr etwas anzuthun. Ich hatte auch nicht eher Ruhe bis ich ein sehr spiziges Billet an sie wenigstens zu Papier gebracht hatte. Du kennst mich ja darin – es lohnt aber nicht es abzuschicken das Märchen widerlegt sich zu leicht von selbst.

Berlin hat jezt ein ganz neues Ansehn. Des Morgens begegnet man den Leuten Truppweise mit Schaufeln und Spaten die zum Schanzen gehn, des Abends exerciren die LandsturmCompagnien auf allen großen Pläzen. Die beiden Schanzen an unserer Schafbrücke sehn sehr niedlich aus, und wenn sie erst mit Mannschaft und Artillerie besezt sind so kommt der Feind gewiß nicht eher hinein bis | 14v die Schanzen eingeschossen und die Kanonen demontirt sind. Wenn man rechnet daß 30–40000 Mann Landsturm hier sind (nun die lezte Zahl ist wol auf jeden Fall etwas zu groß) und sich diese etwa von 15000 Mann regulären Truppen unterstüzt denkt so muß man glauben wenn alles ordentlich hergeht könnte sich Berlin gegen eine sehr große Macht, die nur nicht mit ganz schwerem Geschüz besezt über den ursprünglichen Text geschriebenversehn wäre, sehr gut halten. – Von der Herz habe ich heute ein Zettelchen gehabt was aber noch älter sein muß als der neuliche Brief von Hanne, denn sie hatte Hanne noch nicht gesehen. Bis zu Dir meint sie würde sie wol nicht kommen können aber wol zu Lotte. Schreibe doch an diese auch recht bald, mir ist es noch nicht möglich gewesen. – Das Stämmchen(?) oder Haus ist wohl und das Geranium auch, aber von Jakob habe ich nichts weiter gehört. Das sage den Kindern, und umarme sie herzlich von mir, und sie sollen machen daß Du mir Gutes von ihnen schreiben könest. Und Frizen bitte noch besonders dringend in meinem Namen daß sie sie doch ja in keinem Stück verziehe. Karl möge es nur natürlich finden daß ich ihm nicht schreibe da ich Dir soviel schreibe, aber er soll mir sagen oder durch Dich sagen lassen wie es dort mit Landwehr und Landsturm geht. – Die Predigt, die ich angefangen hatte als Du wegreistest ist noch in Arbeit; sonst mache ich Neutestamentische Studien und schreibe mancherlei auf und lese meine Collegia ganz ordentlich. Ich muß Dir immer etwas Rechenschaft von dem geben was ich thue, das wird mich auch helfen treiben. Morgen soll ich nun zum ersten Mal ohne Dich predigen, den leeren Stuhl gegen mir über, es wird hart gehen. Möge uns Gott bald wieder zusammenführen, mein liebes einziges Weib. Ich umarme Dich im Geist und drükte Dich so gern recht fest an mein Herz. Gott sei mit Dir und Euch Allen.

Zitierhinweis

3877: An Henriette (Jette) Schleiermacher. Berlin, Donnerstag, 20.5. bis Sonnabend, 22.5.1813, ediert von Simon Gerber und Sarah Schmidt. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0009064 (Stand: 26.7.2022)

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