17 Dec. 1813

N. 66.

Geschrieben dicht vor dem Sylvester.

Ach liebe Luise wenn man an dies Jahr zurückdenkt! Ich kann dir nicht sagen, wie mir zu Muthe, es liesse sich nur reden und auch nur in einem der seltenen, guten Augenblicke, schreiben gar nicht. Freude und Trauer machen ein wunderbares Gemisch, sie wechseln nicht etwa, son dern sie heben sich einander gegenseitig auf, so daß sie fast stumpf von den grossen Weltbegebenheiten stehn. Der Gedanke, und die nächste Zu kunft regt mich gar nicht auf, mit Freude denke ich nur an die kommende Generation, deren Tage ich nicht sehen werde. An mich selbst denke ich gar wenig und es ist auch sehr gut, denn ich habe keine Freude an mir. Ich habe noch nie so bestimmt gefühlt als in der lezten Hälfte dieses Jahrs, dass ich bergab gehe. Es geschieht so gleichförmig von allen Seiten, dass es nicht zu verkennen ist. Mein Glaube fängt auch in seinem speculativen Geschäft an, unfruchtbar zu werden. Ich arbeite schwerfällig, Alles geräth langsam und saftlos. So ist's mit meinem Predigen und Colegienlesen und mit allem Andern. Ich komme aus der Kirche und Niemand sagt mir, dass er besonders ergriffen gewesen ist, und es ist auch Niemand anzumerken; die jungen Leute werden nicht mehr so angezogen; in Gesellschaft bin ich unzufrieden, so dass ich mich auch scheue, irgendwohin zu gehen. Am hellsten lodert noch die Flamme auf im engen häuslichen Kreise, wo ich mich auch inniger und wunderbarer glücklich fühle als je – und da soll sie auch verlöschen.

Zitierhinweis

4003: An Luise von Willich. Berlin, Freitag, 17.12.1813, ediert von Simon Gerber und Sarah Schmidt. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0008975 (Stand: 26.7.2022)

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