Poseriz den 13t Juny –13


Sontag Morgens 5 Uhr

Wie mancher Sontag Morgen ist vergangen, ohne mich bei Dir zu finden. Und, ja wohl fand ich mich darin, aber doch noch lange nicht so wie ich sollte, mir ging der Winter recht traurig hin, ich suchte wohl immer eine andre freundliche Gestalt, aber fand keine – zulezt – aber dies war mir ordentlich schrecklich lieber Bruder – da bemerkte ich daß ich wenn ich so an Dich dachte, Dich Sie nante es wollte mir ganz verschwinden das innige Vertrauen auf Deine Liebe – es stand mir immer vor Deiner Abreise von hir wie Du nicht ein mal für mich wie für Alle einen herzlichen Bruderkuß hattest. Nach langer Mühe, verwand ich dies, und suchte dann an Deinem Geburtstage, Dir eine freundliche Erinnerung abzugewinnen – aber Du weist – dann war ich in Sagard, die alte Neigung Dir mich wieder mit zutheilen erwachte, und ich schrieb und erzählte Dir, ich freute mich lange auf Deine Antwort – Ich dachte mir Dich in dieser Zeit oft, wie ich dies zu kennen meinte – Du würdest es wohl nicht übers Herz bringen können, so ganz mir den Rücken zu kehren – ich weiß wohl wie wir auf den  korr. v. Hg. aus: QualtizerQualitzer Bergen waren, und der Wagen vor dem Müllerhause hielt, ich war bei der alten Müllerin gewesen, eine jugend | 84v Bekante von meiner Mutter, Ihr saßt auf den Wagen, die alte Frau hatte ein kleines Maal bereitet, und sich mühsam geputzt, in der Hoffnung wir würden es nicht verschmähen – Du erfuhrst das nur recht, wie unser Wagen wegfuhr – und es that Dir leid, daß der alten Frau eine Freude verdorben sey. Du hattest Lust, auch zu halten und ab zu steigen, aber die Andern wollten es nicht so etwas wuste ich wohl – aber er half mir doch nicht, zulezt fiel mir dann öfter ein was man mir sagte, wenn ich Blumen in Dein Zimmer trug, „meine Beste Du irst Dich wenn Du glaubst daß er darnach sieht“ – Ja wohl irte ich mich woll oft, aber hir doch nicht meinte ich.

Wie Du nun aber ganz still bliebst, ich nicht ein mal einen Gruß bekam – da fand ich mich darin, wie man sich findet lieber Bruder, ich finde mich ja auch darin, daß ich ohne Ehrenfried leben muß daß nicht ein mal sein Grab zu finden ist, was ich so gerne bezeichnen wollte – wer weiß indeß ob mir das Glük nicht noch wird –

Nun ich Deinen Brief bekommen habe mögte ich wieder recht viel an Dich schreiben ich dächte nicht daß es möglich sey, so um nichts und wieder nichts keinen Brief zu haben | 85 ich suchte natürlich die Schuld in mir ich dachte „Hänget euer Herz nicht daran“ – und suchte, mich nicht zu grämen.

Jezt hoffe ich gewiß wirst Du die Deinigen wieder bei Dir haben, ich mag mir sie gar nicht denken, auch nicht einmal in der Himlischen Gegend ohne Dich, und Dich nicht ohne sie – Ja Schleiermacher – hätte ich es können ich wäre nach Berlin gegangen wie hier alles flüchtete – ich hätte gar nicht bei Dir wohnen wollen, nein nicht die geringste Sorge oder Verpflichtung hättest Du für mich haben sollen, nur bis weilen sollte in Deiner Verlaßenheit meine Nähe erquikkend für Dich sein – ich hätte es schon machen wollen, glaube mir nur – und weist Du was ich gethan hätte wenn ich statt Christianes diese Zeit bei Euch gewesen wäre? ich wäre nicht mit gereist nach Schlesien, sondern hätte Jettchen gesagt daß ich zurük bleibe Dir aber nicht, denn Du würdest es nicht gelitten haben, wäre zum Schein mit von dannen gefahren in der Stadt aber schon abgestiegen, und mich bei Reimers oder Wewezers einquartirt, und dann so weiter – plözlich zu Dir gekommen, und nicht gewichen, und hätte Dir in Deinem Zustand schon lieb sein sollen, ganz gewiß. Übrigens – ach sag ein mal was wird daraus | 85v werden? – etwas freilich ist schon geworden, daß die braven Preußen, sich als ein tapfres Volk zeigen! daß sie jeden Flecken verlöscht haben – aber was nun weiter? o Gott! – Wird denn der Waffenstillstand zum Stande kommen? jezt in diesen Augenblik wie ist es mit Östereich? – mit welcher Sehnsucht verlangt man immer nach jeden Posttag – und imer kömt nicht das Erwünschte. Hier sind nun die Schweden – aber was kann unser Kronprinz wenn man ihm nicht die versprochenen Truppen liefert? – es ist schreklich, warum geschieht es nicht? Ists denn wahr das Carl Sack verwundet ist? – es stand in den Berliner Zeitungen, sag, ists bedeutend –? Schleiermacher wie herrlich ist der Muth der dort alles beseelte aber – wenn nun doch alles umsonst wäre? all das schöne frische Leben umsonst bluten müste, nein es kann, es kann nicht sein – Hir ist es so todt – so todt und kalt Du glaubst es nicht – nur ein mal hätte ich in dieser Zeit dort sein mögen warum konnte diese Zeit nicht einbrechen wie ich in Berlin war? – Hör weist Du woll, daß ein Leben voll Gefahr, voll Mühe und Arbeit, beßer ist als ein | 86 bequemes ödes Leben? – Schleiermacher, wenn Du nun mein lieber Bruder bist, dann kann ich ja wohl freundlich Dich bitten, ach laß mich ein mal wieder bei Euch sein? nicht Jahre, nur Monate ja, will ich es gern – Auch mögte ich Euch nicht gerne wieder so kostbar werden – es haben sich ja auch die Zeiten geändert – nur ganz stille mögte ich bei Euch leben, und zu den Deinigen gehören – Du glaubst nicht wie lieb es mir war, wenn die Leute in Berlin Dich bisweilen mein Schwager nanten.   Siehe nun ist mir wieder ganz so zu Muthe wie sonst, sonst hätte ich Dich ja auch nicht um dieses Bitten können –

Wo ist denn nun die Herz geblieben? sie war ja in Breslau – Du verläßt sie doch wohl nie? – wie steht sie allein – sie mehr noch däucht mir wie manche Andre – mit oder ohne Schuld – höchstens doch des Schiksaals Schuld – ihr blühte ein Leben – was vielen nicht blühte aber warn nicht viele taube Blüthen darunter? – hat sie Dir geschrieben?

Ist es nicht sonderbar das mir ist als bekäme ich bald wieder einen Brief von Dir? bitte doch Friederieke daß sie ja ein wenig zu früh anrichtet.

An Jettchen hätte ich gerne geschrieben aber es muß sich ja nun bald zeigen wo sie ist, so aufs Ungewiße mag ich nicht. Wären sie nur erst alle wieder in Berlin –

Den 14ten – Ich muste schließen Gestern, und für unsern Officir Frühstück zu besorgen, Milch auf zu seihn us.w | 86v nachher ging ich in die Kirche, wärend der Predigt hielt ich einen sanften Schlaf – glaub nur daß das beßer ist als wenn ich mich zum wachen zwinge – Friederike Schubert fand die Predigt schön, ich kann nicht darüber urtheilen und gönne ihr die Erbauung – Etwas muß ich Dir noch erzählen nein Schleiermacher was zu Himlisch war, wobei ich immer und immer denken muß: „wäre doch jetzt Schleiermacher hir genüße doch“ er es – Nun aber erst von dem Gestrigen Tage. Wir waren in Sißow, doch nicht Sophie, die sich immer noch ihres Kopfes wegen sehr schonen muß.

In Sißow waren die Göttemizer, und Julchen Hochwächter, und mit uns noch 2 Fräulein Schubert aus Stralsund. Wir Fraun fuhren auf 2 Wagen nach Prosnitz wo der Cronprinz erwartet wurde, er war auf der Schanze, unsre Herrn ließen uns allein fahren, theils waren sie zu bequem, theils zog sie das Spiel zu sehr an – nachdem sie sich alle Mühe gegeben hatten uns abzureden, sezten wir uns, uns unsers eignen Schuzes anvertrauend auf den Wagen und fuhren davon. Luise Benda und ich, voran, auf den Kutschbock, die Kathen und die Mühlenfels, auf den an- dern – auf den zweiten Wagen – Julchen und Lotte Hochwächter – Lina Kathen – Friederike und Minna Schubert. Der ganze Weg wimmelte von Officir und Soldaten die des Cronprinzen halber in Bewegung waren – uns ward freilich ein wenig unheimlich zu Muthe so ganz ohne Männliche Begleitung zu sein – doch musten wir | 87 den Männern Troz bieten – und unser Vorsaz ausführen ein sanfter Regen, den die Männer uns profezeiht hatten – träufelte auf uns herab – doch war die Luft wieder so himlisch schön, daß er uns, wenn auch unsern Hüten und Tüchern – nicht schaden konnte – doch wurden wir fast zweifelhaft ob wir nicht lieber umkehren wollten – da sah ich Ruz mit Mienchen fahren – ab rufen konnten wir sie nicht mehr aber Lotte Hochwächter mußte vom Wagen und ihnen den Weg nach Sißo verweren – Die Pferde wurden um gelenkt – und Mienchen und Ruz doch ein Mann sezte sich auf unsern Wagen – und so fuhren wir den Kronprinzen entgegen der nun eben von der Schanze kommen muste. Er begegnete uns auch sehr bald mit seinen Generälen auf einen ofnen Wagen, wir empfingen seinen Gruß und hatten was wir wollten. Wenn man ihn übrigens ein mal gesehen hat, so vergißt man sein Gesicht was sich so leicht eindrückt – wohl nicht wieder. Ich hatte das Glück ihn bei seiner Ankunft in Stralsund schon ganz nah zu sehen, ich war nehmlich mit Schuberts auf dem Guvernementshause wo er ab trat, und lag in einem Fenster, im untern Stock, so daß ich ihn beim hereinkommen grade ins Gesicht, und weil er grade redete ins Auge faßen konnte – Er hat sehr imponirende Züge – so daß man wohl Vertraun zu ihm faßen kann – aber was hilft es alles – wird es helfen Schleiermacher? – steht Dein Glaube fest? Jezt noch, ach | 87v sprich doch was Du sprechen darfst! Östereich will den Waffenstillstand, liegt dadurch nicht Östereichs Gesinung klar am Tage – ist nicht Preußens Stellung, wenn dem so ist, die Gefahrenvollste? wie konnten sie sich mit Plaan so weit nach Schlesien hinein ziehen? nun sind sie ja zwischen den Franzosen und Bömen – das schöne Schlesien – die braven Preußen – Und man hört immer so viel – fast lauter Lügen.   Bendas sind sehr unruhig – ich begreife nicht daß Er bleibt – Luise bleibt gewiß bis die Franzosen dort wieder weg sind[.] Es hat doch dies woll niemand geglaubt, wie konnten sich sonst so viele Menschen nach Schlesien flüchten – Die Herz ist ihnen doch recht in die Arme gelaufen wenn es wahr ist daß sie in Breslau sind. Hat sie gar nicht geschrieben? Christiane hat schon 2 mal aus Schlesien geschrieben – Die steht viel Heimweh und Sehnsucht aus, so bald sie wieder in Berlin ist, wird wohl Anstalt gemacht sie her zu bekommen.   Willichs Knaben sind wieder in Altenkirchen bei Baiern.   Seit Ihr hir ward bin ich noch gar nicht auf Wittow und nur 2 mal ganz kurz in Sagard gewesen. Seit die Gadebusch nicht mehr hir ist habe ich Sophien nicht verlaßen mögen, da sie eigentlich den ganzen Winter unwohl gewesen ist. Auch Heute da Schlichtkrull mit den beiden Schuberts nach den Garzer Markt ist, sind wir beide zu Hause, mir ist dies ganz recht, so kann ich diesen Brief beendigen, und Morgen, wenn nach Stralsund gereist wird mit schicken | 88 so bekömst Du ihn am Sontage.

Ich danke Dir sehr daß Du mir Nannis Brief beantwortetest, wenn Du Dich für jede Sünde durch ein so gutes Werk zu reinigen weist, so kannst Du es immer wieder wagen.   Sollte denn Nanny so wieder aus Schlesien kommen müßen, ohne ihre Mutter gesehen zu haben?   Und Harscher ist richtig in Berlin wieder angekommen? ich hatte es schon durch Twesten gehört daß er abgegangen sey – nein nun gebe ich die Hoffnung für ihn auf – was hilft ihm denn ein solches Leben? wie kann er es so lieb haben – am Ende – wenn er doch nur wäre ein thönendes Erzt und eine klingende Schelle –? – wie schön konnte er immer sprechen welche klare Anschriften konnt er oft geben über andre Menschen und Verhältniße – es ist wirklich ein Jammer um den Harscher, Du siehst ihn gewiß jezt wenig – ich begreife es daß weder Deine noch Marwiz Nähe jezt mehr wohlthetig auf ihn wirkt – es thut mir doch recht leid um ihn, aber wenigen Menschen wird es doch auch nur so gut als ihn, wenigen wird mit so vieler Liebe nach gegangen, von dieser Zeit hoffte ich recht viel für ihn, denn gewiß liegt ein großes Heil für viele Menschen darin, ich fühle es recht lebendig lieber Bruder – so viel Schmerz sie auch mit sich führt.

Beinah hätte ich vergeßen Dir zu erzählen wo ich gewesen, und wo ich Dich so sehr auch wünschte, auf einem großen Englischen Kriegsschiffe Schleiermacher, es hatte den Herzog von Braunschweig gebracht | 88v lag mit einer Flotte von noch an hundert Schiffen auf Port. Wilhelm Schubert, hatte vom Admiral des Schiffes ein offnes Empfehlungsschreiben, an den Kommandör desselben, worin ihm besonders zur aufmerksamsten Behandlung die Laddys welche in der Geselschaft sein würden empfohlen wurden, und dies war für uns von dem grösten Vortheil. Wenn ich nur gewiß wüste daß es Dir nicht langweilig würde, so mögte ich Dir gerne die ganze Reise erzählen doch dafür brauche ich mich ja im Grunde auch nicht zu fürchten. Du brauchst ja nur nicht weiter zu lesen, als es Dir Vergnügen macht.

Am letzen Pfingsttage war Regierungsrath Schubert mit seiner Familie hir, muste aber den Abend zurük, und lies 2 von seinen Töchtern hir, Abends spät kam Wilhelm Schubert, und proponirte uns diese Reise nach dem Schiff. Schlichtkrull ließ sich willig finden, seinen Carl und Pferde und Wagen dazu herzugeben, Sophie befand sich so daß ich den freund- lichen Aufforderungen die Parthie mit zu machen gerne nachgab, und am Dienstage den 8ten also, Nachmittags gegen 5 Uhr sezten wir uns auf den Wagen das heist: Friederike und Miene Schubert, ich und ein Student aus Greifswald der uns besuchte. Schubert war schon den Morgen nach Garz ge | 89gangen wo wir ihn treffen sollten. Unsrer Geselschaft schloßen sich noch einge Bekante von Schubert an, die mir aber alle nicht recht behagen wollten, und das war für mich das einzigste Schade bei der ganzen herlichen Sache – hätte ich mit diesen Leuten dieselbe Reise durch Schlesien machen sollen? nein – die Menschen sind doch bei allem das Beste.

Na Sieh Schleiermacher, erst waren wir nun noch ein Stündchen in Garz, wo ein Herr Wellner aus Greifswald war der sich mit auf unsern Wagen sezte. Lotte Pistorius fand ihn interreßant darum freute ich mich wie er wünschte bei uns zu sizen – Du kennst aber Lotte, wie sie oft Menschen zu etwas machen kann durch ihr eignes Licht was sie ohne es selbst zu wißen auf sie wirft – oder auch ein gewißes Bedürfniß läst sie finden was sie wünscht – in den lezten Fall mag ich auch wohl bisweilen sein – aber – nein ich fand doch nicht was sie meinte ich saß mit Schubert in ein Stuhl, den kenst Du – er ist ein gutes, aber ein gar zu pedantisches Blut, ein zweiter Rühs. Es ging nun um 6 weiter vorwärtz über Puttbus – hör wie es da herlich war kann ich Dir nicht sagen – es war ein so schöner Abend wie wir fast noch nicht gehabt hatten – und ich genoß es recht im stillen, ich mogte gar nicht sprechen und hätte gerne mehr liebe Menschen neben mir gehabt. Kurz vor Sonnenuntergang waren wir in Filmiz, eine halbe Meile etwa von Puttbus – ich weis nicht ob Du dies liebliche Dörf | 89vchen kennst? man hat sehr schöne Ansicht vom Berge, worauf die Kirche liegt. Unsre Pferde wurden hir gefüttert, wir selbst aßen unter freiem Himmel Abendbrod, und dann gingen Alle nach dem Kirchhofe wo wir uns lagerten und den lezten Stral der Sonne begrüsten die wunderschön unterging.   Unsre ganze Geselschaft war nun bei einander. Ein Herr Gesellius mit seiner Frau, aus Stralsund, Hanoveraner von Geburt – ein Herr Torsban, ein Bruder von Madam Gesellius – eine Art von Harscher – doch scheint er mir lange nicht von der Bedeutung zu sein. Er lebt in Stralsund von seinem Vermögen hat studirt, lebt aber übrigens nur so, mit den Wißenschaften sich beschäftigend und greift bis jezt nicht ins thetige Leben ein, weil ihm die Verhältniße der Welt nicht gefalen. Dann der Herr Welner – Zechin der Student – Wilhelm Schubert, und seine beiden Schwestern. Madam Gesellius mogte ich gar nicht leiden. Du weist sonst daß ich ziemlich genügsam bin – noch weniger den Herrn – dieser wollte immer wizig sein – denke Dir wie ärgerlich dies war – es war ein so schöner stiller Abend, die Nachtigal schlug so schön, aber von seinem Geschrey konnte man es nicht genießen. Der Torspan war dann wieder wüthend daß er nicht schwieg u.s.w. dann ging es weiter, aber obgleich wir Mondenlicht hatten, wurden doch nachgrade die fernen Gegenstände sehr undeutlich, | 90 so daß wir doch dadurch die mannichfache schönen Ansichten auf diesem Wege den ich zum ersten mal machte verlohren. Zwischen 2–3 kamen wir in einem Dorfe auf Mönchgut, Gören ganz nah bei Peert an. Hir wollten wir einge Stunden ruhen, unsre Wagen hielten, die Männer  korr. v. Hg. aus: reconnocirtenrecognoscirten das  korr. v. Hg. aus: TairenTerrain – kamen aber mit der traurigen Nachricht zurük es sei nicht möglich für den Damen, es sei zu schmuzig(?) wir müsten auf den Wagen bleiben – das war auch schauderhaft, im eigentlichen Verstande denn es fing uns in der kühlen Morgen Luft die wir schon merkten wirklich an zu schaudern. Der gutmüthige alte Mönchguter bot uns also seine Scheune an – aber denk Dir wie viel Schweden schon mogten in demselben Stroh gelegen haben sage nicht „ah Pimpeline“ Du kennst nicht die Begleitung die die Gemeinen mit sich führten indeß, ward mir so ehrlich versichert es sey Niemand in der Scheune gewesen, daß wir dem Zureden nachgaben – Friederike Schubert und ich konnten aber nicht schlafen es war uns ganz vatal in dieser fremden Gemeinschaft zu Muthe – mit Sonenaufgang gingen wir von dannen – den Bergen zu, das Dorf lag im Grunde, der Herr Torsban folgte und begleitete uns, Schleiermacher und nun hättest Du da sein sollen, nur um Deinetwillen, nicht für mich wünschte ich es! Sieh da standen wir auf der Spize von Peert rechts die große Flotte die von der aufgehenden Sonne beleuchtet ward – das Meer still, keine | 90v Welle kräuselte sich – links Jasmunds Ufer – und im Rücken das ganze kleine Mönchgut selbst – Du kennst diesen Standpunkt, also darf ich Dir darüber nichts sagen. Auf dem Meere aber mögte ich mit Dir noch ein wenig bleiben. Ich wuste wie Dir es gewesen wäre bei diesem Anblik – es waren die Englischen Schiffe die Schwedische Truppen gebracht hatten, welche auch schon debarkirt und durch Rügen nach Stralsund gegangen waren. Die Schiffe lagen wie eine schöne Stadt in stiller Ruhe vor uns dar das Kriegsschiff an der Spitze, zählen konnten wir sie nicht, so viel Mühe wir uns auch gaben – aber nun können wir wahrlich länger nicht hir stehen bleiben, denn ich habe noch viel zu erzählen, und ich mag Sophie auch nicht so lange allein laßen – auch muß ich mich nachher noch mit unsern Oficir unterhalten, der deutsch spricht und die Unterhaltung sehr liebt – Die guten Schweden sind ein wenig langweilig – eine Stunde mochten wir wohl auf den Bergen gewandert haben da erinnerte uns unser Begleiter an der Heimkehr zu unsern Dorf – wir fanden unsre Geselschaft zum Theil noch schlafend – es ward ein klägliches Frühstük avanzirt – dann die Toilette gemacht, um der Laddyschaft doch einge Ehre zu machen – ich hatte nicht beßer wie ich glaubte dafür sorgen können als mit dem hübschen blauen ChinzenKleide von Jettchen, nebst gehörigen Decorationen – nachher | 91 sah ich daß die Botsknechte grade solche Hemden anhatten – um 7 fuhren wir fröhlichen Muthes Philipshagen zu, hir wurden wir noch mit Austern bewirtet. Die Majorin war nicht zu Hause. Die Töchter wollten gerne mit fahren, aber ihre alte Tante wollte es nicht, ich will mich doch wahrhaftig hüten keine alte Tante zu werden. Nun ging es weiter der Brücke zu, der hiesige schwedische Officir begleitete uns, weil ohne deßen Erlaubniß nicht geflagt werden durfte. Um 8 etwa waren wir auf der Brücke – nun ward geflagt von unsrer Seite das heißt: an einer Stange die dort steht eine Flagge (nicht etwa ein Tuch) gestekt – auf dies Zeichen ward sogleich vom Kriegsschiff was anderthalb Meilen ohngefehr in See lag wieder geflagt – nun muste von unsrer Seite zum zweiten Maal das selbe geschen zum Zeichen  korr. v. Hg. aus: dasdaß jemand an Bort des Schifes wolle. Bald sah man nur eine Gondel abgehen, die mit unendlicher Schnelligkeit das Ufer erreichte – alle diese Vorbereitungen, waren unendlich interreßant – könnte ich Dir schon diese Gondel beschreiben so lang wie Deine Stube, aber ganz schmal – schmäler schien sie wie die Sasnizer Bänke (?) könnte ich Dir den taktmäßigen Ruderschlag zeigen und dann wie auf ein Wink des Oficirs – die 12 Ruderer in einem Moment als Begrüßung schien es, die Ruder | 91v in die Luft richteten, sie senkten und mit Behendigkeit in ihren Fugen legten – das waren nun alles Engländer, wie auch die ganze Besazung des Schiffes. Der Officir sprang heraus, und unsre Herren gaben ihm das offne Blatt nebst noch einem Brief vom Admiral an Kommandandör. Der Admiral ist in Stralsund. Er las das Blatt, und sagte es würde so gleich eine anders arangirte Chalupe kommen. Gesezt und abgegangen war eins – Es verging nun wohl eine halbe Stunde zwischen dem Ankommen, und Abgehen der Chalupe am Schif – so wie sie aber abging wurde sie mit eingen Kanonenschüßen begleitet – nicht lange so war sie da. Ein größres schöneres Werk war das, der Fußboden wo wir saßen mit Teppiche belegt, ein anderer Officir der uns hinn führte – beschäftigt freie Mäntel auf unsere Size und Rüklehnen zu breiten – Nun ging unsre Laddyschaft an das spürten wir deutlich – Herr Caspar, konnte glüklicher weise englisch sprechen nun ging es in See –! Schleiermacher! Die Meeresfläche war still wie ein Spiegel – und blau wie das schönste Ultramarin – wie herrlich, herlich war das Meer – vor uns lag die Flotte – bei dieser Meeresstille, schnitt dennoch die Chalupe mit einer Schnelligkeit durchs Waßer | 92 als würde sie vom stärksten Winde getrieben ich fragte: „welches ist denn nun von diesen das Kriegsschiff“? Der Oficir, der nichts als englisch sprach lies sich sagen, was ich gesagt habe – und auf einen Wink, war die Chalupe eine andre Lage, und grade vor uns lag das große herrliche Gebäude, was durch unsre Seegel mir nicht sichtbar gewesen war. Und immer näher kamen wir nun dem Schiffe, immer näher – ich kann es nicht läugnen daß mir das Herz etwas klopfte diese Höhe – es war mir als solle ich von unsern Hof in Sagard, in die Kornbodensluke steigen – immer näher kommen wir, jezt ganz nah – und es wurden die Kanonen gelöst! nun hatte ich Muth!! wir hatten eine fürstliche Aufnahme, und wir Laddys fühlten das und namen uns mit vielen Anstand dabei das kanst Du glauben. In einem Moment waren die Segel herunter und die nettgekleideten Bootsleute 16–20 in Bewegung, der Oficir bat, die sämtlichen Männer an einer Treppe hinauf zu steigen, für uns würde andre Veranstaltung getroffen werden. Die Männer gingen und wir Laddys blieben unter dem Schuz der Engländer. Bald ward vom Schiff herunter gesenkt, ein Reife mit seidnen Bändern bewikelt, eine art von Luftbalon so nenne ich es poetischer Weise, sonst war es mehr eine art von Stuhl, doch saß man ganz bedekt darin, nur vorne war es offen – ein florartiges Zeug, wie ein großer Schaal lag darin, wovon das eine Ende im Stuhl liegen blieb | 92v so daß man die Füße drauf sezte – saß man nun, so ward man in diesen Flor gehüllt so daß man wie eine Göttin in den Wolken schwebte – wie nun Nanny und Jettchen in der Erde Tiefen fuhren, so schwebten wir zu des Himmelshöhen – nun muß ich hinunter zu Sophie und lieben Dränert(?) – Sophie ist so schön mit ihm im Zuge, daß ich noch ein bischen weggegangen bin, ich muß mich nun auch sputen, damit Morgen der Brief mit weg kömt, Sophie kann noch nicht mit fahren also will ich nur lieber bei ihr zu Hause bleiben.

Madam Gesellius schikten wir zuerst hinauf – dann kam ich, bei unserm Empfang wurden noch ein mal die Kanonen gelöst und mit voller Music ward ich aus den Seßel gehoben, der Kommandör empfing uns die andern Oficire standen in einger Entfernung die Soldaten hatten ein Herz formirt – Kurz wir wurden hir empfangen wie der Kronprinz in Stralsund empfangen wurde.

Schleiermacher – ach davon will ich aber gar nicht reden könnte ich dir nur das Sein in der Mitte der Flotte, das Sein auf diesem Gebäude recht anschaulich machen! – Wir waren nun auf dem Verdek, das Waßer rürte sich nicht, und das Schiff lag also ganz stille, ach warum konntest Du, warum Ihr Alle auch Nanny nicht da sein, die so viel Freude schon an der Hiddenseerreise hatte | 93 Von der Größe, von der Nettigkeit von der Ordnung dieses Werkes hat man keinen Begriff wenn man es nicht sieht! wir wurden nun von den ersten Officirs durch einge Vorzimmer, in das Admirals Zimmer geführt deßen Fenster uns die Aussicht öfnete auf einen Teil der Flotte rechts – weiter links die Richtung nach Bornholm, und noch weiter Jasmund – Mönchgut – kanst Dus Dir nun woll vorstellen? das entzückende war mir überhaupt, was ich vom Schiff sah, auf dem Schif bewunder, und verwundern immer – Das Admirals Zimmer war ohngefehr von der Größe Eures Saals – worin 3 Sophas einge Seßel – ein schöner runder Tisch und viele Kupferstiche waren, unsers Kronprinzen Bildniß was ungeheuer ähnlich war, wurde uns zuerst gebracht – Jezt began eine Reise auf oder durch dem Schiff, was 3 Stock hatte in dem oberen Stock waren die Zimmer im 2ten Küche, Schmiede – lebendiges Vie – Militair – us.w. im unteren Lazaret, Kadettenanstalt – Arsenal ach ich weiß es nicht alles zu nennen – aber ein Arsenal war es – nein Schleiermacher die Waffen, es ist nicht zu sagen welch ein Glanz welche Schönheit! der Stahl – So(?) als käme [man] in Berlin in einen glänzenden Laden – dieser | 93v Stock ist schon ganz unter Waßer, und es muß diese ganze Etage erleuchtet werden. Die Oficire die uns führten hatten jeder noch eine Leuchte in der Hand. Denke Dir daß wir die Promenade nun in der Meerestiefe machten –

Nun muß ich wieder hinunter – wenn ich nicht ganz fertig werde so erzähle ich in meinem nächsten Briefe weiter, wenn Du artig bist und mir antwortest. Ich sehe eben die Blätter nach – mein Himmel nein das muß das lezte sein sonst wird es Doppelporto – Ich kann es nicht verlangen daß Du es alles liest – ich sehe mich im Ernst – aber wirklich ich hab es nicht gewußt ich begreif auch nicht, was das alles sein kann – ich kann es jezt nicht nach lassen.

Den 15 Morgens – ich stand sehr frühe auf um noch etwas zu schreiben, aber ich bekam zu thun in der Milchkammer, habe nun alles Frühstük besorgen müßen und so ist die Zeit hin –. Nur dies, und unser Gruß und unsre herzlichen Wünsche. Grüße alle Freunde – Empfiehl mich auch Twesten, Du siehst ihn doch woll oft. Du warst sein Hauptgrund weshalb er den Aufenthalt in Berlin vorzog. Grüße die Spalding, ich habe diesen Winter wieder an sie und noch an einge Andre in Berlin geschrieben, die Briefe aber nicht absenden mögen – aber ich muste doch etwas haben. Man kann ja so etwas in sich flegen und hegen – und oft ists beßer als spricht mans aus – und es wird nicht aufgenommen. Die kleine Carolin, finde ich, und mehrere von uns, sieht Lieschen ein wenig ähnlich – weiß wohl das süße Kind noch von mir? Grüße mir die Kinder – meines Ehrenfrieds liebes kleines Jettchen – und Friede! adieu. Luise

Zitierhinweis

3914: Von Luise von Willich. Poseritz, Sonntag, 13.6. bis Dienstag, 15.6.1813, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007851 (Stand: 26.7.2022)

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