Breslau den 13ten

Ich würde Ihnen Bester Schleier schon längst wieder geschrieben und für Ihren mir so besonders lieben Brief gedankt haben, wenn ich Ihn nicht zu einer Zeit bekommen hätte, wo ich nicht zum Schreiben kommen konnte, Tiecks waren nemlich drey Wochen hier, mit der Gräfin Henriette Fin kenstein, es war eine sehr angenehme Zeit, Tiek hat uns viele herliche Sachen vorgelesen, und war überhaupt so äuserst heiter und freundlich,  korr. v. Hg. aus: dasdaß ich mich nicht genug freuen kann Ihn hier gehabt zu haben, es ist wirklich ein ganz herlicher Mensch, der lange nicht genug in der Welt geschätzt, und anerkant wird, sagen Sie mir doch, lieber Schleier, ob Sie Ihn genau kennen? die Gräfin Finkenstein hat eine ganz göttliche Stimme und singt lauter alte schöne Sachen, das war auch ein rechter Genuß für mich so ist die Zeit nur zu schnell ver | 57vstrichen, und ich fühle mich nun doppelt einsam. – Ich habe ein herzliches Verlangen wieder von Ihnen und den Ihrigen zu hören, Bester Schleier, und Sie tuhn mir gewiß die Liebe bald zu antworten. – Von Steffens habe ich die lezte Nachricht vom 28sten aus Eisenach, bis dahin war es Ihm sehr gut gegangen, Er wird auf Gneisenaus Bitte eine kleine Schrift von 6 Bogen etwa über diesen Feld zug herausgeben, woran Er jetz an Ruhetagen arbeitet, Sie wird nägstens unter seinem Nahmen heraus kommen.

Eine Stelle in Ihrem Briefe hat mich recht wehmühtig gemacht, ich bin aber überzeugt,  korr. v. Hg. aus: dasdaß Gott Sie den Ihrigen, und uns Allen, noch recht lange erhalten wird, lieber Schleier, es ist aber gewiß sehr nothwendig  korr. v. Hg. aus: dasdaß Sie den nägsten Sommer ein Bad brauchen, und da wird mir denn auch die Freude werden, Sie | 58 wieder zu sehen, und Ihre Frau kennen zu lernen, nach Schlesien würden Sie doch gewiß nicht reisen ohne auch nach Bres lau zu kommen, wer weis aber ob wir bis dahin nicht alle ausgestorben sind, denn hier grassirt ein fürchterliches Fieber, was die Menschen schnell angreift, besonders viele Aerzte, die sich um die Lazarette verdient machen, sterben daran, vor wenigen Tagen ist unser Artzt, der Medizi nalRath Klose begraben, und heute ist seine Frau Ihm nachgefolgt, auch Raumers Ihr Artzt liegt ohne Hoffnung, und gestern ist eine Mamsell Döne(?), die bey der Marwitz war auch an dieser Krankheit gestorben; so hört man Nichts wie trauriges, und muß sich an den herlichen Dingen die in der politischen Welt geschehen wieder erfrischen, es ist wirklich über alle Erwartung vortrefflich gegangen, und Gott wird weiter | 58v helfen wie Er uns bis jetz beygestanden. – Von unserm lieben Marwitz wüste ich so gerne, seit Tieks Ihn in Prag verliesen, hörte ich Nichts von Ihm, damahls war es sein Wille gewesen, in 14 tagen, über hier zur Armee zu gehen, nun habe ich immer in der Hoffnung gelebt Ihn hier zu sehen, und es hette mich unendlich gefreut, doch ist Er gewiß einen andern Weg gegan gen, da ich mir nicht denken kann  korr. v. Hg. aus: dasdaß Er noch in Prag sey. Tiek hatte sehr schöne Stunden mit Ihm dort verlebt, der Levy gönne ich aber auf keinen Fall die Freude Ihn gepflegt zu haben, und ich wolte lieber sein Schicksal hette Ihn hier hergeführt, sagen Sie mir was Sie von Ihm wissen, lieber Freund, darum bitte ich sehr dringend.

Wenn Sie die Witwe des braven Röders gefunden, müssen Sie mir auch | 59 sagen, nach Allem was mann mir hier über Ihre Stimmung gesagt, glaube ich  korr. v. Hg. aus: dasdaß Sie sich eine solche Vorstellung davon gemacht, es muss eine recht treffliche Frau sein. Die Spalding kann ich mir recht so denken, in Ihrem Schmerz, wie Sie Sie schildern, die Alberthal ist mir immer sehr leichtsinnig vorgekommen. –

Mir ist in dieser Zeit etwas sehr unangenehmes begegnet, ich bin nem lich ganz von Schultzens getrent, mit Dehnen ich so innig gelebt, und ich weis bis diesen Augenblik nicht wodurch, es muß ein MißVerständniß, oder eine Klätscherei daran schuld sein, die ich nicht ergründen kann, ich mag die Sache nicht nochmahl erzählen der Alberti schrieb ich Sie vor einiger Zeit lassen Sie Sie sich von Ihr sagen, wenn Ihnen was daran liegt, es kränkt mich mehr als ich sagen kann, auch das tuht mir weh  korr. v. Hg. aus: dasdaß Schultzens sich auf eine Art benehmen, die ich Ihnen | 59v nie zugetraut, da ich von beiden viel gehalten, ich habe nun noch einen Versuch gemacht es aufzuklären, wenn ich den Erfolg weis schreibe ich Ihn der Alberti; die Welt wird diesen Bruch ansehn, als die högste Undankbarkeit von meiner Seite, da wirklich Schultz sehr freundschaftlich für mich gesorgt diesen Sommer, und das erkenne ich von ganzem Herzen, ich höre aber  korr. v. Hg. aus: dasdaß Schultz es schon öfter mit seinen Freunden eben so gemacht, und muß auch durchaus Ihm die Schuld mehr als der Frau beimessen. –

Mein Clärchen ist fortwärend gesund und macht mir Freude, ich lebe ganz einsam hier in der geräuschvollen Stadt, und sehe nur Rieckchen,  korr. v. Hg. aus: dasdaß wir zusammen wohnen ist uns sehr viel Werth.

Erfüllen Sie meine Bitte mein lieber Freund um baldige Antwort und grüßen Sie die Ihrigen sehr. Hanne

Zitierhinweis

3982: Von Johanna (Hanne) Steffens. Breslau, Sonnabend, 13.11.1813, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007788 (Stand: 26.7.2022)

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