Sonntag d 30t. Mai

Mit welchem gepreßten Herzen seze ich mich hin dir zu schreiben liebes, jezt für mich vielleicht auf lange ganz verlorenes Weib. Wirst du je diese Zeilen lesen? wird, und wann und wie wird die Zeit kommen die uns wieder vereint? Gott! Gestern schreibe ich Dir noch mit der fröhlichsten Hofnung daß du zurükkommen sollst; wir wußten nichts von dem Rükzug der Armee auf schlesischen Grund und Boden, ich glaubte es so gern und leicht, daß auch das Ausbleiben der Post anders zusammen hing – und nun bekommen wir heute die Nachricht von dem glänzenden Gefecht bei Haynau! Es hat mich wie ein Donner getroffen. Wie mag Dir nun zu Muthe sein! und wo magst Du sein? Sizest Du in einem böhmischen Winkel ohne irgend eine befreundete Seele? oder bist Du noch in Schmiedeberg in Angst daß Du jede Stunde fort mußt? Und ich der ich Dein Rath und Schuz sein sollte size hier! O ich mache mir die bittersten Vorwürfe daß ich dich aus verruchter Unbeholfenheit habe reisen lassen! O Gott es ist eine schwere schwere Prüfung und ich weiß nicht wie ich sie überstehe. Mein süßes Herz! habe ich mich nicht schwer an dir und den Kindern versündigt? Habe ich nicht muthwillig das härteste Schiksal beschleunigt was erst aus großen Begebenheiten hätte hervorgehn sollen? Bist Du nicht einsam und verlassen als ob Du schon meine Wittwe wärest? Es wird mir alles so trübe daß ich es dir nicht beschreiben kann, und auch für die große Sache wird mir bange. Dieses ewige Zurükgehn schwächt | 26v nothwendig den Muth und verwirrt alles. Von Oestreich ist alles still und also darauf gar nicht zu rechnen, der Kronprinz von Schwe- den zögert auch sagt man weil er nicht findet was Rußland und Preußen ihm versprochen haben. Und das Volk? Mein Gott ist auf das zu rechnen? Wie viele giebt es die ein Gefühl vom Vaterland haben? Es kann sein daß Hamburg in diesen Tagen fällt – O Gott mein Herz kann der Einzelne für sich etwas besseres hoffen als einen edlen Untergang. Du süßes Weib das ich in mein Schiksal verflochten habe, hätte ich dich wenigstens an der Hand! schaute ich Dir ins Auge, wärmten und stärkten wir unsere Herzen an einander! Meine innige Liebe zu dir und den Kindern – aber ich gestehe es Dir doch die Kinder sind mir in diesem Augenblik sehr untergeordnet weil sie noch so unbewußt sind über alles dieses, tief im Grunde liegt freilich eine ungeheure Liebe auch zu ihnen die in jedem Augenblik eine Löwenliebe werden könnte – diese Liebe ist das einzige süße Gefühl, aber wie verzehrend süß. Jette Weib meines Herzens ich muß aufhören, ich muß mich losreißen, ich bin zu aufgelöst.

Dienstag Abend. Nachdem ich heute nicht weniger als vier Briefchen an Dich geschrieben und abgeschikt und nun noch eine Relation von dem Gefecht bei Halberstadt für den Correspondenten redigirt habe, fahre ich nun in diesem ordentlichen Briefe fort, viel ruhiger als Vorgestern aber doch in großer Pein und Qual bis ich Nachricht von dir habe. Die am Sonnabend ausgebliebene und Gestern nachgekommene schlesische Post hat mir ein Briefchen von Röder aus Goldberg gebracht, und ich begreife | 27 nun nicht recht wie sie mir keinen aus Schmiedeberg hat bringen können. Die heutige Post die sonst schon Vormittag komt erwartet man diese Nacht. Ich bereite mich schon vor darauf daß sie mir auch nichts bringt wenn man nicht gleich so klug gewesen ist von Euch die Briefe über Breslau zu schiken. Wie wird mir das Herz schlagen je näher die Stunde kommt wie werde ich mich quälen mit tausend fatalen Vorstellungen was sie mir alles bringen kann, und wie werde ich aller Vorbereitung zum Troz doch niedergeschlagen sein wenn sie mir gar nichts bringt. Als ich mich vorgestern losgerissen hatte vom Schreiben und den Schattengang hinauf ging kamen mir Reimer und Mine mit ein Paar Kindern entgegen, er voll guten Muthes und großer Sicherheit mit Oestreich. Nicht lange darauf gingen kamen Schedes und die Sebälder und später Woltmann  über der Zeile⎡Harscher und Dreist, Reimers aber blieben nicht weil sie selbst Leute hatten. Wir tranken draußen in der Vertiefung Thee, der Abend war schön und die Leute recht hübsch vergnügt so daß ich glaube sie haben es übersehen daß alles knapp war und sehr mager. Schreiben konnte ich doch nicht mehr nachdem sie weg waren. Die Nacht brachte ich, ich weiß nicht weshalb da das sonst gar nicht meine Art ist, großentheils schlaflos zu halb in Dumpfheit und Verdruß, [...](?) über den ursprünglichen Text geschriebenhalb in brünstigem Gebet für das Vaterland und für Dich. Mittags aß ich versprochenermaßen bei Buttmann mit dem ganzen Klub Marheinecke Boeckh Weiss und Göschen. Die Leute hatten alle viel Muth, freilich nicht sonderlich begründeten, Nachmittags wuchs er mir selbst etwas mehr durch den Brief von Roeder. Gott lasse alle guten Hofnungen in Erfüllung gehen. Nach einer langweiligen Landsturms Conferenz ging ich noch auf ein halb Stündchen hinaus um doch den Garten etwas genossen zu haben, weil ich den Abend bei Reimers sein sollte. Ich wollte et | 27vwas Schlaf nachholen, es ging aber nicht sonderlich und brachte mir nur zu Wege daß ich meine Zauberflasche zerschlug. Desto weniger konnte ich munter sein bei Reimer ohnerachtet Arndt Scheel Süvern und Göschen alle ziemlich lebendig waren. Von Göschen hatte ich noch den Vortheil daß er mir versprach Briefe zu besorgen und so habe ich denn heute viere – aber freilich auch alle so klein als Vierlinge – an dich geschrieben. Die Relation aber die ich aus einem confusen Manuscript von dem Kammerherrn Böticher in Ordnung gebracht habe hat mich ermüdet, ich wollte dennoch damit noch in die Stadt zu Göschen zum Glük aber kam mir der noch in der Schanze entgegen und so haben wir noch ein Weilchen geplaudert. Nun aber muß ich auch schlafen gehn mit dem heißesten Wunsch Morgen einen Brief und der mich einigermaßen beruhigen könnte von Dir zu bekommen. – Podewils hat mir noch antworten lassen Alexander wäre bei dem Gefecht gewesen und befinde sich gesund und wohl. Daß er aber gar nicht schreibt! Sollte er Dir etwa geschrieben haben? Denn durch meinen lezten Brief hat er erfahren daß Du in Schmiedeberg bist.

Mittwoch Nachmittag. Vor einer Stunde liebstes Herz habe ich Deinen Brief vom 26ten erhalten, ich war mit schwacher Hofnung länger drin geblieben als nöthig gewesen wäre. Er hat mich unendlich erfreut daß du den ersten Sturm und Schrek glüklich überstanden und daß ich alles was du beschlossen und gethan, auch das mit den Grenzbauden gar sehr loben muß, daß du alles unter den gegebenen Umständen mir ganz aus der Seele gethan, das freut mich ganz unendlich und ich bin voll innigen Dankes gegen Gott. Wenn ich gefehlt daß ich Dich reisen ließ, wie ich es denn nicht gewiß weiß und mir von Zeit zu Zeit wieder über den ursprünglichen Text geschriebenimmer noch Vorwürfe darüber mache, so büße ich auch genug dafür | 28 um hoffen zu dürfen daß Gott es übrigens zum Besten wenden wird, wie es mir denn für dich als eine Entwiklung Deiner innern Kraft erscheint die Vertrauen und Selbstständigkeit gar sehr bei Dir erhöhen muß. Ach mein Herz ich sage mir bisweilen daß ich durch dein Wegschiken denselben Fehler zum zweitenmal begangen habe. Das erste mal gab ich die Sorge für Deine Seele zu früh auf indem über den ursprünglichen Text geschriebendadurch daß ich Dich hingehn ließ ohne Dich zu halten, und jezt zu früh die Sorge für dein Leben und Bestehn indem ich Dich von mir sandte. Aber wie ich mich daran freue wie Du dich bewährst das kann ich Dir nicht genug sagen. Nur laß Dir nun auch erzählen wie ich meine Freude wieder mit heißen Thränen begießen muß. Ich sehe aus Deinem Briefe deutlich daß der Brief, der am 19ten zur fahrenden Post gegeben ist mit dem Koffer und in dem die Assignation lag, der schon am 24ten hätte ankommen sollen am 26ten noch nicht angekommen war. Dieser Brief hatte auch mit der Nachricht wegen Alexander geendet. Also beschließe ich zu Pistor zu gehen damit der Nachforschungen anstelle und bei dem höre ich denn daß die Franzosen wahrscheinlich in Breslau sind, daß sie wenigstens beim Abgange der Stafette vorgestern Nachmittag in Neumarkt waren. Ich sehe es so schlimm nicht an wie er, der alles dort für verloren giebt; aber [...](?) über den ursprünglichen Text geschriebendie dieser Nachricht zufolge sehr eingezwängte Stellung unserer Armee, die den schönsten Theil von Schlesien schon Preis gegeben und nur noch die Festungen und Oberschlesien im Rücken hat also sehr bald wegen der Lebensmittel in Verlegenheit gerathen muß | 28v und dazu nun noch die Unzufriedenheit mit dem Chef und die Veränderlichkeit des Commando das alles ist freilich eine traurige Perspective und wenn dort eine abermalige Schlacht verloren geht ehe etwas sehr kräftiges von der Elbe aus geschieht so kann allerdings die nächste Zukunft und auch unsere persönliche Lage sehr dunkel werden. Ach Gott daß ich so gar nichts thun kann weder für das Ganze noch für Dich, ganz auf Wünsche und Gebete, auf eine leidende Liebe zu Dir und zu der großen Sache beschränkt bin. Ach die Trennung die Trennung ist unter diesen Umständen zu fürchterlich. Was Du Gute so liebevoll sagst es sei dir tröstlich wenigstens mich in gefahrloser Ruhe zu wissen, das hat mir einen recht tiefen Stachel ins Herz gegeben, und wie du schreibst „die Glüklichen die dort geblieben sind.“ Ach einziges Weib bis zur Verzweiflung kann es mich bisweilen angreifen daß ich dich von mir gelassen. – Mit Alexander müssen wir es nun gehn lassen; ich kann nicht glauben daß sein Gefühl beleidigt sei, ich bin mir nichts dergleichen bewußt, und dächte ich müßte ihn nur in Liebe an mich gezogen haben. Du liebes Weib auch dieses Leiden theile ich mit Dir, mit welcher Freude würde ich dir die ersten Zeilen von ihm schiken. Wenn Du aber in Deinen Nachmittagsstunden an ihn geschrieben hast hättest Du es mir schiken sollen, ich würde es doch nicht eher abgesendet haben bis er von sich hätte hören lassen. Nun deine Ahndung daß wenn ich deinen Brief erhielte alles gewiß schon entschieden wäre. Ach wie überfällt sie mich! Ja wer weiß was seit Vorgestern schon vorgefallen ist! In Einem Stück bist Du viel glüklicher als ich Du lei | 29dest aber du hast zu handeln dabei. Aber wie kann ein Herz zerrissen werden bei dem bloßen Zusehen. Und daß ich mich darauf in Bezug auf dich selbst reducirt habe – ach ich verwinde es nicht bis ich Dich wieder in meinen Armen halte, und ich werde mich kaum würdig finden Dich in meine Arme zu schließen

Ich war in den Garten gegangen um mich zu sammeln. So wie man zur Saalthür hinaustritt umstrickt einen der Akazienduft mit einer Art von Zauber; ich ging zu den Rosen, die gerathen dies Jahr schlecht wegen der Dürre; aber indem ich da ging freute ich mich Deines Naturgenusses, wünschte Dir innigst viele schöne Augenblike, eine unendliche Sehnsucht überfiel mich aufs Neue nach Dir und besonders auch nach den Kindern aber ich genoß dabei in herzlicher Freude was du mir von ihnen schreibst. Das Sammeln war mir aber schlecht gelungen. Ich komme zurük, halb unbewußt öfne ich die Schieblade deines Schreibtisches. Da finde ich mehrere Zettel von Rahel, eine Zeichnung von Alexanders Potsdammscher Wohnung, von Deiner Hand ein Stük aus einer Elegie von Solon – woher hast Du das? Zettelchen von Lotte Kathen und Lotte Pistorius. nur in der großen Eile des packens vergessen. Ich fühlte wie reich eigentlich das Leben sei, daß du das so fast als Kehrigt konntest liegen lassen; aber zugleich überfiel mich ein Gefühl von unendlicher Ausgestorbenheit. Nun aber will ich mir Gewalt anthun und arbeiten damit dieser Zustand nichts krankhaftes werde.

Donnerstag Abend Ich habe Dir noch gar nicht gesagt daß ich mit Deinem Briefe zugleich ein Paar Zeilen von Nanny bekommen habe als Enveloppe für einen Brief an Harscher worin sie endlich von ihrem Verhältniß redet. Ich erzähle es Karolinen die wie Wilhelmine schon öfters darauf angespielt haben, und sage ihr wie wenig Freude ich eigentlich daran habe, da gesteht sie mir denn sie glaube gar nicht daß es etwas fürs Leben sein werde, sie traue ihm gar nicht zu daß er auch | 29v nur dieses f wonach er so lange gestrebt fest halten könne, und sie wünschte nur Nanny hätte es erst überstanden das ist noch eine tröstliche Ansicht! Ach ich wollte recht daß Nanny bald nach Pleß könnte, und daß sie gewiß nicht mit Dir zurük käme. Ich aß bei Schedes zu guter lezt in der Stadt denn sie ziehen heute ganz hinaus in den Garten. Beim Herausgehn machte ich einen kleinen Spaziergang durch den Thiergarten freute mich des bei dieser Dürre noch bewunderswürdig schönen Grüns erinnerte mich sehr lebhaft des lezten Spazierganges mit Dir und Christel so daß Du ganz lebendig vor mir standest in Deiner frischen jugendlichen Gestalt wie du Blumen pflüktest, ich freute mich wieviel schöner Du es noch dort haben könntest dachte zwischen durch an meine Pfingstpredigt, und war mit heißen Wünschen und inbrünstigem Gebet bei unserm Herrn. – Dann kam die Loder und Bothe mit Pfund und diese wurden abgelöst von Pischon Sak Neuendorf und Grell die sich gemeldet hatten. Die Leute gingen mir aber wiewol recht vergnügt und aufgeregt gleich nach dem Thee weg und mein aufgeschnittenes Fleisch und Milchbrodt muß umkommen zu Sophiens großem Jammer. Der Gedanke wer weiß was nun schon geschehen ist verfolgt mich zwischen alles und ich wechsle mit den entgegengeseztesten Ahndungen. – Noch Eins. Ein Fräulein Golz schikt heute zu mir und läßt fragen ob ich nichts an Marwiz zu bestellen hätte, und ich konte mich doch nicht enthalten ein Paar Zeilen zu schreiben worin ich ihm aber bloß sage ich könnte ihm eigentlich nicht schreiben da er gar nicht schriebe, dann ein Paar Worte über seinen Uebergang zu Czernischef, und daß ich jezt ganz von dir abgeschnitten wäre, weiter nichts. Nun gute Nacht süßes Herz. Ich bin gestern wegen einer plözlichen Arbeit erst um 2 Uhr zu Bette gekommen und muß heute nachholen. Bei Deiner Tagesbeschreibung hast Du gar nicht bemerkt wann Du aufstehst, das wüßte ich auch gern. | 30

Freitag Abend. Heute nur ein Paar geflügelte Worte mein Herz weil ich sonst nicht ruhig zu Bette gehn kann. Wunderliches ist mir heute begegnet. Eichhorn und Savigny machten mir die Proposition mich vom Ausschuß nach dem Hauptquartier schicken zu lassen um allerlei hiesige Angelegenheiten von Wichtigkeit zu betreiben. Denke Dir welch ungeheurer Reiz: ich hätte Euch dann sehr leicht gesehn und auf jeden Fall Euch mit zurükgenommen oder wenigstens wieder unser Schiksal verbunden. Welche liebliche und welche romantische Bilder schwebten mir vor. Allein ich widerstand glüklich allen diesen Reizen weil mir die Sache so nicht zwekmäßig schien, und das rechne ich mir zur großen Tugend an. Ganz hat sie sich noch nicht zerschlagen, ich habe Bedingungen gemacht durch die sie ein anderes Ansehn gewinnt, die sie aber schwerlich werden realisiren können. Dies und der Landsturm hat mir den ganzen Tag eingenommen; zwischendurch hat mich die große Sache, wie in diesen Tagen beständig höchst andächtig bewegt. Die Leute sind heute toll hier, weil eine Nachricht eingelaufen ist daß die Oestreicher in Schlesien sind. Mir kommt sie nur ganz abgeschmakt vor; sie sollen auf einmal wie vom Himmel herunter ein Paar Meilen von Glogau erschienen sein, ich glaube also daß die Sache auf einem groben Mißverständniß beruht. In allen Geschäften übrigens in aller Andacht und in allen Fabeln begleitest Du mich mein Herz, Du und die Kinder die mir durch Deinen Brief wieder in wahrer Herzensfreude ganz lebendig geworden sind. Nur daß ich noch gar kein Wörtchen weiß wie ihr wohnt. Nun gute Nacht mein Herz! Möchtest du ruhig in Schmiedeberg bleiben können und nicht nöthig haben auf die Berge zu klettern! Daß sich Bonaparte in keiner glänzenden Lage befindet merkt man seinen Redensarten wohl an. Gute Nacht, gute Nacht. | 30v

Sonntag, erster Pfingsttag Abends. – Gestern liebes Herz habe ich nun nichts an dich geschrieben als das Zettelchen was ich auf Gerathewohl wie alle bisherigen auf die Post gegeben habe. Ich ging Mittags in die Sonnabendgesellschaft wo Klewiz war der aus Breslau vor wenig Tagen zurükgekommen ist. Ich sprach viel mit ihm und freute mich doch sehr an seiner braven Gesinnung. Er erzählte auch über die Schlacht von Bauzen, man würde sie gewiß gewonnen haben wenn man die Reserven ins Feuer gebracht hätte der König selbst hätte es aber nicht gewollt, weil er fürchtete Bonaparte möchte nach seiner bekannten Manier hernach noch eine neue Masse bringen für die man dann nichts mehr gehabt hätte. Er hatte aber wirklich keine. Es ist übermäßig vorsichtig, und wenn man so vorsichtig sein will muß man eigentlich gar nicht schlagen wenn man nicht gewiß weiß daß man stärker ist und darauf scheint man es jezt anzulegen und zu warten bis die Oestreicher im Rüken sind. Nämlich Klewiz versichert daß man im Hauptquartier ganz fest überzeugt ist daß die Oestreicher kommen. K über den ursprünglichen Text geschriebenEr rühmte gar sehr das gute Vertrauen was der König habe und den fortwährenden guten Muth der Armee. Czernischef soll bei seiner jezigen Expedition französische Briefe aufgefangen haben wo von der Schlacht bei Bauzen gesprochen wird als von einer dreitägigen Schlacht, die gar kein Resultat gegeben. – Abends kam Twesten der von mir erst erfuhr daß die schändlichen treulosen Dänen auch Franzosen nach Hamburg gelassen haben. Ich hoffe daß die Engländer dafür Coppenhagen anzünden werden. Schreiben konnte ich dann nicht mehr an Dich weil ich doch an meine Predigt denken mußte. Aus der ist nicht viel geworden, theils war ich überhaupt zerstreut, theils begegnete mir noch etwas sonderbares in der Sacristei was ich dir doch erzählen muß. Ich bekam auf einmal ich weiß auch gar nicht durch welche Gedankenverbindung eine schrekliche Angst davor daß ich nicht ohne Todesfurcht sterben würde, daß es ordentlich in Be | 31klemmung ausartete und gewiß einen schwächenden Einfluß auf meine Predigt gehabt hat. Du weißt ich habe dir ein Paarmal den Gedanken geäußert, bei einem natürlichen Tode wäre ich nicht ganz sicher keine Furcht zu haben, aber als ein solches ängstliches Gefühl hat es mich noch nie befallen. Es komt aber auch von der Einsamkeit; wenn Du da wärest könnte es mir gar nicht einfallen. Nachmittags hoffte ich leise auf einen Brief von Dir denn die Breslauer Post soll in der Nacht angekommen sein aber vergeblich. Ich will deswegen dem Gedanken nicht Raum geben daß die Franzosen in Schmiedeberg und Ihr in den Grenzbauden, sondern nur daß der neue Postenzug noch nicht im gehörigen Gange und dein Brief zu spät in Breslau angekommen ist. Ich ging heraus, es regnete, und so schön und fruchtbar der Regen auch war, es über den ursprünglichen Text geschriebenich ward doch etwas melancholisch. Ich zwang mich zur Arbeit, das ging auch ich schrieb ein Gut Stük Predigt, fast einen halben gedrukten Bogen und zu meiner Zufriedenheit aber so oft ich pausirte und in die Saalthüre trat überfiel mich die trübselige Stimmung. Ich wurde angenehm daraus errettet durch [...] Mine Reimer die mit den beiden Mädchen und Carl und Arndt kam, hernach kam auch noch Dreist und wir waren recht vergnügt und tranken auch auf Dein baldiges Wiederkommen, aber ich mußte selbst die Gesundheit ausbringen. Hintennach erzählte mir noch die Kinderfrau Otto wäre im Hause gewesen und ließe mir sagen der Koffer stände noch ganz ruhig hier. Das ist mir eben so lieb, wenn nur der Brief auch da ist, sonst giebt es noch eine Menge Weitläuftigkeiten wegen der Assignation. Das traurige ist nur daß Du das Geld nicht in [die] Hände bekommen hast und ich dir nun keines schiken kann. Nun gute Nacht liebstes Weib. Es kommt mir doch vor als ob ich Dir zuviel vom kleinlichen Leben verschwazte, ich will das auch ändern. | 31v

Montag. Heute habe ich mir etwas zu Gute gethan was mir noch nicht vorgekommen war: ich habe schon um fünf Uhr Morgens einen Spaziergang durch den Garten gemacht. Es hatte die Nacht geregnet, der Morgen war herrlich, die Rosen haben sich auch sehr erholt und versprechen noch eine schöne Nachflor. Liebe wann stehst Du denn auf? Genießest du gar nicht die Herrlichkeiten des Morgens? und hast Du nicht zu derselben Zeit beim ersten Erwachen wenigstens einiges Verlangen nach mir, wie das allerinnigste und zärtlichste nach Dir mein erstes Gefühl ist und mein leztes? Jede Schönheit des Gartens sah ich mit Bedauern darauf an daß wenn auch alles noch so glüklich geht sie doch schon verblüht sein wird wenn Du zurükkommst – Vormittags hat Pischon sein Kind getauft und ich habe Gevatter gestanden. Ich habe es recht erfreulich gefühlt wie er das Christenthum überhaupt und so auch sein Amt im schönsten Sinn aufgefaßt hat. Das sprach ganz deutlich aus seiner Rede, etwas zu lang würdest du sie vielleicht auch gefunden haben. Ich war recht schön bewegt von der Sache, die schönsten Augenblike unseres Lebens und die süßen Vaterfreuden die ich dir verdanke und in der Welt nur Dir verdanken konnte regten mich zum innigsten Dank und zum sehnlichsten Verlangen auf; das stille sichre Glük der beiden Leute rührte mich herzlich, und ich gab aus vollem Herzen dem Kinde alle guten Wünsche mit die einem Mädchen am meisten Noth thun. Ich aß hernach bei Schedes draußen. Wilhelmine ist nun eben so den ganzen Vormittag in der Stadt wie sie sonst im Garten war, ich habe ihr auch gesagt sie sei eine ganz verrükte Person. Karoline ist doch eine gar liebe Seele, sie grüßt Dich herzlich und nimmt einen rechten Antheil an meinem verwaiseten Zustande. Dann ging ich noch mit Carl und Wilhelmine bis an Bellevue, dann zu Mine Reimer um mit ihr Abrede zu nehmen wegen einer Reise nach Zossen wo Reimer sein wird und wir ihn besuchen wollen. Du siehst laufen kann ich auch genug an einem Tage denn Pischon wohnt in der alten Jakobsstraße und taufte in dem sehr niedlichen Garten. – Nun gute Nacht liebstes Herz. Wüßtest Du nur wie Du mir immer gegenwärtig bist! – Kann ich aber nicht bald Gelegenheit finden dies Pak abzuschiken so höre ich auf mit dem täglichen Plaudern, und es muß dir sonst wenn du auch noch so viel guten Willen und Geduld mitbringst zur Pein und Langeweile werden wenn Du so ungeheure Massen auf einmal bekommst. Ach möchte sich doch alles bald ändern. | 32

Dienstag den 8ten Mittag. Aus den Wolken sind wir hier alle gefallen über die Nachricht von dem Waffenstillstand. Noch weiß man zu wenig näheres davon um darüber zu urtheilen und ich will mich nicht zu denen gesellen die voreilig schimpfen. Gefährlich ist die Sache freilich; und superwordaber ich will mich der Besorgniß noch nicht überlassen, daß dies zu einem schlechten Frieden führen wird. Dazu aber soll es mit Gottes Hülfe führen daß wir wieder zusammen kommen und ich bin außer mir vor Freude wenn ich daran denke. Du wirst gewiß von selbst reisen, sobald du dich überzeugt hast, daß vermöge des Waffenstillstandes alles völlig sicher ist. Ich wünsche indeß, daß du noch einen Brief von mir abwartest, wenn doch versteht sich wenn sich nicht mittlerweile eine besonders günstige Gelegenheit darbietet. Ich habe eigentlich keine andere Ursach zu diesem Wunsch als die sehr entfernte Möglichkeit, daß aus meiner Reise noch etwas würde und wir uns dann verfehlen könnten. Also nach diesem Maaßstab handle – Den Koffer habe ich heute von der Post wieder geholt, der Brief war auch noch da; ich schike Dir nun die Assignation die darin lag auf 50 R Courant vorzüglich deswegen damit Du nicht zu viel von Deinem eingewechselten Golde nachtheilig zu verwechseln brauchst. Auf jeden Fall seze Dir soviel Du zur Rükreise brauchst in Schmiedeberg wieder um; denn unterwegens würdest Du sehr viel Schaden haben

Den Kofferbrief behalte ich zwar zurük; aber das große Paket was ich seit Acht Tagen zusammengeschrieben verurtheile ich Dich doch noch zu lesen. Mein Gott wie werde ich nun die Tage zählen. Ich | 32v rechne daß wenn Du auch noch einen Brief von mir abwartest (aber warte nur lieber keinen ab) Du doch spätestens Morgen über Acht Tage reisest ach und reise nur so schnell Du kannst. Wartest Du keinen Brief mehr ab so kannst du gewiß schon am Ende der andern Woche hier sein. Und nie nie liebste Jette trennen wir uns wieder so. Und wenn auch, wie ich hoffe, der Krieg sich erneuert, und wie ich noch mehr hoffe die Einrichtung des Landsturms als ein ewiges Gesez stehen bleibt – nicht eher bis die wahre höchste Noth da ist schicke ich dich von mir.

Nanny muß mit 15 r auf der ordinären Post nach Plesse reisen können. Laß ihr also soviel für diesen schlimmsten Fall. Es wird sich in der Folge schon Gelegenheit machen ihr etwas zukommen zu lassen.   Wie gern hätte ich euch und machte noch eine schöne Reise nach Breslau und durch das Glazische mit Euch aber es will doch gar nicht gehn.   Ich schreibe wol noch ein Blatt an Nanny und lege es offen ein in der Absicht daß Du es vorher lesen sollst.



Adieu Rausch wartet. Nur noch einmal hoffentlich   dann sobald nicht wieder.

Grüße Alles herze die Kinder

Zitierhinweis

3886: An Henriette (Jette) Schleiermacher. Berlin, Sonntag, 30.5. bis Dienstag, 8.6.1813, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007720 (Stand: 26.7.2022)

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