Sonntag  über der Zeiled 16t. May Nachmittag

Als ich Gestern meinen Brief an Dich im Hause abgab hörte ich daß einer von Dir an mich schon eben wäre zu Reimers getragen worden. Wie ich hinlief kannst du denken, und wie er mich erfreute. Nun Herzensweib laß dir den glüklichen Anfang eine frohe Bürgschaft sein für die Fortsetzung Deiner Reise. Die ordinaire Post war mir freilich ein kleiner Schrek. Ich hoffe aber, Du wirst nicht länger drauf bleiben als nöthig ist wenn Du irgendwo mit Extrapost einen besseren Wagen bekommen kannst – suchte mich bei Reimers auf, kam hernach mit mir heraus und führte viel Sohnsgespräche, wobei sie auch ziemlich deutlich auf das Verhältniß was wir zwischen ihm und Nanny vermuthen anspielte, auch zu verstehen gab daß ich wol bald einen Brief von ihm bekommen würde. Aber denke Dir heute Morgen kommt ein Mensch und fragt nach Nanny und sagt Harscher wäre hier. An mich war gar keine Bestellung dabei, ich konnte also auch den Leuten nichts sagen als sie sollten ihm nur sagen lassen Ihr wärt fort ich aber wäre hier. Sophie machte mir darauf eine confuse Erzählung, er sei gleich den Tag nach seiner Ankunft zum Gefecht gekommen und habe seinen Tornister und seine Büchse eingebüßt; er hätte gesagt er wäre gekom | 5vmen sich kuriren zu lassen; es schiene ihm aber nichts zu fehlen. Gott! wie es mich brühsiedend überlaufen hat kann ich Dir nicht sagen! Die arme Nanny! ist er gefangen worden und hat sich ramponirt oder ist auf sein Ehrenwort entlassen oder stekt eine Feigherzigkeit dahinter – was es auch sei so ist ja nun jede Hofnung daß es noch besser mit ihm wird verschwunden. Ich wollte darauf gern keinen Werth legen wenn er einen schwachen Augenblik gehabt hat – weiß ich doch noch nicht ob ich nicht auch einen haben könnte beim ersten Anblik der Schlacht, es ist wie die Seekrankheit – aber was soll mir aus ihm werden wenn er vielleicht nicht einmal mit Ehren in dieselbe Laufbahn zurükkönnte? – So eben kommen Schedens und sagen es sei nicht so, er komme nur aus Krankheit zurük. Aber für die Folgen ist es dasselbe. – Schedens haben Thee bei mir getrunken sind aber nun schon vor zehn Uhr weggegangen. Wir machten superwordhatten vor dem Thee noch einen Spaziergang nach Bellevue gemacht der Fliederblüthen wegen; wir dachten Wilhelmine und Har- scher bei unserer Rükkunft zu finden denn sie wollten nachkommen sie sind aber gar nicht erschienen, und haben uns Gelegenheit gegeben über das ganze Verhältniß miteinander zu jammern – Er hat gesagt er wäre noch zu schwach gewesen, er wolle nun noch reiten und schwimmen lernen und Chirurgie hören und dann wolle er unter die Cavallerie | 6 gehn, welche Aussichten! Wie mich Nanny, wenn sie sich ihm wirklich gegeben hat jammert kann ich Dir gar nicht sagen – Gestern Abend war ich mit Mine zu Schedes in den Garten gegangen bekam aber schon unterwegens einen ziemlichen Anfall der mich ein Paar Stunden gequält hat. Ich habe nun an Wolfart geschrieben um täglich magnetisirt zu werden wenn Zeit dazu bleibt. Denn nach heute eingelaufenen Nachrichten ist heute oder Morgen ein Gefecht zwischen Bülow und den über die Elbe gegangenen Franzosen zu erwarten, welches wol das nächste Schiksal von Berlin entscheiden wird. Sei aber für mich nicht bange mein Herz. Schwerlich werden die Vertheidigungsanstalten schon so weit gediehen sein daß man sich hier auf etwas einlassen kann und also wird der Landsturm wol nur aufgeboten werden um sich aus der Stadt zurükzuziehen. Das werde ich denn auch thun und werde Dir ganz sachte nachkommen. – Ich komme mir in diesem Augenblik unglaublich thöricht vor daß ich Dir dieses schreibe; denn der Brief kann nicht eher als Uebermorgen Abend abgehn und dann muß ich Dir ja gewiß schon schreiben können wie alles abgelaufen ist. Aber die Thorheit ist mir süß, es ist doch die Vorstellung als ob Du in dem Augenblik läsest wo ich schreibe, die Vernichtung der Zeit und des Raumes zwischen uns. Denke Dir daß ich eben heute Morgen wieder angefangen hatte ordentlich | 6v an einer Predigt zu arbeiten als diese Nachricht die mir Twesten brachte mich wieder in Bewegung brachte. In der [...](?) über den ursprünglichen Text geschriebenStadt hörte ich darauf der Landsturm solle sämtlich Morgen halb Fünf auf den Templower Berg ausrüken. Denke dir meinen Schrek da ich noch keine Munition habe und nun Sonntag war. Bei unserer Deputation war indeß nichts angesezt, ich laufe also schnell auf den Ausschuß, und da war kein wahres Wort an dem Befehl. Aber Morgen will ich nun das nöthige anschaffen damit ich mich nicht schämen muß vor den Andern. Gestern Abend fand ich noch 2 Briefe von der Voss. Einen an Dich, worin sie um Empfehlungen nach Stralsund bittet; als der ab ist kommt ihre Mutter und sagt Du seist nach Schlesien und da schreibt sie noch einmal an mich desselben Inhalts. Ich habe ihr gleich heute einen Brief an Friederike geschikt, das war alles was ich thun konnte. Sie will nemlich auch wenn es schlimm gehn sollte nach Stralsund. Meine lezte Nachricht daß der Kronprinz von Schweden angekommen sei, war übrigens auch noch nicht wahr, er wird noch immer täglich erwartet aber die Truppen marschiren wirklich.

Eine Angst habe ich aus der gestrigen Zeitung um Euch ihr Lieben alle bekommen, daß nemlich Sagan so grausam vom Nerverfieber verheert wird. Erführst Du es nur zeitig genug um die nöthigen Vorsichtsmaaßregeln zu nehmen. Gott gebe daß sich keines von euch eine Krankheit holt das wäre schreklich. Möchtest du dich nur auch unterwegens nach der Reitpost erkundigen um mir ein Paar Zeilen zu schreiben. – Bei der heutigen Nachricht vom Aus | 7marsch war mir nächst der Munitionsangst ein ungeheurer Schrek daß ich vielleicht nicht mehr dazu kommen würde Dir ein Abschiedswort zuzurufen. Und wie leicht kann es doch einmal so kommen! Ich möchte es jezt gleich thun. Aber was kann ich anderes als daß ich Dich mit innigster Liebe an mein Herz drüke und Segen auf Dein Haupt häufe für das beste und schönste in meinem Leben was ich Dir verdanke, daß ich Dir mein Bild ins Herz prägen möchte mit allen seinen Flecken aber auch mit dem Gefühl wie Du es verjüngt und verschönt, wieviel Du daran gereingt hast, daß ich Dirs recht lebendig und gewiß machen möchte daß ich Dich mit mir nehme wie ich bei Dir bleibe. Ja ich fühle es daß auch ich wie ein guter Geist in Dir wohnen werde – o einziges geliebtes Weib. Ich wollte Du schliefest jezt recht sanft irgendwo, ich dächte ich müßte Dir in diesem Augenblik einen himmlischen Traum einhauchen. – Ich gehe nun zu Bett ohnerachtet ich heute bis halb Acht geschlafen habe um Morgen desto früher aufzustehn.

Montag Abend. Heute habe ich mein Haus bestellt, die Leute abgelohnt aber doch noch im Hause behalten, den Schlächter bezahlt, Pulverhorn und Feldflasche gekauft, Röders grüne Tasche zurecht machen und einpaken lassen, mein Geld in Gold umgesetzt, und mir bei Alberthal eine Assignation auf 50 r für Dich ausgemacht die ich Dir nun Morgen mit diesem Briefe noch nachschikke. Dies Geld ist theils das was für Friedes nächste Pension bestimt war, theils ist es voraus bekommenes Kirchengehalt, und wird uns | 7v also wenn alles gut geht in der Folge fehlen doch ich brauche Dir wol große Sparsamkeit mit dem Gelde nicht erst aus solchen G über den ursprünglichen Text geschriebenbesonderen Gründen zu empfehlen. Meine wichtigsten Papiere Deine Briefe und die Pakete der Herz habe ich Pischon zu verwahren gegeben, der insofern es die Pflicht gestattet hier zu bleiben gedenkt. Die Wäsche und Deine Bücher sind im Keller. Nun will ich aber Morgen sehen ob ich nicht auch die besten Sachen von hier hineinschaffen kann, denn da zu beiden Seiten der Schafbrücke Schanzen aufgeworfen sind so würde wol im schlimmen Falle dieses liebe Häuschen nicht unberührt stehen bleiben. Wenn ich nur einen Rath wüßte wegen des Fortepiano!

Diese Eile, meine liebste Jette, ist veranlaßt worden durch üble Nachrichten die sich heute früh verbreiteten. Es hieß Bülow werde von großer Uebermacht sehr gedrängt und sei auf eiligem Rükzuge, habe auch seine Frau reisen heißen. Diesen Abend sind neue beruhigendere Nachrichten von ihm eingelaufen, freilich aus Beliz d.h. sechs Meilen von hier; aber er sagt doch, er glaube, es sei für Berlin nichts zu besorgen und er denke nachdem er Verstärkungen an sich gezogen wieder vorzugehn und die Offensive zu ergreifen. Das bewegliche Völkchen ist nun auf diese Nachricht wieder oben auf, und hat sie gleich bis zu einem Siege vergrößert. Ich will mich vor der Hand nur freuen daß mir Morgen vergönnt ist noch einige Vorkehrungen mehr zu treffen – die Leute führen sich im Großen ganz leidlich auf, besondes Sophie recht ver | 8ständig, und so muß man denn das Kleinere schon gehen lassen – Bei der großen Armee muß auch etwas vorgefallen sein. Einer von des Staatskanzlers Räthen hat geschrieben daß als er am 14ten aus Bauzen abgereiset sei habe sich eben das Gefecht bei der Avantgarde eröfnet, und zehn Stunden Weges weit hätte er hernach den Kanonendonner gehört. Es ist nun wunderlich genug daß man bis heute Abend noch kein Resultat bekant gemacht hat. Wüßte auch nur das Militärgouvernement ein nachtheiliges: so würde doch etwas davon bekannt geworden sein. Da man nun schon soviel Beispiele von eingebildeten Kanonendonner hat will ich auch vor der Hand noch nicht daran glauben.

Harscher hat sich auch heute gar nicht bei mir sehen lassen, auch keinen Versuch gemacht weder hier noch in der Stadt. Findest Du es nicht unerhört? – Die Knaben werden wol auch heute gereist sein. Ich rieth es Twesten der mich diesen Morgen fragen ließ: ich möchte sie im schlimmen Falle weder hier lassen noch sie den alsdann unvermeidlichen Strapazen aussezen.   Von Euch denke ich, wenn Ihr auf der ordinären Post geblieben seid, was ich doch eigentlich nicht wünsche, daß ihr in Bunzlau ausruht und Morgen bei Zeiten ausfahrt um noch in Schmiedeberg anzukommen. Wüßte ich Dich doch mit den Kindern um Dich recht sanft schlafen. Ich habe Euch getreulich auf dem Wege begleitet, nur vor dem Gedanken an Sagan hat mich jedesmal geschaudert. Gott nehme Euch Alle in seinen besondern Schuz. – Ich will nun zu Bette gehn aber ich habe eine dunkle Ahndung als ob es nicht recht wäre und als ob die Nacht | 8v leicht etwas losgehn könnte. Ich wünsche mir wenigstens einen leisen Schlaf, habe auch die Leute dazu ermahnt.

Dienstag Mittag Ich bin so abgelaufen liebste Jette daß ich kaum etwas schreiben kann; auch habe ich wieder etwas Magenkrampf zum erstenmal seit . Ich werde übrigens nun täglich so lange es ruhig bleibt bei Wolfart von ihm magnetisirt und verspreche mir davon baldige Besserung. – Heute ist unser Hochzeitstag; mir ist zwar für uns der Verlobungstag die eigentliche Feier: dein liebes Ja auf der Bank aber doch auch dieser mahnt mich besonders an den Beginn eines neuen Lebens mit Dir und an alles was wir beide darin geworden sind. Aber auch an alles was ich Dir mehr hätte sein können und sollen, und was ich Dir hätte sparen können an Leid mancher Art. Gott gebe uns noch Zeit immer reiner schöner und vollendeter zu leben, und  korr. v. Hg. aus: möchtemöchten wir diesen Tag übers Jahr vereint und ganz oder großentheils den Kampf dieser Zeit hinter uns habend feiern.

Die Assignation habe ich leider nicht erhalten und nun ist es zu spät für heute andere Anstalten zu treffen. Ist es Morgen noch ruhig so schaffe ich eine oder lege das Geld baar in den Koffer. Diesen Brief aber will ich nicht zurükhalten. Grüße Alle umarme die Kinder aufs zärtlichste. Das Töpfchen haben Wilhelmine und Karoline eigenhändig begossen und das Kännchen habe ich einmal von einem Hunde errettet. Das Fortepiano will Kisting zu sich nehmen sobald er sichre Leute zum Transport bekommt.

Gott segne und schüze Dich mein Herz. Ich denke Ihr seid nun in der Nähe von Hirschberg. Mein Gebet begleitet Euch Alle aber dich doch ganz vorzüglich auch vor allen Kindern.

Dein Friedrich? oder Ernst? wie soll ich nun schreiben

Zitierhinweis

3870: An Henriette (Jette) Schleiermacher. Berlin, Sonntag, 16.5. bis Dienstag, 18.5.1813, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007715 (Stand: 26.7.2022)

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