Wien, den 22ten April 1813.

Geehrter Freund,

den Brief, welchen Du mir einmal im Jahre 1809 schriebst, konnte ich damals gleich nicht beantworten; unmittelbar nach dem Kriege gerieth ich in vielerley Arbeiten, ich zog mich ganz in mich selbst zurück, meine Gesundheit hatte gelitten und ich hatte eigentlich zu wenig Dingen in der Welt eine rechte Lust. Auch sah ich so viele Wolken von Misverständnissen zwischen uns, daß ich nicht grade hoffte, diese durch einen Brief zerstreuen zu können. Ich wartete immer auf eine günstigere Gelegenheit, unsre alte Verbindung wieder anzuknüpfen. Diese hat denn nun die große Zeit herbeygeführt! Früher zwar schon hatte ich mir vorgenommen Dich zur Theilnahme an dem Deutschen Museum einzuladen, besonders seitdem es nun schon so lange fortdauert, daß Du die Gesinnung und Absicht, die bey dem Ganzen zu Grunde liegt, aus der Ausführung selbst beurtheilen kannst. | 18v Du wirst jetzt freylich zu Arbeiten dieser Art keine Muße noch Neigung haben. Indessen will ich denn doch deshalb nicht unterlassen, was ich früher schon beschlossen hatte, indem es sich ja wohl fügen kann, daß Du eins oder das andre dazu Geeignete fertig liegen hättest, und es also nur der Mühe es einzusiegeln bedürfte. Ich füge also nur noch hinzu, daß mir dieß sehr erwünscht seynwürde, und daß ich ganz vorzüglich philosophische Aufsätze von Dir begehren möchte, da ich schon lange der Zeit erwartend entgegen gesehn habe, wo Du einmal Deine eigenthümliche metaphysische Lehre und Ansicht vollständiger darlegen würdest. Da die verschiedenen Secten meistens schon zu ersterben anfangen, so wäre es nun grade die rechte Zeit dazu. Einzelne Aufsätze aus der Geschichte der Philosophie wären natürlich auch sehr willkommen.Autorfußnote (am linken Rand)⎡Aufsätze die sich auf die Sache, auf die Nation und das Zeitalter beziehn, würden jetzt wohl hier die Censur passiren, wie wir denn bisher manches drucken durften was anderswo nicht erlaubt worden wäre. Aber freylich hat sich das jetzt sehr geändert!

Betrachte nun dieß so, als ob ich es Dir vor 6 Monathen geschrieben hätte. Jetzt zu dem, was uns beyden und allen noch näher am Herzen liegt. Ich habe mit Freuden bey | 19 allem dem, was wir mit so viel Begierde und Theilnahme vernahmen, auch Deinen Nahmen oft nennen hören. Ist eine Proclamation an die Sachsen, welche Dir zugeschrieben wurde, denn wirklich von Dir? – Gesinnungen und Sprache waren Deiner nicht unwerth, ich hätte dann nur die Ueberschrift zu tadeln. Warum Sachsen? Dieses Zerstückeln ist ja eben unser altes Unglück; leider sehe ich die Spuren davon noch überall wieder hervorbrechen jetzt wo es eben darauf ankömmt, daß gar nicht mehr von Sachsen, Preußen, Hannoveranern und dergleichen die Rede sey, sondern von Deutschen. – Die Preußen zwar werden wenn auch Länder verlohren gehn als Nation nach diesem herrlichen Aufschwung unüberwunden bleiben, wenn es auch in Deutschland nur unvollkommen gelingen sollte. Gelingen kann es nur, wenn die Bewaffnung in ganz Deutschland eben so rasch und allgemein geschieht, wie in Preußen. Aber dazu sehe ich noch keine hinreichende Anstalt; der Muth ist groß, die Stimmung herrlich, das sieht man wohl, aber die Maaßregeln sind zum Theil wohl noch nicht ganz die rechten, ich finde manches noch zu schwankend | 19v und verworren, nicht entschieden und durchgreifend genug. Doch ich hoffe, es wird sich alles noch gestalten. Die Erfahrung ist die beste Lehrerin.

Du wirst nun gern von hier Nachricht haben wollen aber die kann ich Dir eben darum nicht geben, weil grade dieß die Tage der Entscheidung sind. Daß Schwarzenberg in Paris sehr schlecht aufgenommen worden ist erfahren wir so eben; die ganze diplomatische Filigranarbeit bewaffnete Neutralität und Vermittlung dieses Winters, dieses saubre Kunstwerk ist mit einemmale in den Dreck gefallen! – Den Commentar drüber kann ich mir ersparen. Was unser Entschluß seyn muß, kann eigentlich nicht mehr zweifelhaft seyn, aber freylich kommt in einem solchen Moment viel auf die Zeit an; einmal versäumt wird sie nicht wieder eingebracht. – Wie sehr ich gewünscht habe, in Breslau, in Berlin zu seyn, oder jetzt in Dreßden, das darf ich Dir wohl nicht erst sagen. Indessen darf ich doch nicht so gradezu meinem Wunsche gemäß auf und davon gehn, ich muß mein hiesiges Verhältniß dabey berücksichtigen. Am liebsten liesse ich mich von hieraus officiell ins russische Hauptquartier mitnehmen. – Doch das ruht noch im Rathe der Götter. Mir wäre es sehr lieb wenn ich einen Brief von Dir erhielte, recht bald und ausführlich, Deine ganze Ansicht der Sache und ihres Standes. Es schien mir diese Zeit die beste und fruchtbarste eine lange unterbrochne Mittheilung wieder anzuknüpfen.

Meine Frau grüßt Dich Dein Freund Friedr

Zitierhinweis

3850: Von Friedrich Schlegel. Wien, Donnerstag, 22.4.1813, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007639 (Stand: 26.7.2022)

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