Bremen den 15. Dec. 14.

Herzlich haben wir uns über Ihr Wohlbefinden nach der glücklichen Reise gefreut und innigst bedauert, daß durch allerlei häusliche Übel der er wünschte Gesundheitszustand wieder herabgezogen wird. Das Schlimm ste in Ihrem häuslichen Lazaret scheint mir doch Harscher zu seyn – denn das ist ein unheilbarer Lazarus, nicht so wohl an Leib als an Geist. Ich bewundere Ihren Gleichmuth und verehre Ihre Bruderliebe. Bei meinem iezigen Glauben an Harscher halt ich für's Beste, wenn er seiner Familie wieder eingehändigt werden könnte. Ich wollte lieber ein Mittel wählen, um ihn der Nanny aus den Augen und also wo möglich aus dem Sinne zu spielen. Dies herrliche Gemüth geht am Ende auch dabei unter, was der Welt zur Freude blühen könnte als eine lieblich duftende Rose. | 36v

Nannys Briefe haben ganz die Farbe des Verbleichens. – Doch da die französische Tyrannei unseren deutschen, wie Harschers entnerftes Wesen – herabgekommenen Geist wieder auf die Beine gerüttelt hat, – so könnte ja vielleicht auch das Nervenfieber eine wunderthätige Krise hervorbrin gen, daß der entmannte Dialekter wieder mit sich selbst Eins werde. Wir wollen wünschen und hoffen.

Sie wundern sich über meine neuliche Reise – zerbrechen sich den Kopf über deren Veranlassung. Hier haben Sie sie. Seit 5 Jahren sammle ich alles zur geognöstischen, physischen geographischen historischen äs thetischen politischen Beschreibung der 3 Hansestädte – zur Belehrung für Reisende und zur näheren Vaterlandskunde unserer Jugend – zumal die Hansestädte als Ein Staat angesehn werden können. Nun hat sich in den letzten Jahren in denselben so viel besonders zugetragen sich so viel verändert, daß man | 37 an Ort und Stelle sehen und hören muß um nichts falsches zu berichten. Meine Beschreibung war schon fertig – theils aus den bekannten Nachrichten, theils aus mündlichen Notizen. Aber ich habe in 4 Wochen sehr fleißiger Kundschaft, wobei mir viele sehr human behülflich gewesen sind – unzähliches zu berichten gehabt.

So wohl in Hamburg als Lübek habe ich außerordentlich freundliche Aufnahme gehabt. Die Reise hat mich fast nichts gekostet weil ich in Hamburg in Altona, in Holsten als Freund aufgenommen war. Vorzüg lich hat mirs in Lübek gefallen. Nirgends fand ich so viele gute Bil dungs- und Wohlthätigkeits-Anstalten pp

Was AnsgariiGemeinde betrifft. Ich bin gleich nach meiner Zurück kunft bei Smidt pp gewesen. Dieses sind aber intollerante Tollerante Po litiker – Religiosen paßt nicht. Sie wollen absolut die Luteraner im Dom sprengen; daher an den anderen Kirchen luterische Prediger anstellen. Was außer dem | 37v einmal gewordenen schwerlich realisirt werden wird. Aber Smidt freute sich und wollte, daß ich gleich veranstalte, Sie an lieben Frauen Kirche zu rufen. Dann wolle er Sie gleich als Rektor, (d.i. Ober aufseher, Scholarch) an den Schulen anstellen, was auch Meister war, um dadurch Ihnen größere Einnahme zu verschaffen; und so gab er auch der Idee Ihrer öffentlichen Vorlesungen völligen Beifall. – Er ging aber gleich darauf nach Wien; und andere haben keinen Nachdruck. Einige wollen noch die Wahl verschieben andere haben unter der Hand Geibel in Lübek angefragt, ob er kommen würde. In Rücksicht Ihrer ist man besorgt, daß Sie doch nicht kommen würden, zumal Sie an derselben Kirche schon einmal umsonst gewählt sind. – Pastor Dräseke aus Ratzeburg ist nun an Ansgarii gekommen. Er ist ein sehr guter Prediger vielleicht kennen Sie seine herausgegebenen Predigten. –

Wenn Sie wirklich den wahren Ernst hätten Berlin zu verlassen und hieher zu kommen, so müßten Sie mir baldigst antworten. Auf alle Fälle müssen Sie einen Theil Ihrer Arbeiten aufgeben. Ich habe mein Institut aufgegeben, und bin ziemlich leichter – Körperlich wohl und geistig Ihr getreuer M.

Zitierhinweis

4101: Von Wilhelm Christian Müller. Bremen, Donnerstag, 15.12.1814, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007599 (Stand: 26.7.2022)

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