Boizenburg den 10. Jun 13.

Herzliche Freunde

Aus Liebe zu unseren fernen Geliebten bin ich durch 1000 Schwierigkeiten über die Elbe gegangen. Wir schmachten nach Nachricht von Ihnen – Es war keine Möglichkeit Briefe durch die Kriegslinie zu bringen. Elise hat zum Theil unseren Druck beschrieben. Wir waren des Geistes wegen, der sich bei Hamburgs Befreiung auch bei uns zeigte hors de loi gesetzt – Also eine feindliche Stadt muß sich alles gefallen lassen. Ich habe 18 Mann Einquartirung gehabt – monatlich 15 Rth Verpflegung der Offiziere – dabei ein ängstliches Schweigen – Verbreitete böse Nachrichten – Lebensgefahr unsrer Freunde, Verbrenung von Dörfern, welche auf Franzosen sollten geschoßen, oder Kosaken freundlich aufgenomen zu haben – Beständiges Triumpfleuten und Tedeums singen – Verbreitete Armuth – harte Drohungen, Todtschießen der unschuldigsten Männer. Sie werden aus den Beilagen die Empfindungen kennen lernen – welche ich nieder schrieb, um womöglich den guten Geist mit zu beleben oder zu erhalten – Ich wollte sie schon früher schicken, allein es war zu gefährlich sie anderen Händen anzuvertrauen – Lesen Sie aus, was Sie schicklich finden – Wenn der Waffenstillstand aufgehoben wird – drucken zu laßen, bei Reimers oder einem andern anonymen Herausgeber – unter dem Namen Patriotische Kriegs und Friedenslieder von einem Preusischen Invaliden – Germania. Mit höchster Verschweigung meines Namens – man schoß mich früh todt – wählen Sie dann die mildeste erst – oder übertragen es D. Horn. Auf Geheiß von Oben zur Ausstreuung umsonst ausgegeben, wäre besser – Wo nicht so kann der Verleger etwas weniges nehmen – bogenweis – wie Gleims Lieder auch zuerst heraus gekommen sind. Hier ist alles in Verzweiflung über die schändliche Täuschung der Dänen, daß sie Hamburg erst in Schutz nehmen wollen und hernach aus Ärger über [die] Engländer den Franzosen verrathen – Es war hier alles herrlich | 25v die patriotischen Truppen wollten eben voll Zuversicht in 100 Schiffen, die ich heute morgen selbst gezählt habe morgen in Maße übergehn, um den Franzosen in Rücken zu fallen und im Hannövrischen alles zu organisiren – der Waffenstillstand alles alles zertrümmert – das wird wieder ein schlimmes Luftschöpfen werden – wobei die Preußen wieder so eben selbstständig bleiben, als es Napoleon gefällt da sie ihn in Deutschland hätten aufreiben können –

Doch ich behalte meine Hoffnung und Heiterkeit – die Teufel sollen mich nicht unterkriegen – Wenn Deutschland frei wird, so ist alles gewonnen, ja wenn auch nur Rußland und Preusen das ContinentalSystem vereiteln, ist schon was gewonnen – – Alle Leute werden bei uns arm – die ersten Kaufleute werden banquerot – Geld fehlt – Es geht alles nach Paris und niemand bekömt seit 1/2 Jahr seine Besoldung. Schreiben Sie uns aus  korr. v. Hg. aus: ihremIhrem Hause gute Nachrichten – und Grüßen Sie vorläufig Herrn KammerGerichtsRath Wilmans Harscher – Heim(?), Schedens – und alle die mich kennen – Giesebrecht und Horn –  korr. v. Hg. aus: ihreIhre Frau – Nanny –

Mit herzlicher Liebe Ihr Freund M.

NB. ich habe auch hier selbst komponirte Melodien zu einigen Liedern gemacht, die nicht auf Volksmelodien gehen – wenn etwa ein Musikhändler sie besonders durch Musik zum weitern Umlauf bringen wollte. Die allgemeinsten können auch vor Ende des Waffenstillstandes – die anderen mögen das Licht der Welt erblicken, wenn etwa der Krieg wieder ausbricht – Nur höchste Anonimität!!!

Zitierhinweis

3905: Von Wilhelm Christian Müller. Boizenburg, Donnerstag, 10.6.1813, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007593 (Stand: 26.7.2022)

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