Berlin d 13t. May 13.

Liebste Lotte diesen Morgen sind sie Alle fortgereiset, Frau, Kinder, Schwester und Christelchen. Pferde haben sie nur bis Frankfurt und mei- ne Sorge ist ob sie von dort werden weiter können. Gott weiß durch welche – nicht Verluste denn es ist eigentlich gar nicht geschlagen worden seit dem 2ten – sondern Armeebewegungen oder andere Ereignisse Berlin in einiger Gefahr sein soll. Ich habe es daher besser gehalten sie fortzuschiken da es ging. Schon Sonntag waren die Pferde bestellt; aber die bedenklichen Gerüchte verloren sich und so bestellten wir wieder ab, und haben uns noch ein paar Tage unseres sehr schönen Lebens gefreut, bis sich die Besorgnisse Gestern wieder sehr stark erneuerten und wir zum Glük einen Fuhrmann auftreiben konnten. Meine erste Bitte ist nun liebste Schwester daß du dich nicht ängstigst um Christianen; wo Jette bleiben und die Kinder da | 59v bleibt sie auch. Was ich irgend konnte an Geld habe ich ihnen mitgegeben und ich denke ehe das aufgezehrt ist haben sich die Sachen wieder anders gewendet. Sie sieht dabei Schlesiens schönsten Winkel, denn sie gehen natürlich zu meinem über den ursprünglichen Text geschriebenunserem Bruder nach Schmiedeberg und wird bei diesem mit allen den Meinigen die herzlichste Freundlichkeit finden, die zwar alles ist was mein Bruder zu geben hat, aber deshalb eben recht viel. – Es war freilich ein trauriger Abschied, und das Herz will mir immer aufs neue brechen wenn ich bedenke wie das liebe Weib von mir getrennt ist. Mit dem inbrünstigsten Gebet und mit dem Gefühl der innigsten Liebe haben wir einander in Gottes Hand gegeben und so schieden wir. Gott sei Dank, ist alles gesund, außer Liesbeth hat ein Paar Tage gefiebert, was aber wol nur von Zähnen herrührte.

Meine zweite Bitte ist nun daß Ihr Euch nicht ängstigen laßt durch Gerüchte die sich so ungeheuer wälzen sowol was das Ganze als was einzelne Menschen betrift. – Sachverständige | 60 erwarten nicht daß bei dem Stande der Armeen die Franzosen etwas großes gegen Berlin unternehmen, und Kleines denken wir uns abzuhalten. Wir haben einen der ausgezeichnetsten Officiere an der Spize des hiesigen Vertheidigungswesens, und wenn Alle mit solcher Besonnenheit und Entschlossenheit ihre Schuldigkeit thun so muß es wol gut gehn.   Ich bin nun auch beim Landsturm, und zwar Director der Schuzdeputation meines Bezirkes, und richte alle meine Thätigkeit hierauf. Gott gebe recht viel Segen dazu. Es kann wenn es gedeiht sehr viel herrliches daraus hervorgehn.

Was die Decke betrift liebste, so muß das wol unterbleiben, und wir wollen recht froh sein wenn wir nächsten Winter auch ohne Fußdekke in unserm kleinen Häuschen wieder herumgehn. Wenn auch die Verwirrung des gegenwärtigen Augenblikkes glüklich übergeht so verliere ich durch Abzüge und durch die Entvölkerung der Universität doch immer an 1200 Thaler in diesem Jahr.

Wie lange liebste Lotte habe ich Dir nicht geschrieben! Schreibe es nicht allein den Geschäften zu. Ach nein! es hing eine gar trübe Wolke über dem Leben und ich hatt während dieser | 60v Zeit gar keine Stimmung Briefe zu schreiben und am wenigsten Dir. Seit einigen Wochen nun hatte ich wieder die größte Lust dazu, da konnte ich aber nicht wegen gehäufter Geschäfte. Die Posttage liegen auch zu unglüklich. Der eine ist der Sonntag, der andere unser Sessionstag da muß es schon besonders gut gehn um zum Schreiben zu gehn. Grüße doch Alles, besonders auch Luisen der ich gar zu gern auch schreibe; aber ich will den Posttag nicht versäumen.   Unsere große Jette ist schon am Sonntag mit ihrer Mutter nach Breslau gereist. Sie hatte nun den bestimmten Grund dorthin daß ihre Mutter unter Juden leben und sterben muß; von uns konntest Du freilich fragen warum wir nicht lieber nach Rügen gegangen wären. Aber sieh erstlich ist von Rügen hernach im Fall eines großen Unglüks kein anderes Flüchten als über die See und das haß' ich über die Maaßen, und schon in Rügen wäre ich leicht ganz von ihnen abgeschnitten worden, weil unser Rükzug doch natürlich nach Schlesien ginge wo ich mich also am leichtesten mit ihnen vereinigen kann. –   Nun Gott gebe daß alles nicht nöthig ist und ich sie bald kann zurükkommen lassen. Gott schüze uns Alle. Gedenke an mich Armen Verwaisten in Liebe.

Dein Ernst

Zitierhinweis

3856: An Charlotte von Kathen. Berlin, Donnerstag, 13.5.1813, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007534 (Stand: 26.7.2022)

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