Breslau, den 5 Decbr, 1813.

Vielleicht weist Du schon, liebster Schleiermacher: daß meinem Hause neues Heil wiederfahren ist; gerne will ich es Dir aber auch selbst melden. Heute vor 8 Tagen hat mich meine Frau mit einem recht tüchtigen Kna ben erfreut. Beide sind seitdem wohl, so weit es sein kann und ich kann nur von Gott wünschen, daß es so fortgehen möge. Du kanst wohl den ken, daß ich diesem Begegniß nicht ohne mancherlei Furcht entgegenge sehen habe. Der arme Junge ist unter großer Unruhe getragen, seine Mut ter ist von manchen Uebeln dabei nicht frei gewesen und lange wusten wir nicht, wo er sein erstes Pläzchen finden sollte. Aber er scheint sich daran wenig gekehrt zu haben, denn er ist wohl genährt zur Welt gekom men und ist bis jezt eine ganz ruhige Natur. Es ist mir nun doch eine Freude, wieder einen Knaben zu haben und er soll mir so lange ich lebe eine schöne Erinnerung an alles Große und Erfreuliche sein, was das Jahr 1813 hervorgebracht hat, wie wohl er nur eine ganz kleine Stelle darin einnimt. Möge Gott ihn erhalten, daß er irgend wie der Welt nüzlich | 89v werde, die so viel gute und herrliche Menschen verliert, um sich nur das wieder zu erkämpfen, was ihr nie hätte fehlen sollen.

Wie es uns sonst ergangen ist, weist du gewiß. Denn ich habe den Hofrath Hirt dringend gebeten, Dir Nachricht von uns zu geben. Auch hast Du diese gewiß durch die Röder erhalten. Seit 3 Monathen habe ich nun mein Geschäft wieder angefangen; aber es hat sich so gehäuft und ist so vieles in Unordnung gerathen, daß ich bis Weihnachten vollauf zu arbeiten habe, um neben den kurrenten Geschäften, nur das restirende abzuarbeiten. Durch mancherlei Umstände ist unsre Deputation jezt auf sehr wenig Mitglieder beschrenkt; glükklicher Weise lese ich nicht, sonst wüste ich es kaum zu bestreiten. Für die nächste Zukunft wird manche Verlegenheit eintreten, über die ich mich fast mehr freue, als beunruhige. Wir haben auf der Universität nur 15 protestantische Theologen und in der Provinz fast gar keine Candidaten; in nicht gar langer Zeit werden mehrere Pfarr- und Schulstellen gewiß von ihren Inhabern verlaßen, weil sie ihnen keine Subsistenz mehr geben. Aber dergleichen muß vorher ge hen und recht schreiend werden, wenn die Kirche in einen beßern  Vom Hg. korrigiert.Zustand kommen soll. Denn wie es | 90 zeither gewesen ist kann es nicht bleiben, entweder muß alles aufhören, oder das Ganze neu werden und ein mahl wieder von vorne angehen.

Nachdem ich lange von Dir nichts gehört habe, erfahre ich von der Steffens, daß Du wieder nicht wohl bist. Das thut mir leid und du wirst doch mahl ein Bad besuchen müßen. Ich rathe Dir im voraus sehr dazu. Meine unfreiwillige Muße in Reinerz hat mich auch zum baden verleitet und mein altes Uebel, der periodische Kopfschmerz, scheint dadurch völ lig gehoben zu sein.

Deine Schwester aus Gnadenfrei wird Dich, wie sie mir gestern schreibt, nächstens zu Dir kommen. Dabei fällt mir etwas ein, was ich immer vergeßen habe. Du trugst mir auf, ihr Bücher zu besorgen, wenn sie deren gebrauchte. Sie hat nichts verlangt als ein Frauenzimmerlexi kon, wovon sie Dir den vollständigen Titel sagen wird. Der Betrag ist in der hiesigen Buchhandlung noch nicht berichtiget (bei Korn dem Ältern) und Du wirst dies am leichtesten durch die Realschulbuchhandlung be sorgen können. Ich muß enden, die Post drängt. Tausend Grüße von uns an die Deinigen und an die Reimer. Schreib bald und lebe wohl!

Gaß.

Zitierhinweis

4000: Von Joachim Christian Gaß. Breslau, Sonntag, 5.12.1813, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007503 (Stand: 26.7.2022)

Download

Dieses Dokument als TEI-XML herunterladen.