Es ist Dir wol auch mit den Weihnachtsferien gegangen wie mir. Ich dachte Wunder wie viel ich thun wollte und es ist gar wenig geschehen. Die Zeit verläuft so schnell, es drängen sich eine Menge Lappalien ein und die Freude ist aus ehe man es sich versieht. So verzehre ich heute den lezten Rest von Ferien und will wenigstens noch den Anfang machen mit einem Gott gebe ordentlichen Brief an dich. Ich meine nun Deine Synodalordnung wird aber auch nicht fertig geworden sein. Wenn sie aber auch später kommt laß Dich das ja nicht abhalten mir die versprochene Mittheilung davon zu machen ich muß doch Zeit finden diese wichtige Arbeit ordentlich zu lesen und dir meine Bemerkungen darüber zu machen

Ja ja wie ist es mit diesem Brieflein ergangen! Die obigen Worte sind etwa den 5ten Januar geschrieben und heute ist der 9te Februar. Nun habe ich aber auch beschlossen den Brief nicht eher abzuschikken bis er Euch die Nachricht von Jettens Gott gebe glüklicher Entbindung bringt. Sie ist eigentlich schon seit Gestern nach ihrer Rechnung auf alles gefaßt und denkt einen kleinen Riesen zur Welt zu bringen; alle Leute wenigstens necken sie mit Zwillingen. Ich aber denke es wird nur ein Knabe sein der viel braucht wie sein Vater und damit schon im Mutter | Leibe den Anfang macht. Wenn ihr nun bei so gestekten(?) Sachen die Nachricht mögligst zeitig bekommen sollt: so muß ich wenigstens im Schreiben S über den ursprünglichen Text geschriebenFortschritte machen. Und zwar will ich zuerst ehe ich es vergesse mein Hühnchen pflükken mit Deiner Frau. Es kommt mir nemlich vor als hättest Du über den ursprünglichen Text geschriebenhätte sie Lust, sich nächstens von Dir scheiden zu lassen. Und du schreibst das auch so geduldig hin, daß sie böse ist nicht besonders gegrüßt worden zu sein! Sie will offenbar nicht gelten lassen, daß Mann und Weib Ein Leib sind, und also der ganze Brief mit Haut und Haaren an sie zugleich geschrieben ist, also muß es wol nicht mehr mit ihr stehn wie einer treuen Ehefrau geziemt und ich rathe dir nimm Dich in Acht. Ich aber will mich nicht zwischen Stamm und Borke steken und das quilibet praesumitur bonus noch immer auf sie anwenden und sie also niemals besonders grüßen lassen bis das probatur mala vollständig nachkommt. Es würde mir auch sehr sauer werden denn ich kann mir unmöglich Dich denken ohne ihr allerliebstes Pantöffelchen und alles was darauf steht mit zu denken. Ich denke an dieser Huldigung wird sie für dies mal genug haben.

Das Semester läuft ab wie toll und ich weiß nicht wie ich zu Ende kommen soll. Mit der Geschichte der Philosophie ist es mir ganz lieb; ich stehe noch bei den Cynikern und werde also vollen Beruf haben bei den schwächsten Artikeln[,] dem Aristoteles und den | NeuPlatonikern[,] mich kurz zu fassen ohne daß die Leute merken daß ich wenig davon weiß. Mit der theologischen Moral wird es noch so leidlich gehn, die Encyklopädie kann ich füglich hinten abkürzen weil ich nächstes Semester praktische Theologie zu lesen denke aber mit der Exegese geht es zu schlecht; ich habe meinem Plane nach noch beide Timotheus, Titus und 2te Corinther vor mir und fürchte lezter wird ganz drauf gehn. Man könnte ja 4 Wochen gut und gern auf diesen allein wenden. Dies halbe Jahr habe ich besonders darüber zu klagen daß die Vorlesungen mir ungeheuer viel Zeit kosten ohne daß ich verhältnißmäßig genug dabei lerne. Die Exegese ist das einzige wo meine Sammlungen sich mehren; in der Geschichte der Philosophie bin ich zu sehr wenig neuen Untersuchungen gekomen und auch meine Excerpte haben kaum bedeutenden Zuwachs erhalten und doch hat sie viel Zeit genommen. Die Darstelung ist wol besser gelungen, hoffe ich, aber auch davon ist in meine Papiere nichts gekommen. Von der christlichen Moral gilt ganz dasselbe. Im folgenden Semester soll nun zwar zur praktischen Theologie ein guter Grund gelegt werden, das Gerüste muß ich in den Ferien bauen, aber mit der Geschichte der neuen Philosophie die ich zu lesen denke um mir die Ethik auf den Winter zu versparen wird wol eben so wenig werden als mit der alten geworden ist. – Doch ich will keine Projecte weiter auskramen, es ist mir gar zu oft zu Muthe als würde hier im nächsten Semester nicht gelesen oder wenigstens nicht von mir. Gott mag wissen was noch aus unsern politischen Verhältnissen herauskomt. Mir scheint alles was geschieht so verkehrt, daß ich | lieber gar nicht daran denken und mich gar nicht darum kümmern möchte. Es ginge sonst wol mit der Universität bei uns gut genug, und bei Euch wird es auch schon gehn und ihr lacht uns am Ende aus. Wie soll es nur mit Bredow werden? er wird ja besser sagt man und nur ohnmäsig(?). Warum ist nur die Sache bekant geworden? Konnte sie euer theurer Ohm nicht ganz geheim halten? Meinst du denn der Mann kann nach dieser Geschichte Professor und Mitglied der Gelehrten Deputation bleiben? Es wäre mir nun viel lieber sie hätten ihn ruhig sterben lassen.Dein werther College Augusti hat zu einem Bekannten von mir in Weimar gesagt, mit meiner theologischen Encyclopädie könne es mir doch unmöglich Ernst sein. Fühle ihm doch gelegentlich darüber auf den Zahn wie er es gemeint hat und was ihm eigentlich daran so determinirt spaßhaft vorkomt. Du kannst ihm immer sagen mir sei es so Ernst damit daß ich es ordentlich für eine Probe halte ob es jemand mit der Theologie ernstlich und im rechten Sinne meint, wenn es ihm wenigstens ernsthaft vorkomme. Mit eurem akademischen Gottesdienst wird die Sache hoffentlich zu deiner Zufriedenheit in Ordnung kommen. Es ist nemlich nun völlig beschlossen die Matthiasgemeine soll die Jesuiterkirche bekomen und der akademische Gottesdienst soll in der Matthiaskirche nach dem GymnasialGottesdienst alternirend gehalten werden. Unserer aber liegt ganz vorzüglich weil man sich fürchtet, des Feldmarschalls wegen, den König um die Erlaubniß zu bitten, den akademischen Gottesdienst nach dem Militärischen in der Garnisonkirche zu halten

Mittwoch den 12ten Bis heute hat sich die Frau getragen: so daß ihr am Ende bange ward sie habe sich bedeutend verrechnet. Diesen Morgen endlich um ½ 9 Uhr hat sie sehr glücklich und leicht ein zweites Mädchen geboren. Beide sind so wohl als möglich. Das Kind ist groß und stark und sehr nach der Nahrung. Ich war selbst zugegen und habe 2 Stunden versäumt darüber; heute Nachmittag aber habe ich schon wieder gelesen. – Dieser Brief kann zwar nun erst Sonnabend abgehen und superwordaber ich muß zweifeln daß ich in diesen Tagen noch viel zum Schreiben komme, und bitte dich also auf jeden Fall die frohe Nachricht Steffens und Raumers wissen zu lassen. Gott grüße Euch lieben Freunde und gedenkt unsrer in Liebe

Schleiermacher

Zitierhinweis

3728: An Joachim Christian Gaß. Berlin, um den 5.1. bis Mittwoch, 12.2.1812 , ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007495 (Stand: 26.7.2022)

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