Schade liebster Graf daß gerade jezt sich eine sichere Gelegenheit findet wo ich wenigstens ganz eingenommen bin von Indignation über die neuesten Begebenheiten oder vielmehr Nichtbegebenheiten und ich das, wovon ich fest überzeugt bin daß es geschehen müßte, auch der sichersten Gelegenheit nicht mitgeben, ja kaum Ihnen ins Ohr leise sagen möchte. So wie man einem Menschen nicht wünschen mag länger zu leben wenn er eine unauslöschliche Schande auf sich geladen hat: so auch dem Staat nicht wenn er dies duldet. Es giebt Beschimpfungen welche zu rächen auch der Staat seine Existenz gradezu aufs Spiel sezen und alle die ihn daran hindern wollen niederrennen muß. Über die Sache selbst und die beschimpfenden Umstände wovon sie begleitet ist und die widersinnigen Maaßregeln die man ergriffen hat[,] rechne ich[,] unterrichtet Sie unser Freund der Graf von Wundlaken vollständig. Und | über etwas anderes kann ich kaum schreiben. Alles Alte liegt mir s unendlich fern seit die Entwikelung mit so großen Schritten naht ja ich begreife kaum wie ich noch bei den Beschäftigungen aushalte welche auf einen Zustand berechnet sind von dem wahrscheinlich in vierzehn Tagen keine Spur mehr übrig ist. Ueber mich selbst bin ich sehr ruhig. Ich gehe nicht weg, wenn ich nicht als Staatsdiener den ausdrüklichen Befehl dazu bekomme. Rükken die Franzosen freundlich hier ein so erscheint es mir als eine sträfliche Beleidigung des Königs, ja als eine wahre Felonie wenn ich meinen Posten verlassen wollte von der Voraussezung aus, daß er nicht im Stande sein werde seine Staatsdiener zu schüzen. Rükken sie feindlich ein so besorge ich erstlich gar nicht nach ihrer bisherigen Praxis in Gegenden welche sie völlig unter ihr Regiment nehmen, was doch unstreitig geschieht, daß Einzelne für frühere Handlungen sogar – und Handlungen habe ich ja leider nicht einmal aufzuweisen – etwas sollten zu besorgen haben. Hätten sie es aber auf mich ganz besonders gemünzt | was doch wirklich nicht zu begreifen wäre so kann ich ihnen in einer andern Provinz eben so wenig entgehn und mich zu expatriiren kann mir niemals in den Sinn kommen. Wozu sollte ich also meine Familie im Stich lassen und sie durch Entweichung tausend Unannehmlichkeiten und Aengsten aussezen die wahrscheinlich gar nicht eintreten wenn ich hier bleibe. Ich bin übrigens auf alles gefaßt und soll mir etwas menschliches begegnen: so lebe ich der Zuversicht daß alle meine Freunde den Meinigen an Trost und Unterstüzung leisten werden was in dieser Zeit möglich ist. Ich habe das nur ausgesprochen der Möglichkeit wegen denn eigentlich ist mir gar nicht zu Muth als ob mir jezt dergleichen bevorstehe wenn gleich ich nicht zwei Schritt in die Zukunft zu sehen wage. – Den spaßhaften Umstand daß grade an dem Tage, wo die Nachricht angekommen war, der Staatskanzler mich und grade mit den ausgezeichnetsten antifranzösischen Leuten Scharnhorst Gneisenau Boyen Rediger zu Tische geladen hat kann ich Ihnen doch nicht verhehlen. Er hat mir sogar ein Paar Worte gesagt die sich auf Aufträge bezogen welche mir Gneisenau bei meiner lezten Schlesischen Reise gelegentlich gab.

Unsere Freundin war im hiesigen (?) schon ehe ich Ihren Brief erhielt, und ich habe also in diesem angenehmen Geschäft gar nichts thun können.

Meine Frau hat am 12ten Februar ein zweites Töchterchen leicht und glüklich geboren und befindet sich mit dem Kinde sehr wohl. Dieser häusliche Umstand, und das Zusammendrängen der Gegenstände gegen das Ende der Vorlesungen und mehrere gesellige Zerstreuungen die sich in dieser Jahreszeit häufen sind Ursachen daß ich nicht wie ich mir fest vorgenommen hatte ehe noch von einer Gelegenheit die Rede war einen ausführlichen Brief habe allmählig anfertigen können. Glauben Sie übrigens von meinem Fleiß und dem Segen mit dem ich arbeite recht viel Gutes.   Die Meinigen empfehlen sich Ihnen aufs herzlichste. Ihrer vortreflichen Mutter die so viel schändlicherweise gelitten hat lege ich mich auf das ehrerbietigste zu Füßen. Möchten wir bald und Gutes von einander hören

Von ganzem Herzen und ewig der Ihrige. Schl.

Zitierhinweis

3759: An Alexander Graf zu Dohna-Schlobitten. Berlin, Mitte März 1812, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007454 (Stand: 26.7.2022)

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