Palaiseau den 3ten April 14.

Ich eröfne meinen Brief wieder, mein liebster Schleiermacher um Ihnen mit wenig Worten die wichtigen Ereignisse der letzten Tage als Augen zeuge mitzutheilen. Den 30ten um 9 Uhr Morgens begann der Kampf bey Paris von der Straße von Meaux her. Der Montmartre, der Canal de l'Ourcq und die nahen Dörfer Pantin und la Villette waren vom Feinde besetzt, es waren die Reste der Marmont und Mortierschen Korps und Nationalgarden wie auch bedeutende Depots der alten Garde. Das Artil lerie Feuer war sehr bedeutend, die Stärke des Feindes kann ich nicht bestimmen. Pantin ward von unsrer Garde erstürmt, nicht ohne bedeu tenden Verlust, der Montmartre ward von Langeron erobert, das York sche Korps drang im Centro vor, gegen 4 Uhr erschienen Parlementairs, wir waren im Besitz aller Dörfer und schon dicht an den Barrieren. Der Feind räumte nach einer Convention die Stadt, die National Garde durfte bleiben, an 60 Stück Geschütze sind erobert. Den 31ten gegen Mittag hielten der Kaiser der König, Schwarzenberg &c. ihren Einzug, die Na tional Garde | 68v paradierte in den Straßen. Unsre und die rußischen sämt lichen Garden, nebst vieler Cavallerie begleiteten die Fürsten. Unbe schreiblich groß war der Zulauf der Pariser von allen Ständen, anfänglich mäßig, bald aber ungeheuer äußerte sich der Jubel der Einwohner, ein betäubendes Geschrey la paix, vive Alexandre, – le roi de Prusse, a bas Napoleon, vivent les Bourbons, – Louis XVIII. umtobte uns mehrere Stunden lang. Tausende schmückten sich augenblicklich mit weißen Co carden, weiße Tücher wehten aus allen Fenstern, alles drängte sich an die Fürsten, an jeden aus dem Gefolge, mann weinte, man schrie, man drükte uns die Hände. So zogen wir von der Barriere Pantin bis zu den Boule varts, diese entlang bis zur Place de Louis XV. von da in die Champs Elysées wo sämtliche Garden in parade vor den Fürsten vorbey zogen. Es war 5 Uhr Abends geworden, ich mit einigen Freunden, durchritt die nächsten Gegenden der Stadt, die Tuileries das Louvre &c. Indessen ar beitete das Volk die Statue Napoleons auf der Place Vendome von der ehernen Säule herunterzuwerfen | 69 allein vergebens, die Sache hat sich verzogen, und mußte des Anstands wegen verboten werden. Den Abend fand ich Steffens und ging mit ihm, einem deutschen Buchhändler und dem FeldPrediger Schulze, weil kein Theatre geöfnet war in die verschie denen Caffés des Palais royal, wo wir die Pariser bis zum höchsten Ekel kennen lernten. Den Tag darauf ward ich bey der Witwe des Generals Richepanse einquartirt konnte mich aber verschiedener Hindernisse we gen wenig umsehen. Den 2ten Morgens als ich mich eben anschickte das Dankfest auf dem Platze zu feiern wo Napoleon die frühere Besiegung Preußens verewigen wollte, erhielt ich Marschordre und befinde mich nun hier 4 Stunden von Paris in einem elenden Neste. Die Fürsten waren den 1ten in der Oper wo sie mit unbeschreiblichem Jubel empfangen wurden, der Adler an der kaiserlichen Loge ward vorläufig auf Verlangen des Volks bedeckt. Alle Straßen sind voll Menschen mit weißen Cocar den, viel Vornehme, reiten umher theilen sie aus, unterhalten die Stim mung, ein Paar Tausend Gefangene sind mit weißen Cocarden entlassen. Den 1ten | 69v hat der Senat sich versammlet um über die künftige Regierung zu berathschlagen, der Dynastie Napoleons ist öffentlich der Gehorsam aufgekündigt, die Bourbons ausgerufen, Taleyrand steht an der Spitze. So viel konnte ich Ihnen aus dem unbeschreiblichen Taumel heraus über diese einzigen Ereignisse sagen, hoffentlich bringen uns die nächsten Tage noch bedeutende Dinge, Napoleon soll bey Fontainebleau stehen. Ich muß abbrechen um doch auch einmal nach Halle zu schreiben

Gott befohlen Blanc

Zitierhinweis

4018: Von Ludwig Gottfried Blanc. Palaiseau, Sonntag, 3.4.1814, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007435 (Stand: 26.7.2022)

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