D 21ten. Morgens halb 8. 1808

Ich erwachte diesen Morgen sehr früh, recht sehr früh, es war nur ein Moment vom festen Schlaf bis zum hellen Bewustsein und innigen Gefühl! Schleiers Geburtstag ist es heute es knüpfte sich daran, innige Freude mein Bruder, Wehmuth und Liebe! Die kleinste  Henriette Pauline Marianne von Willich [Schließen] Jette erwachte bald, und verlangte freundlich zu mir ins Bette.  Henriette von Wilich [Schließen] Jettchen und der  Ehrenfried von Willich (d. J.) [Schließen] Knabe schliefen noch, bald aber erwachte auch dieser und er wekte die Mutter mit Küßen auf. „Luise hast Du an Schleiers Geburtstag gedacht?“ war das erste, was sie sagte „ja Jettchen schon recht lange“ und wir erzählten es nun auch den Kindern, und Jettchen gelobte ihnen Heute so viel Weisbrod zu geben als sie nur mögten. Der kleine Junge wollte nun zu „Niny“ so nent er mich, und die kleine Jette zu Mama, wir tauschten mit den Kindern, und Jettchen erzählte der kleinen Jette vom lieben Schleier, wärend ich den kleinen Jung Deinen Nahmen lehren wollte auszusprechen aber ich muste es mir wieder wie schon ein mal begeben, denn immer kam ganz deutlich „Eier“ heraus, und das geht doch gar nicht. Ich weiß wohl wie er Dich beßer nenen kann, Du lieber treuer, lieber Guter! ganz leise versuchte ichs und wie süß sprach es das Kind nach! – aber es ist dieser Name so etwas heiliges und Du oder Jettchen müßen ja die Freude haben, ihn den Kindern selbst zu lehren! O Schleier, wie habe ich es oft mit Schmerzen gefühlt, daß ihnen dieser Name fremd bleiben würde – und nun ist es nicht so, Du bist ihr Vater nun! und Gott hat Dich dazu geseegnet, Gott und unser  Ehrenfried von Willich [Schließen] Ehrenfried , deßen Liebe immer um Euch | 39v und um mich sein wird! Gott Schleier, ja ich fühle das Glük, daß Du ihr Vater bist! ich fühle es mit inniger Freude! ich reiche Dir die Hand, in Demuth Glaube Liebe und Hoffnung! reiche mir die Deine wieder, und glaube daß auch in mir alles gut werden wird; – Vgl. Brief 2902. [Schließen] Du liest vieleicht in diesen Augenblik auch mein Blatt, wenn Du mich lieb hast, wird es Dir nicht wohl thun – ich hätte es nicht schreiben sollen, ich sollte nicht schreiben, in Augenblicken, wo grade der Schmerz in mir auf geregt ist. Vergieb es mir mein Bruder.

 Sachanmerkung:

Ich ... gut sein!] 
Vgl. Brief 2914, 1 – 15.

erlangen–]  lies: erlangen –
 [Schließen]
Ich erhielt Gestern ein Blatt von Dir! ja wohl, so ist es Schleier! klar ist es Dir, und klar hältst Du mirs vor Augen! so kannst Du mich ja nicht erkennen, so nicht lieb haben wie Ehrenfried! nein – so nicht – ich hatte immer nicht recht den Muth mir dies klar zu machen – aber beßer ist es, es giebt mir diese Gewißheit doch wieder eine andre Kraft – ich wollte immer hoffen wieder zu erlangen– und mich dadurch trösten – Aber dies ging nicht – Hin ist hin – dies ist hin! Ich lehnte mich wohl zu sehr an ihn! nie traute ich genug auf meine eigne Kraft – Jetz werde ich mehr allein stehen, mehr auf mich selbst sehen, mehr von mir verlangen müßen! und das wird gut sein!

Ob Du wohl jezt eben Deiner Henriette Geschenk empfängst, und den Cranz von Deinen Kindern? – ! Nun will ich zu den Kindern gehen, Jettchen verlangt gewiß, an Dich zu schreiben. Adieu lieber Schleier!

Zitierhinweis

2938: Von Luise von Willich. Sagard, Montag, 21. 11. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006767 (Stand: 26.7.2022)

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