Den 13t. Sept.

 Wohl von Schleiermachers Hand [Schließen]6

O mein Ernst wie freut mich die Ruhe und Sicherheit in Deinem Gefühl, die Gewißheit in Dir  korr. v. Hg. aus: dasdaß ich die rechte bin,  korr. v. Hg. aus: dasdaß Du an mich gewiesen bist – Auch mir ist es immer gleich klar was ich in Dir habe und wie schön unser Leben sein wird – Aber so wie ich noch nicht einer so reinen Uebereinstimmung in meinen ganzen Wesen genieße wie Du, so bin ich auch nicht ganz ohne trübe Augenblicke.

 Sachanmerkung:

Ich ... haben glaubten] 
Vgl. Brief.

Jette] Henriette Herz
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Ich sagte Dir schon daß die Meinigen sich zurückgesezt gefühlt und nicht ohne Wehmuth mein ausschließendes Interesse für Dich und große Jette bemerckt zu haben glaubten
– nun habe ich noch erfahren daß es ihnen geschienen als sei in mir etwas leidenschaftliches für Dich gewesen von Anfang an so lange Du hier warst, und als sei unser beständiges Zusammensein öfter mehr von mir als von Dir ausgegangen. Sie haben mich wohl nicht getadelt, sie haben mich zu lieb dazu es hat sich aber gewiß etwas in ihrer Ansicht von mir geändert. In der Gewißheit in der sie waren,  korr. v. Hg. aus: dasdaß Ehrenfrieds Andenken mir jede andre Liebe unmöglich mache, die ich selbst durch mein ganzes Wesen ihnen früher gegeben – wurden sie überrascht – Ich weiß nicht warum ich so traurig hierdurch ward welches auch noch nicht ganz über ist. Es entstand in mir die Frage ob ich auch wircklich unzart gewesen sei ob ich mich vielleicht zu sehr habe gehn lassen und wenn mir selbst auch unbewußt mit meiner Liebe Dir | 25v zuvorgekommen, Dir eine Neigung verrathen ehe Du sie hattest – o mein Ernst ich glaube es nicht; aber ich versichere Dir der Gedanke oder die Ueberzeugung daß ich etwas wircklich unzartes mir hätte zu Schulden kommen lassen wäre so wenig zu ertragen für mich  korr. v. Hg. aus: dasdaß ich es Dir nicht aussprechen kann – ja ich glaube ich könnte mir das Leben nehmen. Wenn ich zurückdenke wie mein Wesen gegen Dich war so ist es gewiß ich war so herzlich und besonders auch wenn wir alleine waren daß man es wohl ein starkes Entgegen kommen nennen könte wenn nicht mein Verhältniß zu Dir als Töchterchen mir ein Recht gegeben zu allen Liebkosungen. O mein Ernst ich brauche es Dir nicht zu wiederhohlen wie von der ersten Ahndung an daß es möglich sei daß sich ein näheres Verhältniß unter uns entspinnen könne ich etwas so heiliges hierin fühlte und wahrlich es so ganz Gott anheim stellte  korr. v. Hg. aus: dasdaß ich mir keinen Wunsch erlaubte viel weniger ein absichtliches Entgegenkommen. Aber auch nie war es mir als müße ich etwas zurückhalten aus weiblicher Delicatesse o. dgl – Nur eines Augenblicks erinnere ich mich in welchem mir zu Muthe ward, ich werde es nie vergessen, ich weiß es nicht anders zu beschreiben als ein innres Glühen durch und durch. Wir saßen auf der Reise nach Hittensee im Boote dicht beisammen Du fragtest mich etwas leise, ich glaubte deutlich zu verstehen ob ich Dir gut sei, ich antwortete Dir in sehr innigem Tone, ja sehr sehr gut – Nun hattest Du mich ganz etwas andres gleichgültiges gefragt und achtetest hierauf weiter gar nicht. Ich dachte ich müsse in  am linken Randdie Erde sinken. | 26

Siehe lieber Ernst Ehrenfrieds Geschwister freuen sich Alle so aufrichtig über mein Glück und das kann ja gar nicht anders sein, woher habe ich oft die dunkele Furcht obgleich keine Seele mir dies ausgesprochen, ob sie und seine nächsten Freunde sich über dies schnelle Anschließen so kurz nach seinem Verlust und daß mir das möglich war nicht doch innerlich wundern und etwas gegen ihrem Gefühl darin zu finden? Ja es kann in mir aufsteigen ob nicht selbst Ehrenfried dessen Zufriedenheit dessen segnendes Herniedersehen ich im Ganzen so gewiß bin, dies lieber anders an mir gemocht hätte – Aber wenn ich dann denke daß durch ein solches Zögern in uns so viel schöne Zeit wäre hingegangen so denke ich es ist nichts – aber woher komt es dann daß mir nicht immer frei und ganz wohl ist? eben als hätte ich ein kleines Unrecht? In diesem Augenblicke ist mir freilich ganz wohl und ich drücke Dich mit unbeschreiblicher Liebe an meine Brust – o Ernst ich denke oft daß ich Dich doch noch mehr liebe als Du mich, sage, sollte es wohl nicht wircklich sein?

Lieber vergieb daß ich Dich bitte wenn Du zuweilen was in meinen Briefen findest worüber Du mich schelten mußt, thue es doch recht freundlich und sanft? ich bin gar empfindlich, versprich mir das? und gieb mir nun recht einen herzlichen lieben Kuß und nun gute Nacht. | 26v

Den 14t.

Was ich Dir gestern Abend geschrieben theurer Ernst das siehe doch ja an als aus einer vorübergehenden Stimmung hervorgegangen. Mir ist heute so wohl und klar gewesen ich mag aber jene Blätter nicht wieder zurückbehalten und wollte so gern daß Du Alles in mir kenntest das Nicht Gute wie das Gute. – Mein Ernst wenn es nun wahr wäre daß ich Dich früher geliebt als Du mich könnte Dir dann darin etwas stöhrendes sein, da ich fühle wie Du daß auch meine Liebe aus dem wahrhaft Göttlichen und Heiligen hervorgegangen ist, nicht aus etwas einzelnem? Aus dem schönen früheren Verhältnisse war es so ein zarter allmähliger Uebergang zu dem noch innigeren  korr. v. Hg. aus: dasdaß ich nicht sagen könnte wann und wie, nur das weiß ich daß durch große Jette , durch sie allein, nicht durch etwas das sie gesagt hätte, eine Ahndung mich durchflog, auf eine wunderbare Weise in mir es etwas anders wurde gegen Dich. Und eigentlich ist es ganz dasselbe noch wie ehemals nur unendlich erhöhte kindliche Liebe – Mein Herzens Väterchen meine Freude Dich zu liebkosen meine Sehnsucht um Dich zu sein Dich zu pflegen ist es nicht kindliche Zärtlichkeit? Du magst wohl Recht haben  korr. v. Hg. aus: dasdaß aus kindlicher Liebe ich Dir mein Leben darbringe, nur nenne es kein Opfer, denn es ist selbst mein größtes mein einziges Glück.

Obgleich die Freude an der Kinder Glück die Freude | 27 an meinem eigenen bei weitem noch übersteigt, so hätten doch keine vernünftigen Schlüße auf ihr Wohl und Fortkommen, glaube ich mich bewogen so in Deine Hand einzuschlagen, wenn nicht mein ganzes Herz dazu gestimmt.

Den 15t.

Lieber Ernst ich habe eine recht Unart bei meinen Briefen an Dich, immer eine Besorgniß und Unruhe wenn ich geschrieben ob ich mich auch zu verwirrt ausgedrückt ob  lies: Du mich  [Schließen]Du ich auch mißverstehen könnst – immer wenn ich meinen Brief abschicken will einen Zweifel ob er Dir nun auch lieb sein wird, ich weiß recht gut daß das gar nicht sein sollte bei Dir Du lieber Guter.

Denke Dir nur daß unsere süßen Kinder beide krank sind und klein Friedchen wircklich recht kümmerlich ist, ich weiß seiner Krankheit keinen Nahmen zu geben, es sind allerlei Uebel zusammen, vielleicht Zähne, Würmer etwas Verschleimung die Ursache. Seit gestern bessert er sich. Gefahr ist gar nicht gewesen aber ein großer Jammer das Kindchen recht viel leiden zu sehen, ich habe ihn fortwährend im Zimmer auf und nieder tragen müßen es war das einzige Beruhigungsmittel. Es ist eine große Süßigkeit ein krankes Kind das an uns hängt zu pflegen. Mit Henriette denke ich ist es etwas vorübergehendes unbedeutendes. Sie hat ein paar Tage Fieber ist aber dabei ganz munter und so freundlich und gut  korr. v. Hg. aus: dasdaß ich rechte Herzens Freude durch sie gehabt. Sie war bisher noch immer auf dabei. Recht nahe geht es mir daß der Kinder Kranksein mich an den kleinen Reisen zu meinen Verwandten hindert. Mit dem | 27v Knaben dauert es nun schon viele Wochen. Daß der schöne Herbst mir und den Kindern so verloren geht thut mir auch erschrecklich leid, ich sehe immer das köstliche Wetter aus dem Fenster, weiter schmecke ich nichts davon. Meine Sehnsucht hinaus ist oft unbeschreiblich, ich könnte mich wohl bisweilen frei machen ich hätte aber doch nur halben Genuß. Auf Augenblicke thue ich es und wie köstlich wie erquickend und erfrischend ist es wenn ich so gegen Abend recht erschöpft und nach freier Luft schmachtend, hinaustrete in den vollen Glanz – mir ist dann als wäre ich in eine andre Welt versezt alle Gefühle der Liebe der Wehmuth der Sehnsucht sind in mir wach, und doch ist vor allen in mir vorherrschend das flehende Gebet, die unaussprechliche Sehnsucht eurer werth zu sein Deiner und Ehrenfrieds und meiner Kinder – wahrhaft lebendig zu sein in allen Theilen meines Wesens.



Welche Freude hast Du mir und der kleinen Jette gemacht durch Dein hübsches Geschenk lieber guter Ernst! welche Ueberraschung! ich danke Dir mit dem zärtlichsten Danke. Süßes Väterchen! wie freue ich mich an Deiner Liebe zu den Kindern.

Sage doch  Anne (Nanny) Schleiermacher [Schließen] Nanny ich würde ihr bald schreiben und danke ihr sehr für ihr Briefchen und für den Antheil den auch sie an dem Geschenke hat.

Lieber schreibe uns doch ja recht ausführlich und sage uns alles was Du uns nur sagen darfst. Wir haben hier jezt einen etwas greulichen Capitain obgleich | 28 wir auf einen leidlichen Fuß mit ihm sind. Gott wie machte er mich neulich zittern durch seine Erzählungen durch die Schilderung wie unter allen Gestalten Spione unter uns wandeln durch die der große Kaiser so allwissend und allmächtig sei.

Du frägst mich ob ich nicht zuversichtlich glaube an eine lange schöne Wircklichkeit dieses neuen Lebens?

Mein Ernst seit ich den herben Schlag erlitten, schwebt mir immer die Möglichkeit des Verlierens vor, so ist es mir auch bei den Kindern, nur bei der geringsten Unpäßlichkeit. Die volle Zuversicht die ich sonst hatte habe ich nicht mehr, aber ich hoffe mein Ernst daß Gott dies schöne reine Glück weder trüben noch zerstören wird. –  Vgl. Brief 2808, 3 – 18. [Schließen]Recht gefreut habe ich mich über alles was Du mir von Wedikes sagst wenn sie durch Dich schon von mir wissen so grüße sie.

Weißt Du lieber Ernst daß es hier algemein bei Allen etwas ganz bekanntes und ausgemachtes ist mit unserm Verhältniß? und wer glaubt daß es noch nicht ist denkt es wird schon werden. Meiner Schwester  Luise von Mühlenfels [Schließen] Louise auf deren Verschwiegenheit ich rechnen kann habe ich neulich von uns gesagt, sie war recht gut dabei. Ich sagte ihr aber nichts neues sie hatte es gewiß geahndet und zwar aus meinem Wesen, ohne viel mit Dir zu sein habe ich doch | 28v etwas in meinem ganzen Wesen gehabt das ihr verrathen was in mir vorginge. Sogar die gewesene  Julie Henriette von Lancken [Schließen] Pröck hat zu  Caroline von Mühlenfels [Schließen] Carolinen gesagt, wie sie Dich gesehn und wenn sie Deinen Nahmen hat nennen hören sei ich ihr beständig zugleich eingefallen und wir müßten durchaus ein Paar werden. – Um alle Empfindlichkeiten und dadurch kleine Nachwehen mir zu ersparen sagte ich gerne vorläufig allen meinen nähern Verwandten und Freunden von uns. Große Jette versichert mir daß Du nichts dagegen haben würdest – antworte mir doch gleich hierauf, ich müßte es dann Kathen und meinem Bruder sagen auch an Friederiecke schreiben und durch diese es der Cummerow wissen lassen oder soll diese es durch Dich selbst erfahren? antwortete mir ja gleich. Grüßen soll ich Dich von allen Lieben. Willich die kürzlich hier waren, waren sehr herzlich. Lieber Ernst wie habe ich auch oft ein ähnliches Gefühl als Du mir äußerst – auch als wenn Du aus väterlicher Liebe und Fürsorge mich zu Deiner Frau erheben wollest, nicht so wohl als ob Dein Glück eins damit sei. Lieber Ernst sei mir immer recht gut und sage es mir auch so wie auch alles was Dir nicht recht ist.

Sage doch Nanny daß ihr Briefchen mich erstaunlich beruhigt hat. Aber Lieber wie spät gelangen meine Briefe zu Dir, wenn nur nicht welche verloren.

Deine Jette.

Zitierhinweis

2828: Von Henriette von Willich. Dienstag, 13.9. bis Donnerstag, 15. 9. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006657 (Stand: 26.7.2022)

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