Vgl. Brief 3408. [Schließen] Du hast in deinem Briefe alles so schön dargelegt wie ich mir es auch gedacht – aber leider ist bei der guten Frau an lauter Unglük und Unseegen – oft finstre Verzweiflung, aber, nicht an neues LebensGlük zu denken – Vielleicht wirkt das jezt so freundliche Wetter wohlthätig auf sie – oder andre Umgebungen – wenn sie mit Sell einige Zeit auf einem Dorfe ist wo er jezt hinkomt ihr liebster Wunsch ist der Todt schnelle Auszehrung – an die aber troz des Hustens den sie Jahre lang imer im Winter hat nicht zu denken – Gott was waren das vor Tage in der heilgen Woche und Ostern – sie verglich ihren Zustand am liebsten mit der Sauerman und Dobern – und ergriff öfters Werkzeuge um demselben ein Ende zu machen – es giebt sich denn wieder aber für mich schwaches Wesen ist es nicht zu ertragen – und für die kleine Unschuld in aller Absicht schädlich – Gott gebe daß die Vormünder liebreichen Ernst gebrauchen sie wegzunehmen – da Sell alles anwenden wird das Kind zu behalten – denn von ihrem Zustand weiß er die Hälfte nicht – weil Sie sich doch etwas Gewalt anthut wenn Er da ist  am linken Randvon Bl. 62 v [Schließen]machte Sell ihr allerley recht vernünftige Vorschläge mit Herzlichkeit – aber es war kein Entschluß.  am linken Rand von Bl. 62 [Schließen]Daß sie ihr Haus mit vielem Verlust hat verkaufen müßen – trägt auch viel dazu bey – wegen des Absteige quartiers ist noch alles ungewiß | 62v

ich schreibe alles ausführlich – damit Du den wahren Zustand einsiehst – und mir glauben wirst – daß ich lieber recht arm, als ferner so leben – und so sehr selten mir Geistes Erquikung hohlen kan – in den Wintermonathen – war ich wegen eigner Kränklichkeit nur 2 mahl in Gnadenfrey bösen Krampf im Halse und Magen Beschwerden quälten mich sehr – so daß ich wieder mehr als lange geschehen aus der  Hausapotheke [Schließen]lateinischen Küche brauchen muste – Gott gebe – daß beim Empfang dieses – du selbst – und dein liebes Weib wohler sind – so auch die Kleinen die ich an mein liebend Lotten Herz drüke und sie zu grüßen bitte – ach wer hätte das alles bei unserm Ersehen gedacht! – wenn ich wie manche Gnad enfreyer sagen Unrecht gethan nicht gleich mit der Frau fortzufahren wie er ihr den ersten Antrag machte so habe ich wahrlich diese Schuld schon viel 1000 mahl abgebüßt – das weiß Gott. Er mache dir es klarer als dis Geschmier in welchem Elend aller Art ich mich befinde natürlich die Gewalt so heiter wie möglich ihrentwegen zu seyn – ist eine eigne Anstrengung für deine!

arme Lotte

Zitierhinweis

3428: Von Charlotte (Lotte) Schleiermacher. Wohl Ende April 1810, ediert von Simon Gerber und Sarah Schmidt. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007257 (Stand: 26.7.2022)

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