Donnerstag d. 16t. Febr

10.

Ich habe lange nicht zu Dir geredet mein trautes Herz durch äußere zerstreuende Umstände abgehalten; aber ich bin viel mit Dir gewesen. Ich habe mir das rührende Fest gemacht Deine und  Luise von Willich [Schließen] Luisens Briefe aus jener Zeit der herben Trennung und der tiefen Trauer zu lesen. Ich kann es Dir nicht aussprechen wie ich davon bewegt bin. Der reine Schmerz Deines liebevollen Herzens und das düstere schauderhafte der äußeren Umstände das Dich holde Seele gar nicht berührt – das ist ein Bild dem nichts gleicht. Und Luise die ganz zerstört und des liebsten Gutes beraubt mich bittet Dich zu trösten, und Deine innige kindliche Liebe zu mir an die Du dich hältst und die so weissagend heraustritt aus deinem Schmerz. Süße Jette du bist doch in den verschiedensten Zuständen und Stimmungen immer ganz dieselbe aus Einem Stükk, und das ist eben so herrlich. So bilden auch alle unsere Gefühle Ein Ganzes die Freude und die Wehmuth die Liebe und die Trauer.   Sachanmerkung:

Und ... zu lieben.] 
Vgl. Brief .

Ehrenfrieds] Ehrenfried von Willich

Jettchen] Henriette Pauline Marianne von Willich

Herz] Henriette Herz
 [Schließen]
Und das Jahr darauf ist es ein und derselbe Brief in dem du Ehrenfrieds Todestag feierst und über die Disharmonien klagst in dir, und daß ich wohl mehr ein Bild einer Tochter in dir lieben möchte als dich, und mir dann sagst, wie du klein Jettchen von mir und der Herz erzähltest und sie auf unser Kommen vorbereitetest, erst käme der Frühling und dann kämen wir, und wie Du schon ahndetest sie werde Dir darin ähnlich werden mich zu lieben.
Siehst Du nicht von diesem vermittelnden Punkt aus recht klar und innig gerührt und voll der heiligsten Dankbarkeit gegen Gott wie das alles  | 24v Eins ist in Dir? und so wird auch deine heilige Liebe zu Ehrenfried und meine warlich auch heilige und einzige Freundschaft für ihn uns immer geleiten. – Wenig nur war mir gleichsam neu in diesen Briefen, es war mir noch alles ganz lebendig; nur Eines hat mich schrekhaft ergriffen.  Vgl. Brief . [Schließen] Wie Du sagst es sei dir eigentlich gar nicht unerwartet gewesen daß dein Glükk verschwunden sei; denn es habe nie in deinen Ahnungen gelegen ein festes Glükk zu haben. Aber doch nur ganz vorübergehend hat es mich erschrekt. Ich habe in mir selbst das nemliche wiedergefunden. Nie hatte ich in früherer Zeit bestimmte Bilder von ehelichem Glük für mich sondern immer war es als läge es mir ganz fern, ja selbst mein Verhältniß mit  Eleonore Grunow, Schleiermachers unglückliche Liebe [Schließen] Eleonore war nicht von so frohen Ahndungen begleitet. So nahe auch bisweilen unsere Verbindung schien, weder hatte ich die sichere Erwartung davon recht lebendig noch gestaltete sie sich in mir zu bestimmten Bildern. Aber nun wie herrlich und lebendig steht alles vor mir! Es kann leicht sein daß der Merz und April wieder eine schrekliche und schauderhafte Zeit werden für unser Vaterland – aber es steigt auch nicht die leiseste Ahndung in mir auf als ob etwas meine Reise zu dir unsere Verbindung und unser schönes Leben hindern könnte. Ich spreche bisweilen vor Andern eine solche Besorgniß aus; aber recht lebendig ist das nie in mir und stört mich nie in dem schönen Vorausleben unseres Glüks.

Etwas recht trauriges liebste Jette hat sich grade in diesen Tagen zugetragen in einem Kreise der mir doch recht nahe am Herzen liegt. Wir hatten schon seit einiger Zeit Nachricht daß  die Schwester von Caroline Wucherer, Charlotte von Müffling  [Schließen]Karolinens Schwester sehr kränkelte, plözlich hörten wir es sei ein Nervenfieber ausgebrochen, aber ein Paar Posttage waren die Nachrichten so gut als sie den Umständen nach sein konnten. Am Sonntag als wir eben einen musika | 25lischen Abend mit Karoline haben sollten trifft ganz unerwartet ihr Schwager, der Mann der Kranken, ein. Dieser ist Hauptmann bei der Garde und steht 12 Meilen von hier in Kantonirung. Er hatte einen auf Geheiß des Arztes geschriebenen Brief aus Halle erhalten der ihm den Zustand gefährlich schilderte und seine Gegenwart wünschte und noch denselben Abend reiste Karoline ab mit ihm – aber auch denselben Abend war ihre Schwester, wie wir gestern erfahren haben entschlafen und die Eilenden haben sie kaum noch auf der Bahre gefunden. Auch nach zweitägiger lieblicher Fantasie ist sie entschlafen. Es ist ein herbes Loos. Ihre Ehe war nach harten Kämpfen geschlossen denn die Mutter hatte sie lange nicht zugeben wollen. Sie war  über den ursprünglichen Text geschriebenwaren noch in der ersten hofnungsvollsten Gemeinschaft(?) erst wenige Monate verbunden als der Krieg ausbrach. Der Mann wurde in Magdeburg gefangen und lebt hernach Ein Jahr mit ihr sehr glüklich. Nach dem Frieden ging er nach Königsberg, erlangt eine ehrenvolle Anstellung, und nun soll eben ein neues schönes Leben angehn, und sie stirbt.  Sie stand mir nicht so nahe als Karoline war auch ganz anders, aber auch ein sehr liebes trefliches Weib. Es ist die zweite Tochter die die  Karoline Elisabeth Wucherer [Schließen] Mutter verliert, Karoline und ein  Luis Wucherer [Schließen] Sohn sind nun die einzigen. Ich muß immer daran denken, der Schlag kam mir ganz unerwartet ich hatte gewiß gehofft ihre gute Natur sollte die Krankheit besiegen, und noch den Reisenden die größte Vorsicht empfohlen um sie nicht durch Freude nachtheilig zu erschüttern

Sieh es nicht als ein Zeichen von Angst und Sorge an aber verdenke es mir auch nicht wenn ich Dich bitte doch ja mit Deiner Gesundheit recht auf Deiner Hut zu sein. Nicht recht frisch sein, das kommt mir schon vor als gehörte es sich nicht für Dich, und da  | 25v hizige Krankheiten bei Euch umgehn kann es mir ängstlich werden wenn ich recht daran denke, und es wäre mir wohl erquiklich wenn Du mir in dieser Zeit jeden Posttag wenn auch nur ein Paar Zeilen schreiben könntest. Halte ja, so lange die Krankheiten umgehn, eine stärkende Diät; nimm täglich etwas Wein und gieb auch den Kindern ein wenig, und iß mehr Fleisch als gewöhnlich; das sind die besten Vorbeugungsmittel. So würde auch Schlichtkrull für die Kranken wol am besten sorgen wenn er ihnen gleich in der ersten Periode der Krankheit mit Wein zu Hülfe kommen könnte.

Es ist mir recht ärgerlich Vgl. Brief .  [Schließen] daß du auf Briefe hast warten müssen, denn wenn nun der erste den Du empfängst Dich nicht grade besonders angesprochen hat so ist doch etwas unbefriedigtes  lies: zurükgeblieben. Ich  [Schließen]zurükgeblieben. Ich  Predigt über den Römerbrief 13,1–5 unter dem Titel „Ueber das rechte Verhältniß eines Christen zu seiner Obrigkeit“, die Schleiermacher am 15.1.1809 gehalten hatte und kurz danach hatte drucken lassen. [Schließen] schikke dir hier eine Predigt, weil du doch Verlangen danach hast die ich aus mancherlei Ursachen habe drukken lassen. Ich denke mir, du wirst dich in das rechte Interesse für den Gegenstand schon hineinlesen. Du mußt nur dabei bedenken daß es hier eine ziemlich zahlreiche mißvergnügte Parthei giebt welche viel unnüzes und unverständiges Geschrei erregt über die neuen Maaßregeln der Regierung. Vielleicht schikke ich wenn Reimer zu Hause ist zwei Exemplare Du besorgst dann wol das eine nach Götemiz .

Lebe wohl meine innig geliebte Jette, sei mir ja recht gesund, umarme mir unsere Kleinen auf das zärtlichste, und grüße alles aufs herzlichste. Könnte ich dir doch die lieblichen Blikke der Frühlingssonne die auf mein Papier fallen mitschikken. Mein Gesundheit ist sehr gut. Ernst

Uebermorgen ist unserer lieben  Anne (Nanny) Schleiermacher [Schließen] Nanny Geburtstag

Zitierhinweis

3084: An Henriette von Willich. Berlin, Donnerstag, 16.2.1809, ediert von Simon Gerber und Sarah Schmidt. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006913 (Stand: 26.7.2022)

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