D 2t. F. 9.

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So lange habe ich nicht an Dich geschrieben theurer Ernst aber heute, in dieser Stunde, bedarf ich es recht mich an Deine liebende Brust zu lehnen – mein betrübtes Herz an Deiner Liebe aufzurichten – o mein Ernst das Bild unsres sterbenden  Ehrenfried von Willich [Schließen] Ehrenfried ist mir vor Augen – – ja auch das erquikende und stärkende seines Eintrittes in einen höhern schönern Zustand –

Allein trübe Gedanken und Gefühle mancher Art verwirren mein Gemüth und ich hätte keine größere Sehnsucht als ohne Worte Dich ganz in mein Innres bliken zu lassen daß es offen vor Dir läge wie ein entfaltetes Blatt. Ach daß es möglich wäre daß Du so um mich wissen könntest!

O mein Geliebter! daß Ehrenfried ein Zeichen von sich geben könnte daß er von uns weiß, uns liebt und segnet! – O wie umschlingt mein ganzes Wesen Dich heute aufs neue – wie klammere ich mich fest an Dich – und ziehe unsre Kinder an unser Herz –

Abends.

Wie soll ich es mir erklären mein Geliebter daß ich in zweien Posttagen nichts von Dir hatte – Du wirst doch nicht wieder krank sein – oder Dir wird doch nicht sonst etwas Wiedriges begegnet sein.

O ich bitte Dich wenn Geschäfte – oder was Dich sonst abhalten kann, beauftrage dann doch  Anne (Nanny) Schleiermacher [Schließen] Nanny mir  | 20v mit einem Worte zu sagen was es ist. Ich bin es so gar nicht gewohnt in so langer Zeit nichts von Dir zu hören.   Eine rechte Freude habe ich doch lezten Posttag gehabt durch einen Brief von  Charlotte Schleiermacher [Schließen] Lotte aus Schlesien.

Sie hat mein Schreiben so sehr herzlich aufgenommen das ist mir nun sehr lieb, aber  korr. v. Hg. aus: dasdass sie so viel Gutes von mir glaubt und sich ein so liebliches Bild von mir macht, macht mich im Ernst etwas bange. Ich möchte Dir wohl auflegen sie darüber zu berichtigen wenn ich nicht fürchtete daß du dazu gar nicht taugst –

Die Ursache daß ich Dir so lange nicht schrieb ist hauptsächlich die, weil ich gewohnt bin des Abends zu schreiben und am Tage auch gar keine Ruhe dazu ist, so vertröstete ich mich jeden Tag auf den Abend, nun bin ich aber diese ganze Woche nicht recht frisch gewesen so daß mich des Abends nach dem Bette verlangte. Es ist übrigens ganz unbedeutend mit diesem unwohl sein, ich führe es bloß an damit Du siehst woraus mein Schweigen entstanden.

Wir haben hier manche Erschütterungen gehabt durch das Sterben von Leuten hier aus dem Dorfe die mit uns bekannt waren und so plötzlich hinweg geraft wurden. Besonders aber hat uns das Leiden einer guten Frau, Mutter von mehreren Kindern recht angegriffen die im Kindbette gestorben nachdem sie durch Hülfe des Arztes auf die allerschrecklichste Weise entbunden worden. Wenige Stunden darauf war sie fort.  | 21 Weil Schlichtkrulls Rath und Hülfe bei allen Vorfällen gefordert wird, so komt alles an uns und unsere Theilnahme wird oft gar lebhaft erregt. Schlichtkrull ist sehr brav in diesem Punkte, fast alle Tage hat er sein Fuhrwerk auf der Landstraße gehabt um Ärzte zu hohlen und fort zu schaffen.

 Marianne von Willich [Schließen] Mariane ist auch bei uns doch wird sie wohl in den ersten Tagen uns verlassen, sie grüßt Dich bestens. Daß ich die Götemitzer nicht gesehn ist eine kleine Ewigkeit, ein klein Zettelchen vor 8 Tagen sagt mir jedoch daß  Henriette Herz [Schließen] Jette ruhiger ist.

Bist Du mir auch böse? hast Du auch etwas wieder mich süßer Mann? daß ich das im Ernst nicht frage weißt Du wohl, denn ich denke nicht daß Du mir dann schweigen würdest.

Unser  Henriette Pauline Marianne von Willich [Schließen] Jettchen ist wieder ganz erstaunlich lieblich und sanft. Du glaubst gar nicht wie süß das kleine Wesen sein kann – doch Du weißt es ja. Heute hat sie mich recht erquikt mit ihrer Zärtlichkeit. Und ich habe mich auch unausprechlich an den lieben Geschöpfen geweidet – daß wir sie haben, in ihnen unsern so sehr geliebten Ehrenfried –

Ich habe heute mehr in der Vergangenheit gelebt als in der Zukunft und das ist wohl ganz recht es ist dies einer von den Tagen die recht besonders dem Andenken des theuren Verstorbenen geweiht sein müssen. Das Bild der schönen Tage die ich allein an seinem Krankenbett zubrachte, habe ich  | 21v mir oft vorgehalten denn es ist mir besonders rührend und erfreulich. Ich habe nie so ganz in ihm gelebt mit ganzem Herzen und allen Sinnen, als in jenen Tagen.

Mein süßer Ernst nun wird doch meine Sehnsucht nach einem Wort der Liebe von Dir, ganz erstaunlich groß. Gott wer weiß was Dir begegnet sein mag indeßen ich hier so ruhig sitze und nichts ahnde! aber würde nicht dann Nanny geschrieben haben?

Nur übermorgen – dann werde ich entweder recht froh oder recht unruhig.

Gute Nacht mein süßer geliebter Mann

Ruhe recht sanft.

Freitag Morgen.

Nim für diesmahl mit diesem Blättchen vorlieb, ich schreibe bald wieder recht ordentlich – nur noch eins. Große  Henriette Herz [Schließen] Jette hat Antwort von ihrer  Esther de Lemos [Schließen] Mutter daß ein Fuhrmann auf den man sich verlassen kann den sie wohl kennt 40 Thaler hiesig Geld für eine Frachtfuhre verlangt, wofür er die Sachen an Ort und Stelle abliefert. Er will in diesem Monat bestimmte Antwort. Ich überlaße Dir die Entscheidung, und wenn es Dir annehmlich dünckt so mache es mit dem Manne richtig. Zum Ueberfluß will ich dir doch die Sachen nennen die ich gewilligt bin zu behalten. Ein büreau ohngefähr 2 Ell hoch, Klavier, unsere Tischplatte wenn der Fuß auch zurückbleiben muß  ohne Klammern am linken Rand [Schließen](es ist dies ein Geschenk von Schlichtkrull darum kann ich es nicht hierlaßen.) kleiner Sopha großer Koffer, große Bettkiste. In diesem Augenblick besinne ich mich auf nichts andres. Vielleicht wäre es gut dem Mann die Stücken noch zu nennen.

Leb wohl innig geliebter Ernst und erfreue bald Deine harrende Jette

 am linken Rand von Bl. 20v und 21 [Schließen]Ich schike Dir das Bücherverzeichnis, Du mußt es mir aber ja wiederschicken, ich möchte gerne bald verkau | 21fen was wir nicht behalten wollen.

Zitierhinweis

3060: Von Henriette von Willich. Poseritz, Donnerstag, 2.2. bis Freitag, 3.2.1809, ediert von Simon Gerber und Sarah Schmidt. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006889 (Stand: 26.7.2022)

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