Sonntag Abend d 22t. Jan. 9.

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 Henriette Herz, vgl. Brief . [Schließen]Diese Blätter unserer Freundin die sie mir heute brachte habe ich nur eben gelesen – o mein Ernst unsere theure Jette wie sehr leidet sie und wie weh thut es mir sie so leiden zu sehn! Ach sprich ihr nur bald Trost zu, rede nur recht viel zu ihr und laß mich lieber entbehren, ich wills für sie. Sie hat mich sehr erschüttert durch den schrecklichen Entschluß den sie als möglich ansieht, obgleich es mir nicht einfällt zu glauben daß es dahin mit ihr kommen könte – O mein Ernst es ist eine schwere Zeit! auch ich bin nicht ganz ruhig das gestehe ich Dir – manches trübe Bild tritt vor meiner Seele, aber doch nicht so daß ich es Ahndung nennen könnte – nur Möglichkeiten zeigen sich mir von ferne. Aber ich fühle wohl wie manche Schmerzen sich bei Jetten der Unruhe beimischen – – Aber sage wie kann  Alexander Graf zu Dohna-Schlobitten [Schließen] Alexander so lange schweigen? wie fühlt er nicht in sich wie Jetten ist? wie ist es ihm nicht Bedürfniß der Geliebten grade in so bedrängter Zeit, zuzurufen daß er ihr nahe ist in alter treuer Liebe? Doch nein sage mir nichts was ich Jetten nicht zeigen könnte, weil  | 10v es vielleicht ihren Schmerz über Alexanders Schweigen rechtfertigte; wenn ich grade jezt ihr einen Brief vorenthalten müßte, würde das  lies: ihre [Schließen]ihr Unruhe nur vermehren.  Vgl. Brief . [Schließen]Ich habe ihr heute Deinen Lezten vom 9ten mitgetheilt und ich soll Dich sehr von heute Abend von ihr grüßen und sie sei viel beruhigter über Dich da Du so fröhlich und fast ganz ruhig geschrieben. Es ist wohl gewiß daß ihre ganze Laage hier einen großen Theil zu ihrer Stimmung beiträgt, die wirkliche Öde – die angreifende Jahreszeit – Ja es wäre besser sie wäre in Euren Armen in Berlin ! ich will nichts davon sagen wie unendlich ich dadurch entbehrt haben würde wäre sie fortgegangen, mir ist als hätte ich es kaum tragen können hier so allein zu sitzen und wenn alles längst vergangen erst zu erfahren was euch gemeinschaftlich bewegt haben würde – doch wäre es beßer gewesen Du hättest sie mitgenommen.    Vgl. Brief an Luise von Willich. [Schließen] Ich sage Dir gar nichts über das was du Louisen von Deinen Träumen schreibst – es ist eine zu gräßliche Idee um ein Wort darüber reden zu können – aber wissen mußt Du daß Du Louise gar nicht kennest, wie sehr sie von Vorstellungen ist, wenn Du ihr so etwas  | 11 aussprechen konntest. – Ich beschwöre Dich mein Ernst mir zu sagen ob es nicht ganz möglich ist daß wenn ein Unglück über jene Familie ausbräche es Dich mit hinabzöge? So lange Du uns nicht diese Unmöglichkeit zeigen kannst, und das wirst Du nicht können kannst Du auch nicht Ruhe von uns fordern. Doch denke ja nicht als überlasse ich mich so schauderhaften Gedanken, nein mein Ernst ich halte mich strenge an Deinen Briefen; an Deine Versicherung daß Du mir immer volle Wahrheit über Deine Laage geben wirst. – Ich sehe mit unendlicher Sehnsucht die Zeit dahin gehn und begrüße aufs innigste jeden neuen Monat der mich Dir näher bringt. Ach um so mehr erfreue ich mich des Vergehens der Tage je leerer und armseeliger mein Leben ist. Ich schelte mich oft wenn ich mich frage was ich in dieser Zeit gewinne für mein Innres  korr. v. Hg. aus: dasdaß es mir so gar wenig dünckt da ich doch Dich habe und die süßen  Kinder aus erster Ehe der Henriette von Willich [Schließen] Kinder , und freundliche Menschen um mich. Aber ich habe nicht Phantasie genug um im Geiste soviel durch Dich zu genießen als es schön wäre –

Nun nicht viel mehr als drei Monate und ich halte meinen Geliebten in meinen Armen! | 11v

Gott gebe doch seinen Seegen daß alles gut gehe bis dahin, und er tröste und stärcke unsere Freundin.

Ja wohl mein Geliebter spricht Dein theures Bild mir auch oft liebevoll zu, in manchen Augenblicken sehe ich es in Liebe versunken doch ohne Lächeln mich anblickend, mir tief in die Seele schauend – oft sehe ich es auch anders, oft ist es mir nicht so befreundet aber im nächsten Augenblicke schon wieder erkenne ich Dich ganz darin und es erhält seine alte Beweglichkeit die mir Dich darstellet in dem verschiedensten Ausdrucke

 Es sind wohl die Schwestern von Ehrenfried von Willich gemeint, Luise von Willich und Sophie Schlichtkrull.  [Schließen] Die Schwestern wollen durchaus das Versprechen mir abnehmen es ihnen hier zu lassen, ich habe es aber nicht gegeben.

 Gemeint ist Lotte Schwarz, vgl. Brief . [Schließen] Ich muß Dir nur gestehen daß es mich gar nicht befremdet und überrascht hat was die Gass von Lotte erzählt hat. Ich habe Dir wohl geschrieben daß ich Lotte für geläutert hielte, aber daß es keine recht feste Zuversicht war hast du wohl gemerckt, worauf gründet sie sich auch da ich sonst immer das gröste Mißtrauen in Lottens Reinheit und Weiblichkeit gesezt hatte? So sehr daß sie mir früher ganz wiederstand – auf ihre eignen schönen Worte, ihre zarte Schilderung ihres Verhältnisses mit Hasselbach – auf den Glauben der Freunde die alle hofften wenn sie das rechte gefunden, würde sie durch wahre Liebe, durch einen ganz neuen Sinn gereinigt werden. Es ist mir aber  | 12 leider ganz wahrscheinlich daß die Gaß ganz recht hat, es sieht Lotten nur gar zu ähnlich. Und ich prophezeihe vorher daß sie noch nicht ruhen wird mit den Männer an sich ziehen, daß sie gewaltig ringen wird eine berühmte Frau zu werden und Anbeter zu ihren Füßen zu sehn. Doch mag Sie Hasselbach ja wircklich lieben.

 Vgl. Brief . [Schließen] Süßer Ernst Du machst mich sehr gespannt auf Caroline Wucherer zu liebenswürdig ist sie, das ist sehr viel. Mein Gott es ist entsezlich wie ich werde zurückstehn gegen alle die liebenswürdigen Frauen und Mädchen, ich kann es gar nicht begreifen wie Du das nicht auch siehest, aber ich will davon nichts mehr sagen – Ich habe heute einen recht hübschen geistreichen Brief von der Schede an die Herz gelesen – wird es Dir denn nicht fatal sein daß ich auch nicht eine Spur von geistreich bin?

  Wilhelmine Reimer hatte am 10.1.1809 die Tochter Adelheid zur Welt gebracht, vgl. Brief . [Schließen] Wir haben uns Alle über Mines neues Mutterglück gefreut – und ich habe mit innrer Bewegung die Bilder in mir wiederhohlt die dir sich daran knüpften. O mein Ernst es würde zu überschwenglich sein – ich kann es gar nicht ausbilden – wage nichts davon auszusprechen – Ach ich glaube doch kaum daß die Vaterfreude  | 12v der Mutterfreude gleich sein kann. Bei uns mischt sich gar zu sehr noch die Liebe zu dem Vater, die Andacht zu ihm, die Seeligkeit ihm diese Freude zu bereiten – hinzu. Welch ein Schmerz muß es daher auch für eine fühlende Mutter sein wenn der Gatte nicht ganz mit der hohen Freude das himmlische Geschenck aufnimt, daß Gott sie gewürdigt, ihm zuzubringen. – Ach und welche Himmelswonne wenn der Vater so mit Freudenthränen sein Weib und sein Kind segnet und Gott preiset – Ernst sagt dir Dein ahndungsvolles Herz wir werden das seeligste Leben schmecken? oder sagt es Dir bisweilen wir werden durch ein gräßliches Geschick getrennt einer mit dem Andern vergehn? Ernst ich glaube nicht daß ich nun mehr leben könte ohne Dich, o mein Mann ich liebe Dich wie ich noch nicht geliebt habe,  Ehrenfried von Willich [Schließen] Ehrenfried kann mir darum nicht zürnen, ich doch habe ihn ja auch so sehr geliebt, so sehr ich nur vermochte, aber wie meine Seele an Dich gekettet ist!

Aber ich muß zu Bette gehn es war schon Nacht als ich anfing zu schreiben. Nimm noch meine zärtlichen Abschiedsküsse – | 13

Montag Morgen.

Ich bin wieder ganz allein mit den lieben Kindern Schlichtkrulls, Louise, Mariane sind nach Stralsund und bleiben 2 Nächte dort. Es ist mir ganz recht, ich will unterdessen recht viel in meinem Herodot lesen und auch fleißig arbeiten und Dein liebes Bild nach dem andern Zimmer nehmen daß ich es immer vor Augen habe.

 Sachanmerkung:

Jette ... Leinwand erhalten,] 
Vgl. Brief .

Jette] Henriette Herz
 [Schließen]
Jette sagte Dir schon daß ich vorlezten Posttag die Leinwand erhalten,
Sie gefällt mir sehr ich hätte sie hier doch gar nicht so bekommen können. Bin ich sie noch in Schlesien schuldig oder hast du die Auslage gemacht?

Ich muß doch immerfort an Jette denken, wie wird sie es nur aushalten wenn etwas entscheidendes heran naht und es sich dunkler noch zusammenzieht – Wir sehen uns auch gar zu wenig. Ich gehe mit dem Gedanken um sie und  Charlotte von Kathen [Schließen] Lotte bald auf mehrere Tage recht zu genießen. Es ist eine greifswaldische Reise im Werk woran ich auch anfangs Theil nehmen wollte, allein die Lust ist mir aus meheren Ursachen ganz vergangen, es ist zu kalt für die Kinder dann denke ich so lange in Götemitz zu wohnen als die Poseritzer in Greifswald sind – doch ist es noch unsicher. | 13v

 Eleonore Grunow, vgl. Brief . [Schließen] Dein Traum von Leonore giebt mir eine erstaunlich klare Ansicht Deines Gefühls für sie, und das ist mir sehr lieb denn in etwas fehlte sie mir noch. Ich habe oft daran gedacht ob sie noch wohl einst zu uns gehören würde auch in äußerer Verbindung, aber ich kann es gar nicht recht einsehn selbst wenn Grunow stürbe glaube ich schwerlich daß sie sich zu uns wenden würde wie sehr ich ihr auch die Hand dazu bieten möchte. Wie wird ihr nur sein wenn sie von uns hört – ich glaube doch daß sie sich mehr freut als das Gegentheil

Ich habe oft von Dir geträumt seit einiger Zeit aber immer waren wir sehr innig und recht heiter miteinander. Einmahl war ich außer mir denn dein Bild ward mir ganz und gar zerstört, ganz zerfezt und ganz unkenntlich. Wenige Stunden darauf tratst Du ins Zimmer und stürztest in Meine Arme. Da trauerte ich nicht mehr um das Bild – sondern mir war ganz außerordentlich wohl. –

 Luise von Willich [Schließen] Louisens Weinachtsgabe an mich war das seidene Kleid das  Anne (Nanny) Schleiermacher [Schließen] Nanny ihr hat färben lassen und ein Paar feine warendorfer Bettücher.

Grüße unsere Nanny recht viel. Und das andre Stük Lein möge sie nur liegen lassen bis wir zusammen Bettücher daraus nähen können.

Lotte Pistorius hatte neulich ein paar Blätter  | 14 geschrieben die sie Louisen und mir vorlas, mit ihrer Erlaubniß nahm ich sie um sie Dir zu schicken, nun hat sie sie doch zurück gefordert. Sie hatte sich nicht klar genug ausgesprochen meinte sie. Es war ausgegangen von der Sehnsucht nach dem Wissen die auch mich oft schmerzlich ergreift, nach würdiger Uebung der Geisteskraft und wie wenig die Männer uns hierin zu Hülfe kämen – – Ich sage mir oft daß ich mich täusche wenn ich mich für recht bildsam halte und mir zutraue die Fähigkeit in etwas tiefer und gründlicher einzudringen denn hätte ich diese Anlagen so würde ich weiter sein, ich würde trotz der mangelhaften Umgebung etwas gesamlet haben, würde das erste Jahr mit Ehrenfried wo ich Muße und Gelegenheit hatte mehr genuzt haben. Ich glaube auch gar zu sehr daß in diesem Punckte der Mensch eins ist mit seinem Schiksal, daß man nie den Mangel anders als in seinem Innern suchen muß. Und dann wiederspricht mir wieder die Erinnerung der wenigen Jahre in meiner Kindheit wo ich eines guten Unterrichts genoß und sehr fröhlich und aufgeweckt mit Leichtigkeit alles trieb, was meinen Gespielinnen oft  | 14v bittre Thränen kostete. Du siehst an meinem ruhigen Geplaudere daß ich gar nicht so in Jettens schwarze Ansicht der Dinge eingegangen bin – liebes süßes Leben sei nur recht mein und lasse es Dir wohlgehen

Wenn ich Dir schreibe nenne ich Dich so ganz ohne Scheu mein, mein eigen. Aber noch nie konnte ich wenn ich einer Freundin schrieb sagen, mein Schleiermacher es käme mir so anmaßend vor, anders weiß ich es nicht zu nennen – Dich den außerordentlichen mein zu nennen.

Hast Du einst ein bischen Ruhe und ist es Dir nicht unlieb so sage Tante Willich ein paar Worte, doch eilt es nicht, sie erwartet es gar nicht. Wenn Du willst so laße auch dann die Jette die bei ihr ist grüßen, wir mögen sie beide nicht besonders leiden, sie ist aber doch recht brav und gar freundlich und dienstfertig gegen mich. Doch das mache wie Du willst.

Herzensmann lebe wohl –

ganz Deine Jette.

 Sachanmerkung:

Du ... zu kommen.] 
Vgl. Brief .

aber ... zu kommen.] am linken Rand
 [Schließen]
Du darfst nie sorgen wegen Deines undeutlichen Schreibens, ich möchte ordentlich prahlen wie gut ich deine Hand lesen kann, so daß Jette mich bisweilen fragt wie heißt das aber ist es Dir auch fatal daß ich so scheußlich schmiere, dann will ich mir Mühe geben da heraus zu kommen.

Zitierhinweis

3046: Von Henriette von Willich. Sonntag, 22.1. bis Montag, 23.1.1809, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006875 (Stand: 26.7.2022)

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