Sonnabend d 7t. Jan. 9

3.

Wie schlecht doch die Posten immer gehn, das ist ein  lies: Jammer. Da [Schließen]Jammer. Da  Vgl. Brief und Brief , Einlage an Charlotte von Kathen. [Schließen] bekomme ich Gestern deinen Brief vom 28ten und 29ten und mit ihm zugleich einen weit älteren vom 19ten mit den Einlagen an Lotte. Du mußt Dich auch gewundert haben daß ich davon noch gar nicht erwähnt, und die Arme muß nun um so viel länger entbehren wonach sie so sehr verlangt.  Vgl. Brief und Brief . [Schließen]Indessen ist mir nur lieb daß der lezte Brief nicht so lange ausgeblieben ist, der deine sogenannten Bekenntnisse enthält und ich dir nun doch darauf gleich antworten kann. Eigentlich möchte ich dich dazu auf den Sofa sezen und mich auf irgend ein kleines Fußschemmelchen oder auf die Erde vor dir damit ich dir recht von unten hinauf in die herrlichen Augen hineinsehn könnte, und so möchte ich dich versichern, daß ich dich mir doch auch nicht um ein weniges anders denke als ich  über der ZeileDu wirklich bist und daß ich überhaupt ganz unfähig bin aus Vorliebe irgend(?) Gutes zu groß oder anderes zu klein zu sehen. Besonders was du nun deine Gefühllosigkeit nennst einzige Jette wie lange kenne ich das schon! Wie viel haben wir schon darüber geschrieben, wie lange habe ich Dir schon was davon wahr ist zugegeben und Dich darüber zu verständigen gesucht. Laß dir noch einmal von einer andern Seite dasselbe sagen, ob es so besseren Eingang findet. Das rechte eigentliche Gefühl ist imer nur der Uebergang zwischen den Eindrükken die der Mensch von außen bekommt und seinem Handeln. Wer von den äußern Ereignissen, in Beziehung auf die Ideen die den Menschen leiten sollen und die sein wahres höheres Leben ausmachen, stark genug aufgeregt und ergriffen wird um zuversichtlich mit Kraft und Lust und Bewußtsein das rechte zu thun, der ist es der  | 4v stark und richtig fühlt. Derselbe wird auch gewiß da wo er nicht unmittelbar handeln kann zu Affekten zu Wünschen zu Gemüthsbewegungen aufgeregt werden, welche ein richtiges Handeln vorbilden und dadurch die innere Gesinnung aussprechen. In diesem höchsten Sinne kannst du nun unmöglich sagen daß du ein schwaches Gefühl hast, denn du darfst nur dein Leben deine Handlungen danach fragen so werden sie Dich widerlegen. Daß Du Dir aber deines Gefühls oft nicht so bewußt wirst wie Andere das kann wol sein. Denn zu diesem Bewußtsein kommt man gewöhnlich nur durch die leidendlichen Aufregungen des Gefühls in Erinnerung oder Mitempfindung und dergleichen, und diese sind gewöhnlich bei Menschen von einem frischen thätigen Leben weniger lebhaft, kurz was Dir in einem gewissen Grade abgeht das ist nicht die kräftige sondern die weichliche Seite des Gefühls. Da nun nicht leicht beide ganz im Gleichgewicht sind so mußt Du nur nicht behaupten wollen daß das weniger edle Naturen wären in denen die erste überwiegt und die lezte zurückgedrängt ist. Sonst will ich Dir nur ehrlich sagen ziehst Du mich in dieselbe Verdammniß; denn es geht mir grade eben so, und ich würde zum Beispiel in Stralsund unterm Marktgewühl eben so wenig zu einer tiefen Wehmuth und Trauer gekommen sein wie Du, eben weil  über der Zeilewenn ich wie Du etwas hätte zu sorgen zu schaffen gehabt, und dabei sich in Gemüthern wie die unsrigen solche leidendlichen Aufregungen nicht recht bilden können. Und wenn Du mir nun sagst Du fühltest dich zu diesen Empfindungen oft auch dumpf und unvermögend wenn Du auch nicht gerade beschäftiget wärest und durch das Leben anders bestimt, aus reiner innerer Trokenheit und Leere denn das alles höre ich Dich schon sagen in Gedanken, so hat das doch immer denselben Grund, nur etwas entfernter und verdekter. Mir  | 5 geht es übrigens ganz so wie Dir. Ich rede immer viel von meiner Kälte in dieser Hinsicht und nenne es auch wol mehr im Scherz und als im Ernst Gefühllosigkeit, und die Leute wollen mir immer nicht glauben weil sie mich für einen vortreflichen Menschen halten und doch ihre eigene Tugend und Frömmigkeit mehr in diesen leidendlichen Aufregungen besteht als in etwas anderm. Nun Kind, ich aber glaube Dir, nur kann ich nicht leiden daß du das Gefühllosigkeit nennst, und deshalb Deiner Stärke nicht traust weil sie damit zusammenhängt. Nein ich kann es nicht länger aushalten ich muß mich zu Dir sezen und dich recht an mein Herz drükken und dich streicheln und liebkosen und trösten darüber daß du dich so gequält hast über Dich selbst. Aber ich kann dir doch nun gar nicht helfen es muß dabei bleiben daß ich Dich nicht anders sehe als du bist und daß ich dir die ganze alte Liebe lassen muß ohne daß auch nur das mindeste davon abginge. Sei nun nur ganz zuversichtlich, beruhige Dich, Du hast ja gethan was du konntest und kannst Deine Hände in Unschuld waschen und alles kommt auf meinen Kopf. Wenn ich Dir nun einen Vorwurf machen sollte so wäre es nur der eine daß es Dir am wahren Glauben etwas fehlt. Aber auch das ist ja nur vorübergehend denn Dein herrschendes Bewußtsein ist doch gewiß das der frohen und in sich selbst ganz ruhigen und sichern Liebe, und Du weißt auch wieder daß ich Recht habe so an dir zu hängen und nicht leben zu wollen ohne dich und mich dir ganz hinzugeben und dich eben so ganz hinzunehmen. Du kannst dir das auch nicht wahr und lebendig denken daß Du nicht alles heilige und schöne mit mir theilen solltest, und wenn es mich bisweilen stärker ergreifen wird als Dich so wird es auch umgekehrt der Fall sein eben in den Ausbrüchen Deiner schönen Verehrung gegen mich und wir wollen dann einander aushelfen. Oder meinst du nicht daß ich mich nicht auch manchmal lahm fühle und nichtsnuzig und träge? aber ich will deswegen doch nicht sagen daß ich nicht recht wäre für Dich sondern mich nur immer wieder an Dir stärken und erfrischen. | 5v

Nur laß keine schlimmen Ahnungen in Dir aufkommen daß das schöne Glük Dir nicht würde zu Theil werden, daß die Götter uns deshalb nicht strafen, sondern das alles nimm aufs schnellste zurük und überlaße Dich ganz der schönen Hoffnung. Sieh mein ganzer Wunsch ist doch nun auf schleunige Unruhe und Verwirrung gerichtet aber deshalb komt mir doch nie eine schlimme Ahnung in den Sinn als könnte das Schiksal zwischen unsern Wunsch und die Erfüllung treten sondern ich habe den unerschütterlichsten Glauben.

 Vgl. Brief . [Schließen]Noch eins mein Kind was den Punkt von der Delikatesse in dem älteren Briefe betrifft, da hast du sehr wohl gethan mir dein Gefühl nicht zu verschweigen; aber in der Sache selbst hast du Unrecht; und ich glaube überhaupt nicht daß es mir je begegnen wird dir etwas so durch einen Umweg zu verstehen zu geben. Wäre das nicht auch ganz Unrecht zwischen uns? Ich wollte nur dem ausweichen daß du nicht meinen solltest ich wollte überhaupt gar keine Delikatesse statt finden lassen zwischen Mann und Frau. Uebrigens aber habe ich dir ja schon meine Freude daran bezeigt daß du alles zarte eben zart und doch zugleich so klar und sicher behandelt hast, und das wäre ja eine ordentliche Falschheit gewesen wenn ich dabei hätte etwas im Hinterhalt gelassen. Aber du hattest eben jenes vergessen. Süße Jette lieblichste aller Bräute Du bist ja in alle dem so ganz nach meinem Sinn daß ich dich schon darum allein ganz so ungeheuer lieben könnte wie ich Dich liebe. Und alles was ich gesagt habe daß ich dir Gutes zutraue, greife nur recht an deine Brust und du wirst finden daß es alles da ist; denn ich irre mich auch nicht sieh soviel in Dir.

Sonnt. d. 9t. Ich habe gepredigt über das   Lk 2,41-52 (Evangelium am 1. Sonntag nach Epiphanias) [Schließen]Evangelium , über den Segen einer frühen Frömmigkeit; aber ich weiß nicht wie denn kein Mensch sagt mir etwas davon. Ich weiß daß Sachen vorkamen die sehr nöthig und heilsam sind zu sagen aber wie ich sie gesagt habe weiß ich gar nicht; nur daß es sehr lang war und daß mich heute beim gelinden Wetter mehr gefroren hat als öfters in der größten Kälte, und daraus ist eigentlich kein vortheilhafter Schluß zu machen auf die Predigt. Wärest du nun hier so wüßte ich mehr. – Einzige Jette ich bin bis auf den lezten Moment von einem Besuch abgehalten worden. Ich wollte auch noch an  Luise von Willich [Schließen] Luise schreiben das geht nun auch nicht. Lebe ganz erstaunlich wohl und liebe mich nur recht herzhaft drauf los. Ernst

Zitierhinweis

3032: An Henriette von Willich. Berlin, Sonnabend, 7.1. bis Sonntag, 8.1.1809, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006861 (Stand: 26.7.2022)

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