Neujahrsnacht.

Es ist wohl 2 Uhr ich komme eben von  Henriette Herz [Schließen] Jette welche diese Nacht hier bei uns ist – ich kann mich gar nicht schlafen legen ohne ein liebes Wort mit Dir zu reden. Wie bist Du mir gegenwärtig gewesen den ganzen Abend – mein süßes theures Leben! mein Herzensmann! ich wollte ich könnte noch einen neuen allerzärtlichsten Namen erfinden um Dich in den Augenblicken der innigsten Liebe so zu rufen. Ach Ernst wie ich Dich liebe! wie ich in Dir lebe und durch Dich! Mein trauter Mann mein süßer Ernst mir ist so wohl denn ich vergeße alles was mich drückte – ich sehe nur Deiner himmlischen Augen liebenvollen Blick der mein tiefstes Innre entzündet – und fühle die süßen Küsse in denen wie Du sagst Du deine ganze Seele an mich verlieren möchtest – und mit süßem Leben fühle ich Deine holde Seele zauberisch immer inniger mit mir vereint, die meine mit sich forttragend – hinaufschwebend! O Ernst ein unendlich Sehnen nach Dir, kann mich fassen! Werde ich ums Jahr Dein Weib sein? wirst Du ganz innerlich glücklich mit ungetrübter Freude daß ich dein bin, mich an Dein Herz schließen? Ach Ernst wie ich dir  | 109v gut bin und Dich auf Händen tragen werde, das weißt Du kaum. O Gott im Himmel wäre ich es doch werth dein Weib zu sein – es giebt wohl schwerlich eine die es ganz werth ist – ach stände ich nur nicht hinter Viele zurük – bitte auch Du Gott daß er mich reinige und heilige und segne. – Ich möchte immerfort Dich auf das zärtlichste liebkosen und Dir aussprechen wie ich Dich fast abgöttisch liebe und ehre und doch ist alles so wahr und so ganz Dein eigen was ich in dir anbete. Ich habe angefangen Deine und Jettens frühe Briefe an  Ehrenfried von Willich [Schließen] Ehrenfried wiederzulesen, es ist mir ein sehr rührender Genuß Dich in Deinem ganzen Schmerz zu erbliken, recht in die Tiefe deines Gemüthes zu dringen. Ach dieser Schmerz zieht mich unbeschreiblich hin zu Dir – und doch durchdringt er mich ganz eigen. Ich möchte fragen obwohl ich nicht fragen will, bist du wircklich ganz geheilet kannst du noch so glücklich sein als Du es damals in dem brennenden Verlangen das herrliche Gemüth Dein zu nennen, zu werden hofftest? Du hast mir ja schon geantwortet drum frage ich dich nicht mehr. Auch zwei Briefe von  Eleonore Grunow, die Frau eines Kollegen, die Schleiermacher vormals von einer Scheidung und Heirat mit ihm zu überzeugen suchte. [Schließen] Leonore fand ich gleich oben auf in dem Päckchen, ach wie sind sie schön!

Das liebe Bild habe ich nun vor mir auf  | 110 meinem Schreibbüreau – es blickt so ernst so groß daß ich immer mich davon ergriffen fühle – aber es hindert mich nicht daß ich nicht sollte es betrachten liebend gegen mich gewendet in großer ernster Stimmung – doch als liebender Gatte es mit mir theilend!

Und nun gute Nacht und Seegen über Dich und mich und unsere  Kinder aus erster Ehe der Henriette von Willich [Schließen] Kinder und unsere Lieben und über das Vaterland, in diesem begonnenen Jahr –

Auch im Bette denke ich noch an Dich und träume von dem Schönen des neuen Jahrs



Von Jette soll ich Dich so innig grüßen heute Abend und auch von den andern Lieben.



D 2t. 9.

Nur recht ein Augenblickchen habe ich heute, ich wollte Dir doch erzählen wie uns der Neujahrs Abend gestört ward durch einen recht unangenehmen Vorfall der besonders unsere Lotte Pistorius sehr herunter brachte. Die Gartzer waren hier mit noch ein paar jungen Mädchen die viel in  Charlotte von Kathen [Schließen] Lottens Haus kommen Brunnemanns. Lotte entfernt sich am Abend auch Christian Pistorius und die jüngste Brunnemann . Sie kommen wieder auf das aller komischte und lächerlichste verkleidet – Lotte eine Dame  | 110v aus dem Alterthum vorstellend, Christian  französisch für Hut, hier im Sinne von Mannsbild [Schließen]den Chapeau, die junge Brunnemann einen jungen modernen Herrn – Wie hübsch in ihrer Art die Gestalten waren, wie vortrefflich Lotte es machte das laß dir nur von Jette bezeugen. Aber o mein Gott welch ein Unglück hätte entstehn können. Christian hatte einen Degen an, wovon die Scheide unten in zwei war so daß die Spitze einen Fingerlang durchstach, niemand hatte das bemerckt, die Gestalten fingen an zu tanzen, das Mädchen erhält einen heftigen Stooß, das Blut sahen wir Alle strömen, sie hatte einen Stich über dem Knie an der Seite im Fleisch also nicht gefährlich – ehe wir das wußten, ehe das Blut gestillt war kannst du dir unsere Angst vorstellen o Gott wie leicht hätte es ungeheuer schrecklich werden können. Alle Kinder standen im Kreise herum. Pistorius mit dem Degen immer um sie vorüber gestreift – wir wurden sehr erschüttert doch besonders Lotte Pistorius die noch gestern immer ganz heruntergerissen war –  | 111 Die Wunde ist gar nicht bedeutend, in wenigen Tagen vielleicht beßer. Das Mädchen war sehr brav.

Ich kann kein Wörtchen mehr sagen als daß ich dich innig umarme, und am Neujahrsabend mir gewiß ausgerechnet hatte liebe Worte von Dir zu empfangen doch vergebens –

Grüße unserer  Anne (Nanny) Schleiermacher [Schließen] Nanny

Lebe wohl –

Zitierhinweis

3021: Von Henriette von Willich. Poseritz, Sonntag, 1.1.1809 bis Montag, 2.1.1809, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006850 (Stand: 26.7.2022)

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