Hab. d 16t Octbr 1808.

So manche sonderbare Begebenheiten deines Lebens – habe ich mit dir mein Bester, gleichsam, durchgelebt, und waren manches auch nur Berührungspuncte – an welche im äußren Leben kein Faden angeknüpft werden konte – so habe ich doch alles lebhaft mit empfunden! aber nichts hat mich so recht in der Tiefe bewegt – als die Freude – dich noch ins häußliche Leben als Gatte und Vater hineingehen zu sehn! ich sage sehn – denn wenn mir auch, dis, was von Wünschen auf dieser Welt mir der gröste – nicht werden solte – so werde ich mir doch alles so anschaulich ausmahlen und hoffentlich – durch 4 liebe Menschen auch hierüber so treue Berichte erhalten daß mir sein wird als wäre ich unter Euch!!! O wie würden unsre verewigten Eltern sich freuen! besonders der Vater – der das immer innigst gewünscht – und immer zweifelte daß es einmahl so weit kommen würde!!! – nächst diesen – die gute trefliche Comtesse Friedrique – O! ich könte den Blik zeichnen, hätte ich dis talent, den sie bei dieser Nachricht machen würde – und sagen: möge doch der gute Schleiermacher recht glüklich sein! eben so der edle Louis – den ich nebst dieser Selgen gar oft im Gemüth habe – und gar zu gern wenn deine Verbindung laut werden kan – an Ihn schreiben mögte – was sagst du dazu? Du warst in Koenigsberg – was macht Wedeke! wie recht Väterlich wird der sich freuen – und die Frau die mir mehr aetherisch als Körper scheint! hast es Ihnen doch verkündigt? O daß ich bald davon erführe – darin liegt mir jezt mehr, als an einem Brief von dem Verehrungswürdigen – wenn er nehmlich den meinen erhalten hat! | 20v

Wie ich Dein Jetchen liebe, und wie sehr ich wünsche Euch Beide in Euch und durch Euch glüklich zu wißen – wirst du aus meinem Brief an   Anne (Nanny) Schleiermacher  [Schließen] Nany gesehen und gefühlt haben – gewiß hast du seit deiner Rükkehr aus Koenigsberg längst wieder nach Ruegen geschrieben – und ich bin begierig zu hören – ob du die Trefliche Anspruchslose – und auch Feinfühlende Schwägerin von mir gegrüst hast – Sobald Du mir Erlaubniß giebst mache ich unsre Aulok mit der frohen Neuigkeit bekant – innigst wird Sie sich mit mir freuen. Vor einem Vierteljahr machte sie mir  Karoline (Caroline; Lina) von Aulock und Ernst Sylvius von Dobschütz  [Schließen] Linens Verbindung mit einem jungen Manne bekant den sie ganz aus Neigung geheirathet hat – der aber kein Vermögen hat – noch habe ich Niemand von Allen diesen Lieben seit dem Altwasser Aufenthalt gesehen – weniger als vorher – eigentlich nie kann ich jezt solche Besuche machen –  Einquartierung des französischen Heeres [Schließen]verlaßen uns nur unsre Gäste die Allgebietenden Herren – dann hoffe ich noch diesen Herbst mit meiner Seidliz einen Besuch in Pangel zu machen da Beide sich damals im Bade sehr lieb gewannen. Woher es eigentlich komt; daß ich nach allem diesem durchaus an kein plaudern mit der großen Jette kommen kann – ist mir fast unerklärbar – auch hat die Lose kein Wort von der großen Verwandlung geschrieben – und daß ein herrliches Leben in Ernst aufgehen wird usw – ach die Trefliche werde ich sie auch gewiß noch Persönlich sehen – O wie beneide ich Nany ! | 21 beim Andenken an die Herz,  Friedrich Schlegel: „Über die Sprache und die Weisheit der Indier“ (1808); Charlotte Schleiermachers aus der Erinnerung zitierte Fragment könnte sich auf folgende von Schlegel übersetzte Zeile beziehen: „So sanft, als des umarmenden Kindes Berührung lieblich ist.“, S. 323, vgl. KFSA, S. 432. [Schließen]fallen mir die Uebersezungen aus dem Indischen ein, von Schlegel – eine einzige Stelle von 3 Zeilen schrieb die Gute mir im vorlezten Briefe ab und überraschte mich damit – da ich den Brief nicht hier habe (wir sind wieder einige Tage in Gnadenfrey) weiß ich nichts als die lezten Worte davon,: „als die Berührung des unschuldigen Kindes ist!“ Kanst du oder die Herz mir nicht mehrere Stellen daraus verschaffen?  Friedrich Schleiermacher: „Monologen“ (1800), „Reden über die Religion“ (1799) [Schließen]Deine monologen und religieusen Reden hat die gute Prof. Bertram noch immer, und ich habe kürzlich executive deshalb zu ihr geschikt – denn des thut mir sehr bange darnach ; wie leicht wird sie diese ertragen gegen diejenige welche wir vor einigen Tagen in Habendorf hatten nur 1 Tag waren diese Wüthriche bei Uns, haben Uns aber so viel Schreken und Aergerniß verursacht, daß wir ganz erschöpft waren – zudem bin ich auch noch immer etwas schwächlich –! O es war abscheulich – und gieng doch eigentlich die gute Seidliz nichts an – nur die Pächter, die mit ihren verdungnen Lieferungen an die Franzosen noch sehr im reste waren – da grade der Pächter noch bis Mitternacht bei Uns in der Stube war, und die peinliche Stimung der Dulderin sah, und den festen Entschluß, ihm, die Bewirthung zu überlaßen – so borgte er die große Sume von 939 Thaler, um die Abrufung der Unmenschen zu bewirken – als wir Uns den ersten Abend unsres glüklichen RuheOrtes dankbar freuten, kam noch gegen 10 uhr ein Bote mit der frohen Nachricht daß alles berichtigt, und unsre Burg – ihre friedlichen Einwohner wieder aufnehmen könte – wir dankten Gott mit Innigkeit, und werden Montag wieder nach Habendorf | 21v um dort die Vormünder zu erwarten – die seit Anfang dieses Jahres nicht bei Uns waren – und freilich bei dem Elend nichts helfen können – als neue Capitalie aufzunehmen, um die interressen die noch gar reichlich von dem unbezahlten Gute abzugeben, wieder aufzutreiben – und auch der armen Frau ihr ErziehungsGeld – von dem wir auch Alle leben müßen zu verschaffen – denn die Pächter zahlen für Uns nichts. Unter diesen Vormündern ist auch von Heithaus, der jedesmahl nach dir fragt.  Die hier genannten Personen konnten nicht ermittelt werden. [Schließen]Ein recht gutes Weib aus Breslau, die wir als Mädchen in Pless bei Uns hatten; die Tochter der alten Granwaldin(?) derer du dich gewiß noch erinnerst – hat mich – da sie seit 3 Jahren zur Societät gehört – schon einigemahl besucht; dis geschah auch vorige Woche, da sie mich gar in Habendorf aufsuchte; wir leben dann einen Tag recht glüklich zusammen; mit vieler Rührung denkt sie dann der alten Zeiten – mit einer eignen Anhänglichkeit auch an dich – vorm Jahre machte ich sie auch mit der Herz bekant, von der sie ganz eingenommen ist – und da ich ihr jezt von 1810 – was sagte – bat sie mich inständigst sie vorher davon zu benachrichtigen – damit sie Dich, und Alle die du mitbrächtest sehen  korr. v. Hg. aus: köntestkönnte – Gott gebe daß Alle wirklich kommen – ach wie gern soll sie mit mir so glüklich sein!!! Nun mein Bester mit eigner Ungeduld sehe ich einen Briefe von dir entgegen – komt keiner, so schikke ich dir dieses Blatt zu mit der dringenden, Bitte mich bald wieder von dir hören zu laßen; mache mich so glüklich – du weißt es, und must es fühlen wie nahe wir zusammengehören – und unter den verschiedenartigsten Führungen und Bereicherungspuncten zusammen halten wollen – mit Allen die Du liebst will dis auch

Deine Lotte

 am linken Rand von Bl. 20
Sachanmerkung:

Reinerts] wohl Familie des Karl August Reinhardt
 [Schließen]
Nany grüß ich 1000mahl – was ist das für ein Rätsel, sind Reinerts nicht mehr in Berlin und wie benimt sich Herr Sal P.(?) bitte laß mich ja von Preussen (?) wißen

 am linken Rand von Bl. 21v [Schließen] Meine Seidliz –, die mir bey manchen Schwierigkeiten meines Haupt-Geschäftes das Leben durch ihren traulichen Umgang sehr versüßt – grüßt dich herzlich

Zitierhinweis

2873: Von Charlotte (Lotte) Schleiermacher. Habendorf und Gnadenfrei, Sonntag, 16. 10. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006702 (Stand: 26.7.2022)

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