Den 9ten Oc. 8

So eben, lieber Schleiermacher erhielten wir von Carl den ersten Brief aus Paris . Wie mir jetzt das Stillschweigen zur Gewohnheit wurde, war doch hier mein erster Gedanke einmal Ihnen Nachricht zu geben von uns. Nur wenig schreibt Carl, gleich in den ersten Tagen seiner Ankunft, beinah nur ein Namenverzeichniß von allen Orten die er passirte; aber gesund ist er und heiter, das Übrige wird sich finden. Ich kann mir ihn gar nicht recht vorstellen in dem großen Paris; ich sehe ihn in Gedanken nur immer wandelnd zwischen Bergen und Felsen, den Hammer in der Hand, untersuchend und nachsinnend über die verschiedenen Steinarten. Er sagt auch wie er noch nicht viel schreiben wollte, weil er sich für’s Erste noch gar nicht finden könnte in dem gewaltigen Gewirre. Mit dem Studenten im Faust meint er:   Johann Wolfgang von Goethe: „Faust I“ (1808) (Vers 1946 f.) [Schließen] Mir wird von alledem so dumm, als ging mir ein Mühlrad im Kopfe herum. Nun, das Mühlrad wird sich wohl zur Ruhe begeben, wenn er erst dort eine bestimmte Lebensweise für sich | 5v gefunden hat. Jetzt sinnt er darauf in möglichst kurzer Zeit da zu betreiben was er sich vorsetzte. Sie meinen auch Carl wird nach seinem jetzt von einer Seite so unstäten Leben gewiß zur rechten Zeit in einen sichern Hafen einlaufen. Mir ist gar nicht besorgt darum, so fest vertraue ich ihm. Muß ich doch  1 Kor 13,2 [Schließen] einen Glauben haben zum Berge versetzen , denn einen Begriff von männlicher Kraft habe ich gar nicht! – Von Rieke habe ich recht freundliche Briefe; sie findet sich schon gut genug in die Trennung von Giebichenstein wie ich es gleich von ihrem jugendlichen Sinn erwartete. Was mich amüsirt, ist daß sie mit so großem Eifer das Theater besucht, daß sie sich sogar Vorwürfe darüber macht. Mir ist nicht bange darum; wenn ihr dies Vergnügen nicht mehr neu ist, wird sie es gewiß nicht zu oft genießen; und die Lust selbst Schauspielerinn zu werden kann ihr nicht einfallen, weil sie dazu auch gar nicht taugt. Mir ist dieser Beruf für ein | 6 Frauenzimmer sehr zuwider, weil er so ganz im Contrast ist mit der stillen anspruchslosen Thätigkeit die uns ziemt. – Sehr eingezogen, wie ich auch von anderen höre, leben Reichardts in Cassel [,] nicht in einem so angenehmen Cirkel als in Giebichenstein . Wie gut ist es daß sie untereinander so einig und glücklich sind; vom Umgang den sie sonst haben könnten, sagt mir Rieke nicht viel Anziehendes. Sehr steif beschreibt sie die dortigen Mädchen; nicht mit dem in Giebichenstein so gewöhnlichen du, sondern par mein Fräulein, und Mademoiselle wird alles verhandelt; wie muß das Rieke fremd vorkommen! – So unangenehm meinen Eltern alles frühe Versprechen ist, finden sie sich doch gut genug in Carls Verhältniß zu Rieke . Ich wünschte mein Vater könnte sie einmal sehen, er würde gewiß sehr für sie eingenommen werden. Mir ist’s um ihrer und Carls Ruhe sehr erfreulich daß die Sache entschieden ist. –

Sie sehn doch gewiß meinen Bruder bald einmal | 6v in Berlin , lieber Schleiermacher, sagen Sie ihm doch recht viel von der Herz, was er mir mittheilen soll. So gern wollte ich ihr schreiben; aber wie lange hörte ich nicht von ihr! Ich weiß nicht einmal, ist sie noch in Rügen oder nun zurückgekehrt. Von Ihnen kam mir oft Nachricht. Recht erfreulich war mir Ihre Anstellung nicht, weil sie doch wohl nicht ganz nach Ihrem Wunsch ist. Wie geht es   Anne (Nanny) Schleiermacher  [Schließen] Nanny ? Grüßen Sie sie doch recht herzlich von mir, auch Reimers. –

Mir geht es so gut als ich mich in meine Lage finde; sie bleibt sich gleich, aber freilich durch meine Behandlung bald schlechter bald besser. Gesund bin ich nun wieder, aber fünf Monatte nahm mir die Krankheit fort; gerade den schönen Sommer, wo ich mich sonst ungestörter nach meinem Sinn beschäftigen kann. Ich litt sehr viel; doch es ist nun vorüber, ich will nicht klagen, und auch den Winter, das Einschließen in eine enge Stube so gut als möglich zu ertragen suchen. – Leben Sie recht wohl, lieber Schleiermacher. Viele Grüße der Herz , wenn sie in Berlin ist.

Louise Raumer.

Zitierhinweis

2862: Von Luise von Raumer. Sonntag, 9. 10. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006691 (Stand: 26.7.2022)

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