Habendorf d 18 Juny 1808

  Wahrscheinlich Brief 2758 oder auch Brief 2703, der dann jedoch nicht am 14. 6. 08 eingegangen sein kann. [Schließen] Schon vor einigen Wochen fieng ich eine Epistel an dich an mein Lieber! nun liegt sie in meiner residenz in Gnadenfrey – noch 8 Tage bleibe ich hier – dann begleite ich meine gute von  Helene von Seidlitz [Schließen] Seidliz mit ihren großen Kindern Eduard und Emilie nach Altvasser – ehe dieses geschieht grüße ich dich noch in diesen flüchtigen Zeilen und bitte dich mir baldigst einige Nachricht von dir zu geben –  Vgl. Brief *2725. [Schließen]da ich seit jener Ankündigung deiner Reise nach der Insel Ruegen nichts von dir von   Anne (Nanny) Schleiermacher  [Schließen] Nany und Jetten weiß noch weniger etwas von Euren Verhältnißen Freuden oder Leiden – daß du noch in Halle bist hoffe ich und daß du jene mir noch verheißnen 20 Rthr mir gütevoll zuschiken wollest bitte ich dich hierdurch recht herzlich – da ich in Gnadenfrey noch viel zu bezahlen habe – und auch obschon ich eigentlich keine neue Kleider oder andre galante mode Tücher mir anschaffe, doch einiges zu | 15v diesem 4 wöchentlich Aufenthalt brauche – als auch einen matin zu dem künftig öftren hin und her reisen – soll ich mir alles das schon auf Abschlag geben laßen so reiche ich das erste Jahr da ich noch viel zu berichtigen habe – gar nicht – bitte dich also recht herzlich – wenn es nicht bei Empfang dieses schon unterwegens – es doch bald nach Gnadenfrey an den Herrn Einnehmer Tieze zu senden – nicht nach Altvasser – dort möchte es confusion – machen – ich werde ihm anweisen es einer Schwester abzugeben an welche ich mancherley Auszahlungen zurücklaße; ich bin dir für diesen freundlichen Beistand inigst dankbar mein Lieber. Am  7. Juni 1808 [Schließen]3ten Pfingstfeyertag verließ ich die  Erziehungsanstalt (Schulinternat) für Mädchen in Gnadenfrei  [Schließen] Anstalt – mein kleines mobiliar blieb die Haelfte bei der alten Dame, wo unsre residenz mehrentheils im Winter sein wird das andre wurde hierher gefahren – da Rumpel noch bis Johany bleiben wolte – so trieb ich mein Wesen inGnadenfrey mit Emilie – die ganz eigen zu studiren ist | 16 welches wirklich recht nothwendig war – um hernach im ganzen handeln zu können – jezt in den lezten 8 Tagen, da die Uebergabe des Gutes an die Pächter ist – das Haus voll fremder Leute ist – bin ich mit hierher gegangen, um mit dem Locale bekant zu werden – weil auch Rumpel viel Geschmak an solchem Spectacle findet, oder vielmehr sich einbildet viel oder gar das meiste dabei thun zu müßen; mit diesem sujet habe ich manchen comischen Auftritt das heißt nur bei Tische – wo von seiner Seite alles in kräftigen Sentenzen oder satirischen Fragmenten abgehandelt wird – welches gar herrliche VerdauungsMittel sind – alles beßer als das sentimentalische velches er zuerst einmischen wolte – was dir sehr interessant seyn wird – ist daß er von Novalis: „Heinrich von Ofterdingen“ (1802) [Schließen] Novalis kunstroman ganz begeistert ist – ich hatte den 2 Theil hier nachdem ich schon lange getrachtet – ich ahndete es daß ihm vieles sehr behaglich sein würde – und irrte mich nicht – es wurde  mit Einfügungszeichen am unteren Rand auf Bl. 15v, überlaufend auf Bl. 16 [Schließen]mir schwer mich von diesem treflichen Buche zu trennen Gott wie sehr wünschte ich es eigen zu haben – wenn alles | 16v ausgeführt wäre – und einiges mit dir zu lesen. Am Sonnabend vor Pfingsten sah ich meine Aulock in diesem Jahr zum erstenmahl – auch sie bedauert so gar nichts von dir zu wißen – erzählte von einem Herrn in Breslau  Friedrich Schleiermacher: „Monologen. Eine Neujahrsgabe“ (1800); „Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ (1799) [Schließen]der von deinen religion und monologen so ganz begeistert Dich so verehrt, und darum glaube ich schon mich zu kenen wünschte weil die Aulock als davon die Rede war auch mich nante – gleichsam als wäre ich nicht ganz unwürdig Sinn dafür zu haben – jener Heinke hat zur Aulock gesagt – ein jeder ordentlicher Mensch solte die monologen lesen – leztere hat sie ihm geliehen – die  Friedrich Schleiermacher: „Die Weihnachtsfeier“ (1806)  [Schließen] Weinachtsgespräche mögen wohl auch ganz eigen seyn – oder Du hast sie vielleicht solchen Kindern zu Liebe geschrieben deren Mütter in deinen Augen viel werth sind meinte meine trefliche Freundin! Schade daß wir nicht eher nach Altvasser gehen konten – nur noch 8 Tage bleibt sie – dort – nach unsrer retour bringt die Seidliz den Eduard in die Anstalt nach  Kleinwelka  [Schließen] Kleinvelke , nimt den Adolph mit und ich bleibe mit den Töchtern bei der GroßMutter. Am 1ten August bin ich bestimt dort – dann hoffe ich einen  am linken Rand [Schließen]recht ausführlichen Brief zu finden der mein fühlend Herz für so manche empfundne Leere entschädigen soll – grüße die Nany von Lotten

 am linken Rand von Bl. 15 [Schließen]An Jetten schrieb ich noch im May – leider antwortete sie mir meiner dringenden Bitte ohngeachtet nicht – o Gott! ich entbehre viel.

Zitierhinweis

2751: Von Charlotte (Lotte) Schleiermacher. Habendorf, Sonnabend, 18. 6. 1808, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0006580 (Stand: 26.7.2022)

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