Berlin d 6t. Jan. 16

Mein lieber Freund es ist freilich sehr lange Zeit hingegangen ohne daß ich dazu gekommen bin Ihnen meine herzliche Freude an Ihrem neuen Glük zu bezeugen. Aber daß Sie sehr lebendig davon überzeugt sein muß ten durfte ich wohl voraussezen und so habe ich es eben so gehen laßen wie die Umstände es mit sich brachten. Sie haben nun wieder die Ferien wie ich von Jensen hörte bei Ihrer geliebten Tina zugebracht, und ich habe in dieser Zeit aus mancherlei Veranlassungen Ihrer ganz besonders gedacht. Ich wünsche Sie mögen es auch gethan und Ihrer Tina von mir gesprochen haben als von Einem der Ihrem Herzen doch nahe ist und an dem Sie keinen Zweifel hegen wenn er auch nicht schreibt. Dieses Jahr wird Sie nun wol ganz in die Vollständigkeit des Lebens einführen. Denn warum sollten Sie Sich die Zeit verschwenden mit Warten, da d über den ursprünglichen Text geschriebensofern Sie nicht etwa angenehme Veränderungen Ihrer äußern Lage bestimmt ab warten können oder müssen. Also nur frisch zu! und alles erfreuliche was ich | von Ihrem häuslichen Leben und Ihrer wissenschaftlichen Wirksam keit noch mit erlebe wird mir herzlich wohlthun. Wenn man einem Bräu tigam überhaupt zumuthen könnte daß er seine Geliebte abschildere so möchte ich es schon von Ihnen verlangen. Denn was ich so einzeln und zerstükelt gehört habe genügt meiner wahren Theilnahme an Ihnen nicht die ein recht anschauliches Bild Ihres Verhältnisses bedarf. Ich werde mich aber zur Geduld begeben müssen. Unter meinen Reiseprojekten ist eines, das mich auch nach Kiel führen könnte – aber wann es wird aus geführt werden können das liegt im Schooß der Götter. – Ihren Aufsaz in den Kieler Blättern habe ich mit rechtem Wohlgefallen gelesen. Bei der dort herrschenden Stimmung wie Sie sie mir beschrieben war es wol das einzige grade diese Seite des Verhältnisses herauszuheben. Von dem Zu stande der kirchlichen Angelegenheiten in Holstein hat mir übrigens neu lich Jensen Greuel erzählt die doch noch bei weitem das übertreffen was hier zu Lande geschieht. Gott bessere es das thut warlich überall hoch Noth. – Unsere | Bestrebungen nach besserer Verfassung und Verwaltung scheinen immer auch den rechten Flek noch nicht zu treffen, und der Verwirrung ist bei dem besten Willen des Königs noch kein Ende abzu sehen. Der Aufsaz zur kirchlichen Verbesserung namentlich ist ganz ab geblizt; alles wird sich auf liturgische Neuerungen beschränken, durch die gewiß gar nichts gewonnen wird; und die beschlossene neue Einrichtung der geistlichen Staatsbehörden kann wenn sie wirklich zu Stande kommt nur verderblich wirken.

Was werden Sie nur zu meiner polemischen Schrift sagen, die ich Ihnen nicht schicke weil sie gewiß schon früher ihren Weg nach Kiel gefunden hat? Es schien mir heilsam einen Versuch zu machen, ob man durch einen solchen Schlag mit der Schärfe des Schwerdts dies unselige und in unserer gegenwärtigen Lage höchstverderbliche Geschrei dämpfen könne. Dabei war ich besonders berufen auseinanderzusezen daß gewisse ältere Ver hältnisse in den Kreis dieser Beschuldigungen nicht dürften mit hinein gezogen werden. Da ich endlich viel Geschrei voraussah so that es mir wohl bei dieser Gelegenheit mich dagegen zu verwahren und gegen das Urtheilen aus bloßen leeren Worten heraus stark zu protestiren. Es hilft weiter nichts! sie schreien doch das schike sich für den Geistlichen nicht | ohne daß sie sich verpflichtet fühlten sich auf Gründe einzulassen. Mir thut es indessen wohl ein für allemal gesagt zu haben daß ich mich nicht daran kehre. Manche Leute haben mir die Ehre gethan diese Schrift Lessingisch zu finden; Wolf hingegen hat gesagt „wenn dies gut geschrie ben wäre so wäre Lessing ein Narr gewesen“. Das ist mir doch zu hoch. – Eine früher erschienene einzelne Predigt, die sonst vielleicht nicht in Ihre Hände kommen möchte habe ich Reimer gebeten Ihnen durch Gelegen heit zuzusenden. Sonst habe ich aber nichts gethan in diesem Semester als eine allgemeine Arbeit über den Brief an die Römer gemacht, über den ich alle meine Papiere verloren hatte. Dies Vierteljahr war auch noch beson ders beschwerlich, weil ich neben dem Rectorat auch noch das Präsidium in der Akademie hatte. Nun gewinne ich etwas mehr Muße, und hoffe wenigstens Ansäze zur Ethik machen zu können

Brandis hat sich nun habilitirt und will anfangen zu lesen. Wir werden hoffe ich immer näher bekannt werden. Die Meinigen sind wohl und grüßen herzlich. Unsere Freundin Herz hat lange an den Augen gelitten und ist davon sehr angegriffen gewesen

Nun Gott befohlen. Grüßen Sie mir Ihre Tina herzlich Schleiermacher

Zitierhinweis

4220: An August Twesten. Berlin, Sonnabend, 6.1.1816, ediert von Simon Gerber und Sarah Schmidt. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0008781 (Stand: 26.7.2022)

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