An / Herrn Doctor und Professor / Schleyermacher / Wohlgebohren / in / Berlin [Bl. 2v]

Wohlgeborener Herr, hochzuehrender Herr Doctor!

Ein Sie sehr hochschätzender Freund – eben derjenige, der Ihnen vor mehreren Jahren von einer auf Sie gefallenen Wahl nach Halle die erste Nachricht gab – ein genauer Freund desjenigen Mannes, der Sie diesen Sommer mit seiner Tochter und einer Demoiselle V. dort besuchte – wagt es, Ihnen mit diesen Zeilen, einem seiner Freunde zur Gefälligkeit beschwerlich zu fallen

Es hat dieser Freund, der vor einiger Zeit leider so gewißen, Aussicht, daß ein Krieg zwischen dort(?) Rußland und uns aufs neue ausbrechen würde, in Getreide, bey den jetzt hier schon ziemlich hohen Preisen speculirt und so stark speculirt, daß er den Verlust seines ganzen beträchtlichen Vermögens fürchten muß wenn es aufs Frühjahr oder im Laufe dieses Jahres wirklich nicht zum Kriege kommen sollte denn nur in diesem Falle würden die Preise hier noch bedeutend steigen müßen und besagter | 1v Mann dadurch gerettet seyn. Da man nun hier aber so wenig, von dem was wirklich zu erwarten ist, weiß, und täglich sich die widersprechendsten Gerüchte durchkreutzen und jener Mann dadurch in die schwankendste Lage in Hinsicht seiner zu nehmenden Entschließungen versetzt wird, so hat der Schreiber dieses Briefes es unternommen, sich an Sie hochzuverehrender Herr zu wenden, um von Ihrer Güte sich einigen Aufschluß über diesen so höchst wichtigen Gegenstand sich zu erbitten. Ich glaube fest daran, nach Allem was man sieht und hört und seit mehreren Wochen schon, habe ich mit meinem Freunde dahin gearbeitet, es möglich zu machen, um mit seinen großen Vorräthen noch 4 bis 6 Monate es hinhalten zu können, ohne in diesen Entschlüßen sich wankend machen zu laßen. Da indeß oft Augenblicke der höchsten Unschlüßigkeit eintreten, die ihn aufs grausamste quälen und ich selbst oft schreckliche Unruhe, ob mein Rath auch wohl gut seyn könte, leide; so appellire ich hochzuverehrender Herr deshalb an Ihr Urtheil und Meinung und bitte mir, da Sie auf einem | 2 helleren Standpunkte stehen, gütigst baldigst zu sagen, ob Sie nicht eben so wie ich, über diese Ereigniße der Zukunft urtheilen? Mir scheint jenes Ereignis unvermeidlich und fast täglich zu erwarten zu seyn und ich glaube, daß auch Sie gegen uns seyn werden. Ist denn nicht wirklich so und ist es nicht gegründet, daß mit jenen Morgenländern Friede ist? Geben Sie mir also gütigst so viele Erläuterungen hierüber, als Ihnen nur immer möglich ist und zwar so bald als es nur seyn kann und addressiren Sie Ihre gütige Antwort an unsern Freund Müller, mit dem Beyfügen der Addresse: an F. A. Meyer aus Hamburg. Der Brief wird dann zu meinen Händen kommen und ich berechne, daß in sechs Tagen Ihre gütige Antwort hier seyn kann. Oder auch, schreiben Sie nach Belieben an unsern hiesigen Freund Müller geradezu und beantworten an ihn diese Anfrage. Er ist in diesem Augenblick etwas unpäßlich, daher er Ihnen nicht selbst schreiben kann. Ich denke, in der großen Helle, worin Sie dort stehen, werden Sie mir viel Licht geben können und ich sehe Ihrer gütigen Antwort, mit dem höchsten Verlangen entgegen! Des verursachten Portos wegen, bleibe ich einstweilen Ihr Schuldner und empfehle mich Ihrem gütigen Andencken

ganz ergebenst. N. N.

Bremen Jan 1/.

Zitierhinweis

3725: Von Karl Heinrich Ludwig Giesebrecht. Bremen, Mittwoch, 1.1.1812, ediert von Simon Gerber und Sarah Schmidt. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0008680 (Stand: 26.7.2022)

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