Poseriz, Sontag Morgen den 2t Ot. –14

Sey mir wilkomen theurer lieber Bruder, in Deinen vergnügten Lebens Muth, und Lebensfreude! ich bin so herzlich froh darüber daß ichs Dir nicht sagen kann. Wie habe ich mich jedes schönen Tages wärend Eurer Reise doppelt gefreut, mir war, als hätte ich jedes erkwickende Lüftchen sammeln mögen, zur Stärkung für Deine Gesundheit – und wenn es rauh war, so tröstete ich mich damit, daß es in den herrlichen Reihngegenden wohl anders sein würde.

Wie himlisch war Eure Reise! – wie glüklich ist Jettchen! Liebe Jette hast Du wohl mal an mich gedacht? und an Ehrenfried? liebe Schwester!

Es ist Sontag, und Schlichtkrull muß es mir nicht übel nehmen, daß ich nicht in die Kirche gehe – auch der liebe Gott nicht, denn er weiß daß ich eben so fromm bin wenn ich nicht hingehe, und mich beßer erbaut habe an eine Predigt von Dir, die ich eben mit Tante Willich las. Es war die 6te, „Der wankelmüthige Sinn der Menschen als Quelle der Leiden des Er lösers“ (Es läutet eben zur Kirche, immer habe ich dann Sehnsucht dahin, nun finde ich hir wonach ich mich sehnte) Lieber Schleier daß ich die ses so sehr entbehren muß verschlimmert recht mein Schicksaal – denn ich kann nicht aus mir selbst so viel schöpfen als ich gebrauche, um vorwärts zu gehen – Ich habe Deine Predigten, und ich danke Gott dafür aber warum bedarf nun zuerst ich dies Gemeinschaftliche bei Al lem?

Du hast mir so viel gegeben in den lezten Zeiten, lieber lieber Schlei ermacher, daß ich Dir nicht dankbar genug sein kann. Auch in dem Briefe worin Du mich so hart angreifst, thue es nur immer wieder, ich will es immer so lange lesen und hin und herwenden bis ich weiß daß Du Recht hast, und dann soll es ein gutes Land bei mir finden, das hoffe ich zu Gott. In diesen reinen Streben will ich auch Deine Predigten als mein Eigenthum ansehen. Gerne mögte ich sie nun noch mit Tante zusam men lesen, die so unendlich dadurch | 129v erquikt wird, und von der ich Dich grüßen und innig danken soll das trug sie mir auf wie sie Heute das Buch zu machte, denn sie muß lesen anders thut sie es nicht, eine größre Freude glaube ich könnte ihr nicht werden als wenn Du ihr die nun 3 Theile Deiner Predigten selbst schenktest, sie würde sehr glüklich damit in den Winter hinein gehen. In eingen Tagen reist sie nach Stralsund, Ike ist schon vor 14 Tagen dahin, weil ihre Schwester sehr krank ist.

Also ist mein Bruder glüklich zurük? ich wollte nur er bliebe noch in dieser Militairischen Thätigkeit, das Postamtswesen und Gewirr, in dem alten vatalen Bunzlau ist nichts für ihn – weist Du lieber Schleier daß Du mich nächsten Mittwoch vor 3 Jahren den 5ten October von da abhol test? den 6ten kamen wir zu Hause, es war Jettchens Geburtstag, viel leicht nehmen mir Culmans diesen Brief mit, drum lege ich ein Bänd chen ein für meine liebe kleine Jette, es wird ihr 'n bischen zu weit sein, denn ich kaufte es für mich, daß übrige kann sie ihrer Puppe geben – ich habe nichts Andres, und mögte gern  korr. v. Hg. aus: dasdaß Du es ihr von mir gäbst mit einen freundlichen Gruß.

Lieber Schleiermacher ich kann mich kaum drin finden daß Du schon an mich geschrieben hast, wirklich dafür mußt Du eine glänzende Beloh nung haben, und wie könnt ich Dich schöner belohnen als abermals durch einen kleinen sauren Döhn. Durch alle Schwierigkeiten bin ich glüklich hindurch gedrungen 2 Schefel Korn und einge Kartoffeln spen dire ich ihm noch, mehr kann ich ihm nicht zeugen, hat er das herunter gequetscht, so wird er gewürgt, und mein bestes Talent werde ich aufbie ten, ihn zirlichst zu bereiten – könnte ich dann gleich eine Gelegenheit finden, so machte ich auch kalte Leberwurst, und Hindrichs, und nie mand soll mir dabei etwas anrürn, liebe Jette Du glaubst nicht welche Freude es mir macht es allein für Euch zu zu bereiten, aus eignen Mitteln und eignen Kräften. Aber meine Noth geht wieder an mit den Gefäßen und den Gelegenheiten | 130 Du hast nun schon manche Kiepe und der gleichen bekommen, und hätte ich doch das Gefäß vom vorigen Jahr nur wieder, das Geld dafür ärgert mich immer, es kömt mir immer so zum Überfluß vor – ja und wie soll ichs zu Euch hin kriegen, das liegt mir noch ganz in Finsterniß gehüllt – Nun kömt Zeit, kömt Rath.

Von hir kann ich Dir wenig erzählen lieber Schleier – ich habe keinen recht frohen Sommer gehabt, er ist so in Buscheley hin gegangen – So daß ich gar nicht 'n bischen erfrischt in den öden todten Winter hinein gehe – Ich mag eigentlich gar nicht dran denken denn ich kann keinen hellen Punkte finden – wens nicht die Sterne über mir sind. „Es gehe wie es gehe, mein Vater in der Höhe, der weiß zu allen Sachen Rath.“

Ich habe erst jezt zum ersten Mal Stillings Leben gelesen, und es hat mir unendlich wohl gethan. Ich las es mit den 2t Theil von Göthens Leben in gleicher Zeit, wie ganz verschieden sprechen mir beide an, wer mir lieber war weiß ich wohl. Dreist hat mir gerathen den lezten Theil von Stilling nicht zu lesen – so viel lieber mögte ich den 3ten von Göthe jezt lesen ich weiß ihn nur noch nicht zu kriegen, wie es mir damit über haupt schlim geht. Ich werde mich wohl an Schildener wenden müßen, obgleich ich weiß daß er nicht gern seine Bücher verleiht.

Mein Bestes was ich diesen Sommer gehabt habe, waren Solgers und nachher Dreists. In Sagard war ich diesen Sommer fast gar nicht, nicht ein einziges mal im Frühling, ein mal nur auf Stubbenkammer, und so daß ich nicht die mindeste Freude daran hatte, mit Schuberts waren wir in Sagard (Wilhelm wird immer dröniger.) und wie wir abfuhren nach Stub benkammer erhielten wir die Nachricht  korr. v. Hg. aus: dasdaß Onkel Schwarz tödlich krank, und keine | 130v Hoffnung zum Leben sei. Wie plözlich dieser Schlag kam wird die Herz Dir gesagt haben. Wir fahren zum Begräbnis dahin. Ich hoffte noch die liebe Luise zu sehen, aber – der Sarg war schon zu die Gestalt nicht mehr zu sehn – er hatte das fromme Auge nicht wieder geöfnet – und ein sehr liebes Leben hat uns verlaßen. Nach dem Begräb niß den anderen Tage fuhren alle Freunde ab – Mariane und ich blieben eine große Leere trat ein – Theodor ist tief, vor allen Andern tief gebeugt, er liebte den theuren Vater mit kindlich frommen Sinn, und er fehlt ihm überall. Tante bleibt wahrscheinlich nicht in Wiek – welches vielleicht das beste ist so schwer Theodor die Trennung fallen mag.

3 Wochen war ich mit Mariane in Wiek, dann 3 Wochen in Sagard von wo Willichs nebst ganzes Haus mich Heute vor 14 Tagen zurück brach ten. In Bergen wo wir die Pferde wechselten, trafen wir Dreists und or dentlich schmerzlich war mirs sie nur so kurze Zeit zu sehen. Doch sahen wir sie nachher noch in Garz, und ich auch in Götemiz, und um vieles mögte ich dieses nicht mißen. Du glaubst nicht wie freundlich sich der Dreist dem Gespräch und Erzählen von den Kindern hin gab. Nein ich fühle mich von mancher Seite so sehr beruhigt seit ich ihn gesprochen habe. Er hat mir auch gesagt lieber Schleier daß Du gar nicht hart mit der Kleinen Jette umgehst, sondern im Gegentheil sehr milde und freundlich – mein lieber Schleiermacher, dann wird sie auch gedeihen, gedeihen zum Guten ob zum Glük des Lebens? nein das glaube ich nicht – es liegt ein Keim im Kinde, deßen Blüthe mehr Schmerz als Freude bringt ach glaub es mir – drum gieb ihrer Kindheit Freude mein geliebter Bruder, und drücke sie an Dein Herz wie Ehrenfried es that wenn er sagte „mein süßes Kind“. Hast Du ihr wohl schon von ihrem Vater gesagt? Wir gehen gleich zu Tische, und ich muß nun aufhören, um nicht mit Thränen in den Augen herunter zu kommen.

Tante Baier hat nach so vielen Schmerzen, nun ein mal eine große Freude. Julius der in 4 Jahren nichts hat von sich hören laßen, hat ge schrieben, er ist gesund, Capitain in Spanischen Diensten und wird um Urlaub ersuchen.

Zitierhinweis

4076: Von Luise von Willich (auch an Henriette Schleiermacher). Poseritz, Sonntag, 2.10.1814, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007862 (Stand: 26.7.2022)

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