Poseriz d 30 J. –14

Hätte ich es doch nur ahnden können daß ein Döhn Dein Herz für mich erweichen, und das Band Deiner Zunge so doppelt lösen könne, wie lange schon hätte ich so ein Exemplar, aus seinem Schlam erhoben, und ihn an Deine Tafel gesandt. Im Ernst lieber Schleiermacher kann ich es kaum begreifen wie ich zu zwei so liebe Briefe kurz auf einander folgend, von Dir komme? – und nun muß der dritte auch bald da sein, denn die Blumen hast Du jezt, und Du würdest Dich doch schämen müßen, wenn Du hirvon weniger begeistert wärst als von dem alten Schweinfleisch ich hoffe denn doch Dein estetisches Gefühl wird siegen über Deine Erd theile, laß mirs glauben zu Deiner Ehre!!

Es ist Sontag Morgen, 9 Uhr etwa, ob Du wohl Heute predigst? ach könnte [ich] einmal nur zwischendurch in Deine Kirche gehen – ich prüfe mich oft lieber Bruder ob ich es wohl könnte, in Berlin sein ohne in Deinem Hause zu wohnen – ich könnte dann wohl Euch öfter sehen wie jezt, ich könnte die Kinder sehen, ohne Eure Furcht schädlich auf sie zu wirken, was Du ja jezt auch glaubst, doch still davon – könnte Ehrenfried Euch ein freundliches Wort darüber sagen, ja da dann wärs ein Andres – doch jezt – ich bin allein, mein Fürsprecher ist ja nicht mehr –. Wenn die Kinder erst größer sind, nicht wahr dann ists doch | 125v wohl anders? aber dann ist auch die schöne Zeit der lieblichen Kindheit vergangen, ich bin ja jezt nicht mehr Jetchens „Niesse Mutter“ Friede ruft nicht mehr so süß schmeichelnd. Nie nie – aber Lieschen legt wieder das Gesichtchen in meine Hand und sagt: „Ei –“ –. Lieber Schleier ach warum muß ich weinen – ich weine ohne traurig zu sein – – Sieh ich wollte noch sagen: ich könnte dann immer Dich predigen hören, und nach der Kirche mit Euch in das liebe kleine Haus gehen, die Kinder sprängen mir dann ent gegen aber – ich müste dann wieder weg gehen, ich gehörte nicht Eurem häuslichen Leben an, ich könnte nicht Morgens in Deinem Zimmer sein und dies war mir immer so lieb, so sehr lieb – wie leid that mirs immer wenn ich den Tag kommen sah – wie erfreute es mich, wenn du mich beim Weggehen auch freundlich noch in der Thüre zuniktest – ich bin jezt immer auch schon auf, wenn Du und Nanny auf bist – oft sitze ich im Geist neben der lieben guten Nanny, und sehe Dich, und mir ist wohl in Eurer Nähe, so fern Ihr auch seid – Sieh, darum bin ich auch immer noch froh, daß ich ein Mal bei Euch war, sonst könnte ich es so jezt nicht sein ist das nicht wahr? Ja nun mögt ich wie | 126der Ehrenfried fragen – ach tausendmal frage ich ihn, ich bekomme keine Antwort – Doch oft auch, oft wenn ichs am wenigsten glaube, tritt er mir ganz nahe, nahe mit seiner Liebe mit seinen Trost!! Dies ist seine Leidenszeit, vor 8 Jahren um diese Zeit hatten wir ihn noch, nun komen seine schwersten Kämpfe – auch in diesen Tagen starb die gute Willich – 8 Jahre ist Ehrenfried schon todt – Wißen die Kinder daß er ihr Vater war? Du sprachest ein mal so lieb darüber zur Spalding – wir waren in Friedrichsfelde, es war nach Spal dings Tode schon, Du sast auf dem Sofa, der grad gegen der Thüre steht neben Dir saß die Göschen, bei ihr Mina Sprengel dann auf einem Stuhl Jettchen, dann Caroline Schede die mit uns gekommen war, dann ich, neben mir die liebe Spalding, gegen Dir über Ein Tisch in der Mitte, da kam der alte Friede zwischen Euch gesprungen ganz Leben und Glükse ligkeit, ins Frei zu sein, Du zogst ihn liebend an Dich (solche Momente halte ich fest zu meinem Trost) und sagtest zur Spalding „ich habe oft schon daran gedacht ob man den Kindern nicht von ihrem Vater sprechen müste, mir deucht man darf ihnen das nicht nehmen“. Die Spalding woll te eben antworten da fing Jettchen, die dies wohl nicht bemerkt hatte, von etwas ganz anderm an zu [sprechen] | 126v und es war vorbei, ich aber habe oft daran gedacht, aber nicht danach fragen mögen.

Ich glaubte so nah der Freude zu sein Sein Grab bezeichnen zu können, ich hatte die Mittel endlich gefunden, doch ach zu spät – das Grab ist nicht mehr zu finden ich habe unendlichen Schmerz darüber gefühlt und fühle ihn noch, es ist vergebens – Für Heute nun adieu. Wir fahren Heute nach Götemiz, Morgen nach Garz zu des Alten Geburtstag, eben war ein Bote hir, Lotte will gern ich soll mich darauf einrichten, etwas bei ihr zu bleiben, da Sophie, sich jezt wieder so befindet, daß sie die Wirtschaft selbst besorgt, so werde ich wohl etwa 8 Tage bei ihr bleiben, dann mü ßen die Sagardschen auch kommen, oder es wird nichts daraus – ich hätte nun wieder so manches Dir zu erzählen und zu berichten – Das ist nehm lich das Band womit ich Dich zu halten hoffe, und Dein Interreße für unser im Ganzen etwas dürftiges Winterleben – Ein August Brief kanns nicht werden – von meinen eigenen Leben, in dieser Zeit, schweige ich – Der Müller hat mich indeß doch eingemal aufgeregt –. Kann ich meinen Brief Morgen schließen, so ists gut, sonst schreibe ich von Garz weiter, aber darauf schimpft der Alte dann immer, ich soll nichts schreiben, ich soll sprechen, sagt er – von Dir mag er gar zu gerne etwas hören, er fordert mich oft eigenlich auf von Dirwas | 84

Mondtg den 31t Jan. Morgens

Guten Morgen lieber Schleiermacher. Wir kamen in Götemitz recht er wünscht, sie waren allein, wir hatten uns lange nicht gesehen, Lotte war nicht wohl gewesen, und Sophie auch nicht, dazu war die unerträgliche Schnemaße, nicht zu durchbrechen gewesen hir – ich mag an diese Zeit gar nicht denken – Lotte, Sophie ich Christiane sezten uns auf den Sopha, Lotte Pichler(?) und Liene neben an – den Kaffee Tisch vor uns, wir theilten uns Eure Briefe mit, die wir von Euch seit unsrer Trennung be kommen hatten, und sprachen dies mal viel von Euch, Schlichtkrull und Kathen drönten, leider sprach – ich. Das Gestern uns, ein Ärger wie Lotte dafür nicht hören konnte was ich las – „ach Gott die alte Drönerey“ sie hattens gehört – und ich habe von Schlichtkrull ein gutes Frühstück genoßen hättest Du mir gesagt was er mir gesagt hat ich müste rein vergehen – wenigstens weinte ich mir in aller Stille die Augen aus den Kopf – nun? – ich schnit mir ein Büttenband dazu, ging auf mein Zimmer wo mir kein Mensch weder Liebes noch Leides thut – und schreibe an Dich, und fahre Heut Nachmittag nach Garz und bleibe da, ich denke bis die Sagardschen kommen.

Zum The kamen noch Rüzens, die sehr hübsch und glüklich mit ein ander leben, Rüz liebt Mienchen auf das innigste, und Mienchen fühlt sich sehr glüklich durch seine Liebe, sie ist sehr thätig, sehr lieb und gut, und frommen demüthigen Sinnes. Wir haben sie nun fürs Erste zum lez ten Mal außer ihrem Hause gesehen, in diesen Tagen kömt Tante Baier zu | 84v um sie in ihren Wochenbette beizustehen.

Die Herren sezten sich zum Spiel, und ich las beim The, noch meinen lezten Brief von der lieben Herz vor, der wieder ganz einzig schön ist! Die einfache Sprache in ihrem Briefe und dies malerische darin – nein es ist zu anziehend, Du solltest blos lesen wie sie mir Julchen beschreibt, Du sollst wirklich die Herz ihre Briefe mal lesen wenn wir uns noch mal wieder sehen – und wie schreibt sie über Dich – wie außerordentlich schön lieber Bruder – nein gewiß es ist nicht so mit Dir, wie Dein jezt vieleicht oft kranker Zustand es meint – ja Du bist noch derselbe dein Geist und Dein Gemüth! ich mag es Dir nicht wiederholen was sie von Dir schreibt, aber ich bin so ganz beruhigt – nicht gefragt hatte ich sie um Dich weist Du noch den Morgen, wie Du bei ihr warst mit Twesten zusammen? ich weiß wie Du da warst, und wie Du Alle schön bewegt hattest durch Deine Nähe! Sieh, so ist es wohl oft ohne daß Du es weist –! gewiß so ist es oft, nicht gewesen, es ist und bleibt, bis Dein Auge sich schließt, und Du erwachst im ewigen Licht! Möge Gott Dich dieser Wellt noch lange erhalten!

Um Deinetwillen sehne ich mich nach den Sommer, der Dich hoffent lich zu einer stärkenden | 85 Quelle führen wird, unsre schöne Hoffnung Euch zu sehen schwindet zwar dadurch, doch gerne wollen wir das Opfer bringen. Jettchen muß ja natürlich mit gehen Sophie hatte für die Kinder und Deine übrigen Hausgenoßen eine sehr hübsche Idee, zu unserer Freu de wenigstens doch ach – da fiel uns plözlich ein was Sophie sehr zu Herzen ging Euer Mißtrauen gegen uns in Hinsicht der Kinder – nein ich schlage es nicht vor Sophie – ach nein sagte sie  korr. v. Hg. aus: daßdas thue ich auch nicht – Sieh wäre Ehrenfried noch da, der würde zu Jettchen sagen „mein Jett chen vertraue meiner Schwester“ und dann hette ich Muth zu sagen – laßt Schwester Lotte und die gute Nanny mit den Kindern zu uns kommen so lange Ihr ins Bad seid! Die Herz kömt auch – könnt Ihr aber nicht den Gedanken laßen, den Ihr gefast habt – ach nein dann laßt uns ferne bleiben den Kindern –

Ich muß nun diesen Brief mit dieser Post abgehen laßen, ich mögte so gerne der lieben Lotte, einen Gruß senden | 85v ich freue mich so herzlich, daß sie bei Euch ist, ich kann mirs recht denken wie Dir die Nähe der geliebten Schwester der treuen Jugendfreundin wohl thut wenn auch Jett chen Dir das höchste Gut ist, so ist doch treue Schwesterliebe dem treuen Bruder auch ein Glük und ein Segen! ach ich weiß es wohl – –

Wie danke ich Dir daß Du so freundlich meiner gedenkst bei Deiner Schwester und uns gerne einander zuführen mögtest von Herzen will kommen würde sie uns hier sein, ob ich nun eben bei ihr nicht gewinnen würde beim nähern Kennen –? denn ich weiß daß sie ein viel zu gutes Bild von mir hat – doch bin ich ruhig, mit Wahrheit habe ich mich ja ihr aus der Ferne genähert sie wird Wahrheit und Liebe auch in der Nähe finden, und das übrige mit eigner Liebe, schonen und mildte ertragen.

Welch ein süßes Bild hat Jettchen mir von der kleinen Trude gegeben, mit einem Mal bin ich das Kind so gut geworden aber Lieschen? –

Adie lieber Schleiermacher. Luise

Zitierhinweis

4013: Von Luise von Willich. Poseritz und Götemitz, Sonntag, 30.1. bis Montag, 31.1.1814, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007859 (Stand: 26.7.2022)

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