Poseriz den 22t. N. –13

Laß Dirs doch recht klagen lieber Schleiermacher daß ich Heute erst mich darauf besinne daß wir Gestern den 21ten hatten – Nein, und zu arg wirklich ist es, daß ich ein langes und breites mit Christiane über Deinen Geburtstag sprach daß die Herz schreibt, um 8 Tage ist Schleiermachers Geburtstag – und nun mein Klagelied anstimmen, daß ich nicht habe erhalten können was nöthig war der Kunst abzuborgen, um mein kleines Natur Product zum ganzen freundlichen Bilde für Dich zu gestalten – und Dich so wieder an Deinem Geburtstage meinen Gruß zu bieten – fast hätte ich Lust ein kleines Glied davon diesem Briefe bei zu fügen – aber ists nicht das Ganze so ists ja nichts – eben so hatte ich mit Schwürig keiten zu kämpfen für Dir der lieben Herz Geburtstag – biß es zu spät – und das Ganze zu unvollkommen ward – nein nur in der Stadt kann man Mittel finden die kleinen Praktischen Neigungen zu realisiren – Die noch so schöne Natur ist doch schöner wenn die Kunst sich ihr als Dienerin anschliest –  korr. v. Hg. aus: daßdas fühlte ich oft, und erfahre es oft – Soltest Du doch wohl meiner gedacht haben? suchtest Du mich nicht unter Ich size Reisefertig, um nach Garz zu fahren; Lotte Pistorius ist mit der Rumpf nach Stralsund und auf ein par Tage, und ich will so lange die Pflegerin, der Alten, und Kranken sein.

Gestern den 21ten Comunicirten wir, und hatten Nachmittags viele Leute bei uns – Kathens, Rüzens, Hahns, Püpkes, Wilds von Sißow und Ernst Frank. Abends wie sie weg fuhren sagte mir Minchen daß Caroline Weregen gestorben sei – ich bin recht betrübt um sie – Mein Gott, wie ich in Berlin war, starben hir so viele Menschen die mir lieb waren, nun ich hir bin? – wie Viele Lieben sind nun dort schon wieder geschieden – Ach ist denn das ewige Wort der Erde Scheiden? – und immer und ewig nur Scheiden? – Mein geliebter Bruder, es giebt so heitre schöne Momente im Leben mit den Lieben – aber im Scheiden – im Scheiden durch den Todt liegt zu viel Schmerz! – ich kann diesen Schmerz so schwer besiegen – so schwer – Komt doch nächstes Jahr wieder zu uns! Laßt uns einander sehen und lieben so lange wir auf dieser lieben bekanten Welt mit einander leben.

Freitag den 26ten. Gestern holten mich Schlichtkrulls wieder, und nun eben habe ich eine Braut gepuzt, es gelang mir recht gut, es war nur ein Bauernmädchen, aber um es mir angenehm zu machen wand ich den Kranz mit derselben Sorgfalt als wär sie unsres Standes, ich mochte das Mädchen auch gerne leiden, sie war so sanft und still, und äußerte | 121v sich so demüthig wie sie über ihren Bräutigam sprach, er ist ein Seefarender und sie eines armen Bauers Tochter, und sie macht also ein brillantes Glük, sie hat ein zartes Eußeres, und ihr stand der grüne Mirthenkrantz wirklich rürend hübsch in den blonden Locken.

In Garz ging es mir recht gut. Ich gab mich natürlich nur der Pflege für die Kranken hin, aber wie sehr gut kann es einen dabei auch sein. Wilst Du mal die Runde dort mit mir gehen? so laß uns nur gleich rechter Hand ins Zimmer treten, dort liegt die alte einige 70 Jährige, Capitain Eden sten, welche vor 14. Wochen aus Greifswald nach Garz kam. Lotte hatte sie darum um eine bleibende treue Geselschaft für ihre Mutter zu haben, und dadurch für sich mehr Freiheit zu gewinnen, 8 Tage genoß Lotte diese auch wirklich – plözlich aber wird die alte Edensten krank weil sie zu viel Kohl gegeßen und darauf geschnapst hatte, sie litt an ungeheuren Kolikschmerzen – bekam nach dem Fieber, die Gelbsucht, Nervenfieber und nun zulezt Leberkrankheit – Diese Alte liegt in dem Zimmer gleich rechter Hand, ein recht erbärmliches Bild, und eine rüren de Theilname kann man ihr nicht versagen – eine recht Geduldige stiller gebene Kranke – sie hat täglich Fieber, und besonders in den lezten Tagen schien sie sich dem Tode sehr zu nähern – immer reicht sie einem freund lich die Hand wenn man zu ihr kömt, und immer ist sie dankbar und zufrieden mit allem was man ihr giebt und leistet – ihren Todt erwartet sie klarer Besonnenheit, und mit stiller Ruhe und Ergebnung, „nun kann es ja nicht lange mehr dauern“ sagte sie zu mir, nun es kann ja wohl noch wieder beßer mit Ihnen werden, „nein das kann es nicht, die Leber geht so nach und nach weg, und wenn sie weg ist, dann sterbe ich, meinen Sohn mögte ich gern noch ein mal sehen weiter habe ich auch keinen Wunsch mehr“ bei einer solchen Kranken und Sterbenden ists nicht schwer zu sein aber – nun gehe weiter, im nächsten Zimmer liegt die Mutter – ach Schleiermacher was ist der Mensch? – recht zereißend ist dieser Anblik – nicht Ergebung, nicht Hoffnung stärkt sie im Leiden – in einem Gespräch Geschwäz mögt ich sagen ist sie – sie erzählt, läßt sich erzählen – ist unzufrieden mit der noch so treuen Wartung – nimt nur Rüksicht auf sich – Kurz sie ist im vergrößerten Maaßstabe jezt in der Krankheit was sie schon in Gesunden Tagen war. Die arme Lotte – | 122

Wenns nicht mehr zu sprechen gab muste ich ihr vorlesen – ach wie gerne will ich es öfter thun wenn Lotte dann nur frisch athmen kann – und nun komm nur ein bischen im Saal, da steht jezt des Alten Bette, mit ihm ist es außer Lotte doch das beste Leben, auf mich ist er im Ernst immer böse wenn ich einge Zeit in Sagard bin aber sehr freundlich und lieb wenn ich bei ihm bin, und das macht Spas genug. – Phielip schleicht auch mit sein Pfeifchen umher freundlich und gut, und wenn nur sein Pfeifchen Knaster brent das ist recht sein Element. So nun Punktum. Lot te kam Mittwochs aufgefrischt und heiter zu Hause, wir gnügten uns nun noch etwas mit unter uns [zu] sprechen, und Donnerstags holten Schlichtkrulls mich wieder ab.

Heute ist Sonabend nach Deinem Geburtstage, Morgen sind wir mit den Götemizern zusammen nach Dazuw geladen, da will ich mich noch recht mit ihnen zusammen ärgern daß wir vorigen Sontag nicht an Deinen Geburtstag dachten. Aber Schleiermacher jammert es Dich nicht n bis chen? auch nicht ein mal schwarze Seide kann ich bekommen Dir ein par Handschu zu stricken. Sieh so geht mirs jezt immer, erst wenn Ham burg frey ist laßen mir die Stralsunder sagen könne ich schwarze Seide bekommen, ob ich da wohl lange noch warten muß?

Wenn Hermann glüklich gereist ist, so ist er jezt bei Euch in Berlin, meinen Brief wird er Jettchen bringen – nicht wahr das war einmal eine recht liebe Überraschung? Wenn er doch eine recht glükliche Reise hätte, und seiner Alwine, seinem Kinde und uns Allen gesund wieder heimkehrte!

Sontag Morgens.

Ich hatte meine Zimmer aufgeräumt, was von der heitren Morgensonne lieblich umleuchtet war, und dies Blatt lag bereit mich zu empfangen, da fiel mein Auge auf Deine Monologen, ich nahm sie in die Hand und wollte mal sehen, welche Stelle ich wohl so unwilkürlich aufschlüge – und grade die traf ich die mich immer, und immer wieder so innig bewegt! Mein Gott Schleiermacher wie lebhaft ist mir der erste Eindruk daran, wie ich Dich Persöhnlich noch gar nicht kante, wie stand Dein Bild vor meiner Seele! und geliebter Bruder, dieses Bild bleibt ewig mir! es ist das Wahre Reine Heilige, was durch nichts beschattet wird, was immer mir genommen wird, und damit bin ich zufrieden. Lies doch die Stelle von Seite 64–66: „In nahen Bahnen wandeln oft die Menschen[] ich mögte die ganze Stelle niederschreiben, aber es ist ja Dein Eignes. | 122v

Herman hat Euch nun wohl alles erzählbare von hir erzählt, und so hätte ich im Grunde nicht nötig zu schreiben, aber ich fühle mich doch dazu gezogen – zwar zum dritten Mal schreibe ich nun schon, ohne ein Wörtchen von Dir wieder zu bekommen, doch bin ich nun doch zu mei ner Freude und Ruhe, so weit hindurch gedrungen, daß ich mich dadurch in dem Zuge meines Herzens nicht beschränken laße. Du nahmst doch immer die Briefe von Rügen mit freundlichen Interreße entgegen, warst nie unfreundlich wenn ich in Dein Zimmer trat – obgleich mir oft blöde dabei zu Muthe war – so werden Dir ja auch meine wiederholten Briefe nicht lästig sein.

Wie gerne mögte ich mal von der Spalding und der Alberthal was hören. Ach von so Vielen – lebt wohl Reimer noch? Carl Sack? Marwiz?

Lieber Schleier, Du pflegtest nicht gerne nach Deinem Befinden be fragt sein, und so gerne mögte ich von Dir davon ein mal hören! bitte sag mir wie Dir ist? – bist Du wohl oder leidest Du? wie geht es Dir Du Lieber bei Allem was diese Zeit Dir raubt? ich meine Deinem Herzen – Das Irdische giebt doch nur Unbekwemlichkeit – und ein wenig sparsa meres Leben kann auch diese sehr mildern. Nicht wahr, ein bischen schreibst Du mir nun bald mal – doch beschwert es Dich, und ist Dir nicht so, so laße es, böse bin ich nicht darum.

D. Buchholz ist nicht nach Berlin gekommen, wenn der Mensch nur sagte wo er mit den Briefen geblieben ist, die er mit nahm, ich hatte an Dich der Herz, Caroline Schede geschrieben und ihr Ihr Stambuchblatt geschikt, was sie mir in Deinen Briefen gab.

Dieser Winter scheint es wird beßer als den Vorigen werden zu wollen fast sind wir doch so sanft hingeglitten zum Weihnachten. Nach Rügen kommen Hjorts, mit ihren Kindern Mariane und Julie, und dann werde ich wohl einge Zeit bei Schildeners sein, Julchen sieht einer neuen Hoff nung entgegen, und ihr vergrößerter Hausstand giebt ihr auch mehr An strengung, so daß ihr etwas Hülfe wohl nötig ist – In Sagard in unsrer ganzen Freundschaft ist alles wohl, auch Sophie viel wohler und heiterer als vorigen Winter. Morgen nehme ich diesen Brief mit nach Stralsund, wo wir bis Mittwoch bleiben. Dann könen wir auch Wochenbesuch bei der Israel machen die Donnerstag von einem Mädchen entbunden und sehr wohl ist. Nächsten Sontag gehts nach Sagard, von da nach Wiek, um den 8ten des alten Onkels Geburtstag zu feiern. Nun adie lieber Bruder! Grüße Jettchen, Nanny, die Herz, die Kinder. Grüße die Kinder von ihrer Tante Luise! – ach sie wißen wohl nichts mehr von mir – Lebe wohl

Luise

Zitierhinweis

3988: Von Luise von Willich. Poseritz, Montag, 22.11. bis Sonntag, 28.11.1813, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007857 (Stand: 26.7.2022)

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