Sagard, Mondt den 20ten –13

Lieber Schleiermacher.

Obgleich ich nicht mal weiß ob Jettchen meinen Brief erhalten hat, obgleich sie, es vielleicht kaum selbst mehr weiß so lange ist es schon, ich freute mich darin ihrer Rükkehr aus Schlesien – und obgleich ich nicht weiß ob Du meinen Brief, in Poseriz angefangen, und hir abgeschikt er halten hast, so zieht es uns doch wieder zu Dir hin, in diesen Tagen besonders da mir jeder Tag Eures Hirseins so lebhaft ist. Heute vor dem Jahr predigtest Du in Altenkirchen, dem Datum nach, nach dem Tage Gestern, Gestern war es Sontag, und wir hörten Baier in Vitt predigen, zwar nicht in jenem stillen Thal, sondern im Tempel, der aber sehr heiter ist, und von wo der Blick (die große Thüre stand offen) aufs Meer fällt und man Jasmund rechts liegen sieht – Hermanns Predigt war from und gläubig, und ich erquikte mich daran – gleich nach der Predigt gingen Alle nach Arkona mit unsren Freunden, wovon ich Nanny geschrieben habe. Baier, Mariane und ich blieben zurük, Mariane wollte, liebliche Speisen besorgen, Baier sich umkleiden, mir wars lieber, ein bischen allein am Strande zu gehen. Es war sehr stürmisch, ohngefehr wie Gestern vor dem Jahr da wir nach Wiek fuhren, weist Du noch? nur war die Luft milder, und es war am Strande wo mehr Schuz war, wunderschön. Schleier so oft ich das Meer auch sah, nie habe ich es so gesehen wie viel habe ich an Dich gedacht, lieber lieber Bruder, weil ich es Dir so gerne auch gegönt hätte, in der Ferne sah das herliche Meer aus als sei es ganz mit Schiffen übersät, die Wellen gingen unglaublich hoch, und so wie sie sich brachen glänzten sie im hellen Sonnenlicht, nah am Strande | 101v war es nun ganz anders – könnte ich doch zeichnen, so gebe ich Dir ein Bild davon – wie ich nun so ganz allein da war, ich war von Vitten, von dem Thal aus hinunter gegangen, links am Ufer – ich hörte nur das gewaltige Brausen des Meers, sah nur das Meer, und ein wenig rechts Jasmund, in diesem augenblick auch von der Sonne beleuchtet, wie die starken Bran dungen – wie Schürme, nein so kann ich nicht sagen, denn die bewegen sich ja nicht – ach stelle Dirs nun selbst vor mit solchen Beschreibungen fällt es doch nur jämmerlich aus – aber wie kamen die Wellen immer an Brausen und schäumen, als regirten sie die Welt! und kam die Welle nun so hoch und mir so nah als könne sie mich verschlingen, so trat sie mild zurük in ihr Bette, aber die Steine praßelten hinterher, so stand ich lange, ganz dicht am Strande und immer ging keine Welle höher als wo schon die Steine genäßt waren, da stand ich still so daß ich ein bischen woll bestäupt wurde aber weiter auch nicht, Baier hatte sich mir zu gesellt und wir hatten unsre Lust daran, ich hatte fast darauf getrotzt daß die stolzen Wellen nicht weiter dürfen da sprach Baier noch von seiner Predigt, und wie er lieber doch im freien geredet hette dann aber  Vom Hg. korrigiert.einen einen andern Text im Sinne gehabt habe, ich vergaß darüber die Welle und siehe da ich wäre über und über naß wenigstens geworden hätte Baier mich nicht plözlich fort gerißen – nun wurde nur mein Fuß genäßt, und ausgelacht ward ich obendrein – na nun mögte ich Dir den Tag noch weiter erzählen der sehr hübsch war – aber ich werde immer so schreklich roth beim schreiben – und ich muß dann so viel Rechenschaft geben wovon? es ist gleich Zeit zu Tisch und die

Zitierhinweis

3963: Von Luise von Willich. Sagard, Montag, 20.9.1813, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007855 (Stand: 26.7.2022)

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