Sagard den 12t August 12

Ordentlich ängstigen kannst Du einen – wenn nun dieser Brief aufgehalten wird unterwegs und er nicht zum 22ten in Berlin ist, so seht Ihr die Sache als abgemacht an, und Ihr komt nicht? nein das ist gar nicht auszuhalten. Mir ist, als müste ich mich fürchterlich beim schreiben sputen, es ist mir recht als würde ich getrieben, und doch kann der Brief erst Morgen abgehen, und dann geht er langsamen Schrittes weiter; hätte ich Flügel!! in dieser Minute wäre der Brief bei Euch.

Ich dachte es wohl daß die alten Übertreibungen aller Art auch Euer Ohr berüren würden und Euren Entschluß wankend machen, Mein Gott glaubt doch nicht alles was Ihr hört. Es ist hir gar so schlim nicht, seit wir uns nicht mehr kehren an den Gerüchten, was noch alles kommen soll, ist das was wir haben, recht gut zu ertragen, wenn wir uns nicht selbst die Freuden nehmen die man auch in dieser Zeit haben kann. Raum ist hir noch viel in Sagard, (ich soll schreiben was ich weiß) – und was alle Menschen wissen. Alle Tage haben wir hinlänglich zu eßen, und ein neuer Brunnen | 96v ist seit dem Frühjahr auch noch in der Brunnenau, entstanden, die Quelle sprudelt wahres Waßer des Lebens. Für die Leute, die aber dies Waßer nicht vertragen können, weil sie selbst wahres Leben sind, findet sich gewiß auch etwas Wein, denn die Franzosen haben sich den Wein ganz ab gewöhnt.

Übrigens waren noch vor 14 Tagen einge Freunde hir die mit ihren Paß von der Französischen Behörde ruhig bei uns, und auf unser unschuldiges Land sein konnten wo sie wollten. Es ist zu toll,  korr. v. Hg. aus: dasdaß das kleine Land so in der Leute Mund kömt, ganz um nichts und wieder nichts.

Manchen von unsern Landsleuten ist es eine kleine Lust einen Paß zu haben, so  korr. v. Hg. aus: dasdaß wenn man gerne will, kann man sich auch von hir nach Bobbin einen geben laßen, es ist uns etwas neues, und wir renomiren ordentlich ein bischen damit.

Nöthig ist nun für einen Reisenden, daß er sich von der Französischen Behörde einen Paß geben läßt und diesen an jeden Ort wo ein Kommandant ist ach wie nennt man das, ich muß erst fragen – – und zugleich | 97 Butter an die Erbsen geben denn Mariane ist nicht zu Hause – visiren läßt. Der Kommandör unsrer kleinen Insel, ist in Bergen, und ein sehr edler Mann, der niemanden unnötige Noth oder Beschwerde auflegt, und mit einen Paß von da darf man denn auch hir überal hin. Päße müßens nun ein mal sein, und das thut einem ja nichts. Also „einem günstigen Geschick werdet Ihr Euch in die Arme werfen, und die Reise in Gottesnamen antreten“. Nun muß ich ein ganz kleines Nachmittagsschläfchen halten, dann mich ankleiden und dann mit den Garzern und Bobbinern und den jungen Wiekern in der Brunenau recht vergnügt sein, es ist Heute ganz Himlisches Wetter. Aber es ist Dienstag Du also must arbeiten, und Sontag war es kein gutes Wetter – mir geht es immer nah wenn die Tage Deiner kleinen Ferien kein gutes Wetter ist.

Den 13ten Morgens. Es ist so mildes schönes Wetter, der Himmel ist noch wenig bedekt doch blikt die Sonne hin und wieder schon durch, ich will nun noch'n bischen schreiben und dann soll ich mit Theodor Schwarz in die Brunenau gehen, ich freue mich darauf, er ist immer so lieb und treu, immer wahr, und immer kann man ihm vertrauen ich werde abgerufen –

Ach Philippine hat das Fieber – zwar halb freue ich mich, denn Gestern war sie so heftig krank, daß wir | 97v eine schwere Krankheit fürchten musten, denkt Euch aber welch ein Querstrich in unsrer schönen Rechnung. Vor 8 Tagen nehmlich kamen alle Wieker und Haßelbach nach Bobbin und Sagard, Theodor mit Philippine und die beiden Kinder hir. Es war uns so wohl bei einander,  korr. v. Hg. aus: dasdaß beschloßen ward Philippine soll mit den Kindern hir bleiben, Theodor den Sontag, den vorigen nehmlich in Wiek predigen, dann wieder kommen und mit Frau und Kindern in Ruhe und Friede bis nächsten Sontag hir bleiben. Die erste Stöhrung war nun daß Malchen Hane am Sonabend von einem heftigen Fieber ergrifen ward, was auch Sontag wiederkehrte, ich hatte den Morgen bei ihr geseßen und ging nun um elf hinunter, und frage: ist Philippine in der Kirche? „ach denke Dir eben ist sie zu Bette gebracht“ ist die Antwort, sie bekam so heftige Beklemmung und dann Frost, daß sie nicht auf bleiben konte. Gestern nun war sie so krank, daß wie Theodor kam er gleich den Arzt aus Bergen lies Heut kommen. Diese Nacht blieb ich bei ihr, sie schlief den lezten Theil sehr sanft, und genoß um 6 Uhr mit Appetiet eine Taße Kaffe und Zwiebak nun aber um 10 läßt sie mich rufen und ein heftiges Fieber tritt ein – doch hält sie es entschieden für kaltes Fieber, und das wäre recht ein Glük. Malchen Hane ihr Fieber ist schon wieder ausgeblieben und sie wieder heiter, und auf den Füßen. | 98

Gestern waren die Garzer hir, und alle 4 Brüder Pistorius beieinander. Auch Franks hatten ihren Ernst zum besuch zu Hause er ist größer wie der Vater ein lieber braver Junge. (Ist Dreist noch in Berlin?) Heute sind nun einge von uns in Bobbin. Lotte Pistorius hat sich doch immer noch nicht erholt.

Schleiermacher, es ist doch nun gewiß daß Ihr komt? Doch ganz gewiß? und – ach nicht zu kurz – laßt es Euch auch nicht stöhren daß Ihr grade die Erndte hir treft – ich meine des fahrens wegen – aber Weßel ist doch da, und 2 Läden (?) auch, Siehe ist  korr. v. Hg. aus: daßdas nicht gut daß ich Dir die aufgehoben habe? wo wären sie, hätte ich sie nicht so lange behalten? Dafür kanst Du lange fahren und wenn ich mich ganz hinten hinein packe, nicht wahr? dann darf ich hir mit Euch herein ziehen? –

Sollte Jettchen wohl meinen Brief erhalten haben den ich vor einger Zeit, und meine im Juny, an sie schrieb mit Lotte Pistorius zusammen? und Du, den ich mit der Kathen schrieb? – der von Garz aus wie Lotte Pistorius krank war ist leider nicht an gekommen, wie unangenehm ist mir das – ich habe auch ein Blatt für die Spalding eingelegt. Ob wohl Caroline Schede das Müzchen bekommen hat? wie vieles bleibt mir immer im Dunkeln –

Ich wollte Heute noch an Jettchen schreiben, und ihr | 98v sagen wie herzlich ich mich freue Euch alle zu sehen, wie mich darnach verlangt hat – aber ich kann nicht mehr – ich bin auch so dösig von der unruhigen Nacht –

Man darf hir jezt gar keine Briefe als Einschluß versenden bei großer Strafe, daß heist aber wohl keine versiegelte –

Adie Ihr Lieben, tausend herzliche Grüße – tausend herzliche Wünsche Euch bald hir zu sehen.

Eure Luise

Zitierhinweis

3802: Von Luise von Willich. Sagard, Mittwoch, 12.8. bis Donnerstag, 13.8.1812, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007847 (Stand: 26.7.2022)

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