Poseritz den 30t Jänner – 12 Morgens 8 Uhr

Die Nacht träumte ich, ich sey auf einer Reise mit Dir, nicht ich allein, noch mehrere waren bei uns, mir war so wohl zu Muthe. Unser Weg ging durch Neubrandenburg, der Wagen ging rasch durch eine Menge Menschen hindurch, da schrie ein alter Mann auf, wir hatten ihn über gefah- ren, der Wagen stand, er hob seinen Fuß auf und zeigte uns eine alte verharschte Wunde. Langsam ging nun der Wagen über einen großen freien Plaz, wo viele Menschen gingen, die mehrsten in einem wunderbaren Kostüm, wie nie mein Auge es sah, Alle aber in Winterlicherkleidung. Als wir eben außerhalb der Stadt waren, umgab uns plözlich der schönste Frühling! eine Himlische Luft athmeten wir, und mir war als sey ich in Schlesien – Lange träumte ich so – zulezt fühlte ich: es sei ein Traum, doch träumte ich immer noch, zwischen Traum und wachen blieb ich noch lange, bis Jettchen Gadebusch mich fragte: ich sey doch nicht krank? ich stehe sonst um 6 Uhr auf nun war es nach sieben, die Morgenröthe schien an der Wand wo mein Bette steht. Doch Frühling war es nicht, und Du warst nicht da. Die Fenster waren mit dicken Frost belegt; und unten hörte ich den Französischenoffizir sprechen – Der Traum war vorüber – mich schauderte vor der Augenbliklichen Wirklichkeit – doch ich dachte an Sophie, ich stand rasch auf, kleidete mich an und ging hinunter. Nicht mehr so blas wie Gestern fand ich Sophie – auch heitrer und gefaster Schlichtkrullen. Ich bin froh das ich hir | 72v bin, um Sophies Willen. Und träumte ich nur öfter wie diese Nacht, so sollten mir die Tage nicht zu drückend werden. Du traust es mir wohl nicht zu lieber Bruder daß ich treu und gerne, und mit Krafft und Muth, tragen helfen kann, die Laßt die Andere drükt? gewiß ich kann es da, wo man mir nicht selbst kleingläubig macht durch Mistraun an meinem Willen und an meiner Kraft – O kein größres Glük giebt es als thätig sein zu dürfen und zu können durch Liebe! Wundervoll bedeutendt ist mir diese Zeit – Voll Furcht – voll Ahndung, dunkel wie die Nacht des Todes, aber wieder voll Muth voll Hofnung! Ein rechtes Gefühl habe ich bei diesem allen ohne  korr. v. Hg. aus: dasdaß es damit im geringsten in Verbindung steht. Eins worauf Du mir aber nicht antworten wirst. Aber klagen will ich es doch Dir, vielleicht erhältst Du dieses Blatt nie, denn die Posten dürfen nicht gehen, und gehen sie wieder, so kann ich Dich vielleicht nicht wieder finden – ich bin auf alles gefaßt, denn schon wie ich aus Deinem Hause ging – ich konnte fast nicht die Treppe hinunter kommen – bei jedem Tritte war mirs als würde ich gehalten. Das leztemal so lebendig fühle ich dies – das leztemal, so war mirs, umfaßte ich Dich – ich muste Euch ja laßen. Im künftigen Leben nicht wahr lieber Schleiermacher, da gehören wir Alle einander an mit gleicher Liebe! wer dort vor Gottestrohn bekennen kann, mit reiner heiliger Liebe habe ich geliebt und diese Liebe war mein einziges Leben, der wird wieder mit gleicher Liebe umfast werden, „ja an himlische Gestalten sie wißen nicht von Mann und Weib“ –

Ich war einen Abend allein bei der Spalding, ich vergeß den schönen Abend nicht – Ihr Schmerz löste sich so mild in Wort und Trähnen – Ich muß hinunter – | 73

den 2t Februar, Morgens 8 Uhr, an des geliebten Bruders Sterbetage.

Wer sagt es mir, ob Du heute noch in heiliger Begeisterung in frommer Andacht, von Deiner Kanzel redest? – Wie ich dieses Blatt anfing, erfüllte dunkle Ahndung mein Gemüth, jezt weiß ich, daß die Zeit da ist, die Sieg oder völligen Untergang bringen wird! – o mögte ich noch dort sein bei Euch!! o hätte es doch in Deinen Zweigen, heilge Eiche nie gerauscht! – Ich kann nur beten! Gott erhört das Gebet! Wie schwer ward es mir von Euch zu scheiden. So oft wie Ihr schon mögt gesagt haben, „es ist gut daß Luise nicht mehr hier ist“ – so innig sehne ich mich oft bei Euch zu sein! Noch bist Du nicht in der Kirche! wie wirst Du Heute reden? was wirst Du sprechen, frei und öffentlich? o wie hast Du mich oft hingerißen in dieser herlichen Freiheit! nicht gezagt habe ich –! und die Erde wird errettet werden! Heute bleibe ich so gern auf mein liebes stilles Stübchen, um recht zu leben in der Vergangenheit und Zukunft –! An Ehrenfrieds Sterbebett, voriges Jahr, da war ich um diese Zeit bei Dir in Deinem Zimmer, wie erquiktest Du mich da! mit inniger Theilname! Dein Gemüth ist es was mich so innig an Dich bindet! wenn wir im Himmel sind dann wirst Du auch das meinige recht erkennen – nichts wird mich von Dir scheiden! ich gehör dann Dir auch an, wie ich Ehrenfried angehöre, dann wird ganz in Erfüllung gehen was er der geliebte Bruder mir von Dir verhieß! – Dieser Zeit harre ich in stiller Ergebung! Sollte ich Dich nie wieder sehen (nicht mit Angst sage ich das) so wird Gott mich stärken  korr. v. Hg. aus: dasdaß ich den Meinigen nicht zu sehr betrübe durch tiefes Grämen. Lebst Du aber! und wirst den Deinigen erhalten! so will ich Gott loben und preisen in meinem Herzen! und sollte | 73v dann mir das schöne Glük einmal noch zu Theil werden, wieder ein mal in Deinem Hause zu sein, so sollst Du nur sehen, wie bescheiden ich auch sein will! gewiß ich will es. Es soll nicht möglich sein daß Jettchen mich für anmaßend hält, und dann wird sie mich ja auch gerne haben. Lieber Bruder, mögte die Zeit da Ihr neuer Häuslicher Freude entgegen seht, mögte die Euch noch glücklich bei einander finden. O wie gerne wäre ich bei Jettchen geblieben! glaube mir, lieber wird niemand bei ihr wachen und sie pflegen, als ich es immer gethan habe. Wie muß es doch kommen, daß es ihr mit mir so gar nicht so ist – daß sie das nie in mir erkant und geahndet hat? – Doch davon wollte ich ja nie reden, um Dich nicht zur Ungerechtigkeit gegen mich zu reizen – denn diese schmerzt mich von Dir zu sehr. Ich werde hinunter gerufen –

Halb elf. Ich habe unten geholfen, und mich angezogen, wir erwarten Willlich jezt jeden Augenblick mit seiner neuen Familie. Nicht so ist es wie Du meintest, ich freute mich herzlich, daß das Leben meines Bruders wieder erheitert werden konnte – ich fand nichts sträfliches darin – gesprochen hast Du nicht mit mir darüber, sonst würde Dir mein Gefühl klar gewesen sein. Ich tadle nicht die Simon. Sie liebte Willich von dem Augenblik an da sie ihn sahe – doch sie kränkte nie die Heimgegangene mit dieser Liebe – wohl schlug sie alle Verbindungen aus die ihr angetragen wurden, denn sie konnte nur ihn lieben und hatte früher nie geliebt, das wuste ich, sie verehrte die Willich, diese liebte sie – wie sollte sie, so wohl wie Willich nun nicht mit reinem Gewißen ihr Schiksaal an einander knüpfen! Das lezte Kind ist der Mutter gefolgt und wohl dem Kinde! – Willich ist sehr betrübt dadurch – aus Wismar schrieb er an Tante: „mich träumte diese Nacht Luise kam zu Hause und gab mir meinen Karl wieder, sie kam ins Zimmer, und sah das todte Kind, still bewegt sezte sie sich neben der Leiche, und tröstete mich, und sagte ich solle mich nicht grämen, ich solle das Kind wieder haben. Dann nahm sie weiße Tücher und sanft rieb sie | 74 das Kind bis es erwachte und lebte, ach wenn jene Wunderthäter, noch auf Erden wären!“ – Könnte ich erretten von der Nacht des Todes –! o warum verlies ich den geliebten Bruder eh er gestorben war? – warum blieb ich nicht die treue Wächterin an seinem Sarge bis er ins Grab gesenkt wurde – es ist vorbei aber nie, soll eine mir liebe nahe Persohn mehr sterben ohne dieses lezte von mir zu empfangen, nie – Gott, wie ist es nun wohl bei Euch – Sieh, dies Dunkel worin das Schiksaal sich hüllt ist oft peinigender als der härteste Schlag – Gerüchte über Gerüchte kommen! Eine große Schlacht soll schon gewesen sein, wo denn? wie denn – niemand weiß dann weiter – Gott der Vater seegne Euch, u behüte Euch, Gott der Sohn erhebe sein Antliz auf Euch, u sey Euch gnädig, Gott der heilige Geist erleuchte sein Anliz über Euch u gebe Euch den Frieden. Amen!!

Sophie ging eben von mir, unsre Einquartirung hat Marschorder – wohin weiß ich nicht. Es ist mir eine große erleichterung an Dich zu schreiben. Die Uhr ist nach elf – hast Du gepredigt? Dann bist Du wohl jezt bei Jettchen und den Kindern? – Werden diese Zeilen je in Deine Hände kommen? Wohin wird das Schiksaal Dich führen! o wie glüklich ist Jettchen und Nanny daß sie bei Dir sind – Meine Hyazinte blüht wohl jezt – ich höre viel(?) französischen Lärm. Schlichtkrull ist in die Kirche – ich muß zu Sophie

Abends halb elf.

Schlichtkrull war von der Kanzel geholt weil das Dorf voll Franzosen war. Unser Capitain ist fort und wir haben neue Einquartirung. Willich und die Seinigen komen mit den neuen Truppen zugleich an – Mein Gott wie geht es alles durch ein ander! | 74v

Willich ist sehr blas und still, im ernsten Sinn empfängt er sein neues Glük! wir haben viel der Theuren Hingeschiedenen gedacht, sie selbst war die Stifterin dieses neuen Bundes.

Die Kathen habe ich noch wenig gesehen, doch sind sie dort alle gesund.

Was hilft es mir daß ich Dir dies schreibe der Brief kann ja doch nicht abgehen – und doch ist es mir ein großer Trost, an diese Blätter zu schreiben. Ich will mir einbilden es sei wie sonst, und Du bekämst sie wirklich, ich bin doch bei Dir. Und wenn ich mir Dich recht lebhaft denke, Dein liebes Gemüth, dann ists mir so gewiß Du denkst wohl auch an mich, ach warum habe ich Dich doch so nicht genoßen wie ich wohl hätte können. Lieber süßer Bruder noch einmal laß mich Dir danken daß Du mich mit nach Schlesien nahmst! Das liebe Glas steht immer vor mir in meinem Secretair. Den 17–18–19–20ten September vergeße ich nie – nie habe ich eine so reine Freude empfunden, nach Ehrenfrieds Tode nie – auf der Reise war mirs, als sei ich immer bei Dir! ich bin es auch geliebter Bruder! immer und immer. Nicht wahr ich soll noch ein mal wieder zu Deinen Hausgenoßen gehören? Du sollst es mir auch gar nicht an merken wie lieb ich Dich habe, kein Mensch soll es merken denn – o ich weiß es wohl daß ich Dir dadurch vatal werd, vergieb es mir, daß ich Dich so herzlich lieb habe. Gute Nacht lieber guter Bruder Friederich!

An Nanny habe ich geschrieben und an Jettchen – doch die Briefe sind in Strahlsund liegen geblieben – Gute Nacht.

Montag d 3t Febr. 10 Uhr Morgens. Wer sagt es mir noch, ob Du Dein schönes Geschäft in gewohnte Weise wieder begonnen? ob die Deinigen im stillen Glük um Dich versammelt waren am frühen Morgen? ob Du jezt zurükkehrst – und eilest über die schönen freien Pläze | 75 der schönen Stadt, in Dein liebes Zimmer, mögtest Du es! und mögte meine Hyacinte dir den Gruß des Frühlings duften. Höre, wäre ich Weiße gewesen – ich hätte Dich nicht verlaßen. Jezt lachst Du wohl ein bischen? Lache nur, wenn Du es nur in Deiner Gutmüthigkeit thust, so gönne ich es Dir – auslachen kannst Du mir immer ein bischen, auch mich anfahren wie sie es nennen, das thut mir auch noch nichts – aber – aber – dies kalte nicht beachten wenn mich tief etwas bewegt – ein Mistraun was ich nicht verdiene wie bei jenem Briefe den ich offen fand an mich in Deinem Zimmer – o wie weh und wie unrecht thatest Du mir – und wenn ich mich auch teuschte bis dahin, und glaubte Du mögtest mir wohl manches vertrauen – so empfing ich doch nur, was Du mir bieten mogtest – auf Raub sollte ich aus gehn? o wie wenig trautest Du meiner Zartheit – selbst bei meinem Ehrenfried, der nichts verborgen hielt für mich, so gewiß wuste ich dies von ihm, so frei mir offen stand was er hatte – nie blikte ich ohne sein Wißen hinein was irgend bedeutend schien – immer noch kränkt mich dieser Argwohn den ich Dir nicht zu getraut hätte – Womit nur mogte ich dies verdienen. Daß Du mir Geheimes vertrautest konte ich nicht verlangen glaube nur dies nicht – aber  korr. v. Hg. aus: dasdaß ich Andrer, selbst der Freunde Geheimnis verehrte – und nicht darnach hasche, dies kontest Du doch von mir glauben – nicht wahr? Unbefangen und ohne hiran zu denken bot ich Dir ein mal an, dir etwas zu holen aus Deinem Sekretair um Dir einen Gang zu ersparen – Du vertrautest mir den Schlüßel nicht, sondern schiktest Nanny oder Jettchen ich weiß nicht wen – wie frey fühlte ich mich – und wie weh that mirs doch – das war Eins – von dem ich im Anfang diese Briefes reden wollte – das zweite wenn Du es wohl sehen mustest daß mich einmalig etwas sehr bewegt, so gingst Du mir vorüber stum und still und kalt oft waren die Kinder es worüber ich gerne mit Dir gesprochen | 75v oft etwas andres was ein Wort von Dir hätte beruhigen könen – Du sagtest zwar ein mal, wie ich Dir bei einer Gelegenheit meinen Schmerz darüber aussprach – Du gingst mir zwar still vorüber doch nur weil ich wund sei – o Du Guter! Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht sondern die Kranken – oder hättest Du mich wirklich aufgegeben? thue das nicht – stoße mich nicht von Dir – dan gehe ich unter, gewiß – und thätest Du es doch, ich ließe doch nicht von Dir, in meinem Gemüthe ewig nicht wenn auch äußerlich! Das Schiksaal es fordert – aber thue es nicht – ich bin es vieleicht doch werth mein Bruder – auch hilft es wenn Du mit mir sprichst von dem was unrecht ist in mir – aber das thust Du nicht – und ich weiß doch wie Du mich tadelst im algemeinen o hörte ich es von Dir mit Worten – mit Deinen Worten die aus Deinem Gemüthe kommen –. Wie gerne sagte ich: frag nur Ehrenfried lieber Schleier ob ich es wohl verdiene daß Du mich aufgiebst –? ach ihn kanst Du nicht mehr fragen – aber durch ihn ja lernte ich Dich kennen und lieben, er hielt mich werth der Liebe die er in mein Herz senkte – eh ich Dich noch gesehen hatte! Diese ist es die mir ewig bleibt! sie ist heilig und from, sie soll das Leben und dem Todt mir überwinden helfen!

Nun will ich arbeiten an Jettchens Fußbank, damit sie zum 6ten März fertig ist, wenn ich sie auch nicht schicken kann. Sie wird sehr hübsch und ich habe an dieser Arbeit recht meine Freude. Meine Schere hätte ich Dir so gern geschikt zu Deinem Gebrauch, sie ist dazu so sehr nett ach und nun kann ich nicht – nichts kann ich Euch senden nicht ein mal ein Wort der Liebe! | 76

den 4t Morgens 7 Uhr.

Wie eine feurige Kugel steigt in diesen Augenblick die Sonne herauf aus einer dunklen Wolke – Aber jezt seh ich schon ihre freundlichen Strahlen. Einen guten Morgen wünsche ich Euch Ihr lieben Alle. O könnt ich doch durch mein Gebet Euch erretten von zu großem Schmerz –!

Wir haben Gestern Abend wieder einen andern Officir bekommen er spricht deutsch und hat uns viel erzählt, und Euch bedauert – o was muß man immer alles hören – – o Gott!

Die Garzer waren auch hir, „Gott Luise welch ein Glük daß Du hir bist!“ ich schweige dann – denn auch Ihr denkt so, wenn Ihr noch Zeit habt daran zu denken. Doch weiß ich was ich fühle – und was ich mögte – und was ich könnte allein meine Grenze ist gezogen. In ewiger Bewegung ist meine Fanthasie – ach nur einen Laut von Euch mögte ich hören –

Ich hoffe wir können in diesen Tagen nach Stralsund kommen – suchen werde ich dann nach einem Freund – doch wahrscheinlich ist auch er verschwunden – seine und Eure Grüße empfing ich in ein Briefchen von ihm – er wolle gerne zu uns kommen – aber nicht möglich sey es jezt, nicht möglich so vieles –

Heute also nicht mehr gehst Du mit den Büchern unter den Arm den schönen Beruf Deines Lebens entgegen – nicht mehr – wenn alles wahr ist – und ein Theil wäre erfüllt der dunklen Ahndung? –

 korr. v. Hg. aus: SeitSeid Ihr noch beinander im lieben Hause? – oder  korr. v. Hg. aus: seitseid Ihr weit, wirklich da, wohin meine Fantasie Euch führt? – seid Ihr dort in Ruhe so seid Ihr sehr glüklich. Das Vaterland wird Gott erretten! –

Nun will ich wieder an meine Arbeit gehen wenn ich gesehen habe wie es unten ist – Es wird so hübsch was ich für Jettchen nähe, wird sie es wohl erhalten? –

Und wenn die Posten wieder gehen was werden sie uns bringen? –

Die Frieseln sind jezt in unser Dorf, und in Garz. Wie ge | 76vringe scheint mir diese Noth – doch sind schon viele Trähnen gefloßen. Ob wohl nur Eure Kinder alle gesund sind? – die süßen lieben? Jettchen mit dem blaßen Gesichtchen? wie schwebt mir wehmüthig das Kind vor Augen, ich ging den lezten Morgen wie wir im Saal Kaffe tranken einmal hinaus, sie kam mir schnell nach, faßte mich um, und sagte etwas mit weinender Stimme, ich neigte mich herunter und fragte: was sagst Du Jettchen? Da liefen ihr still die Trähnen aus den großen Augen und sie wiederholte, mich mit beiden Ärmchen um den Hals fassend „Luise nun wollen wir nicht mehr weinen“ so schwebt sie mir immer vor – Der liebe herzens Friede wird schon glüklich durch die Welt kommen – wenn er nicht stirbt. Dein süßes Kind! wie innig erquikte es mich als Du es mir noch ein mal auf trugst, und das Kind ihr Händchen mir entgegen reichte – und das Köpfchen vorwärts strekte mit dem bekanten o – o – Wie süß ist doch die Sehnsucht die durch solchen Erinnerungen erregt wird, und wie glüklich macht sie mich – wie lebe ich mit Euch im Geist und in der Liebe! – und wäre es möglich daß es für diese Welt vorbei wäre? – wäre es möglich! o wie still will ich dann des ewigen Wiedersehens harren

Wie herrlich scheint die Sonne! – Hoffnung und Muth senke sie in jedes Menschen Herz, der betet für die Erlösung der Welt –! Adie Ihr Lieben! ich bin doch immer bei Euch! aber auch hir bei den theuren Meinigen, mit ganzem Herzen! Das ist der Göttliche Funke, dies innige Lieben im Geist, diese Himlische Sehnsucht – die kein Leiden kein Alter mindert – adie!

den 5t F.

Mit der Morgenröthe bringe ich Euch wieder meinen Morgengruß! o könnte ich Euch mehr noch bringen | 77 könnte ich Euch Glük und Seegen senden!

Eure Kette, ist das lezte Zeichen was ich von Euch habe. Meinen Dank dafür habt Ihr nicht mehr erhalten der Brief an Nanny und Jettchen liegt in Stralsund, das Postcomtoir war schon versiegelt

Deinen Brief, am zweiten Weihnachtstage geschrieben erhielt ich Mitte Januar, in Sagard so lange wuste ich nichts von Euch. Ich fürchtete des langen Schweigens wegen es sei jemand von Euch krank – und immer schwebte mir dann die kleine Jette ihr blaßes Gesicht vor – zulezt muste ich es vermeiden ihr Bild an zu sehn, so entsetzlich weh ergriff es mich – denn immer fand ich Todeszüge darin – dabei sah mich das Kind so bittend an – und, wir wollen nicht mehr weinen, hörte ich sie sagen. Da fand ich Deinen Brief – mit der Furcht meine Ahndung bestätigt zu finden öfnete ich ihn – die ersten Worte waren: „Warum muß doch die erste Nachricht die wir Dir zu schicken haben eine traurige sein!“ Ich war gefaßt auf das was kommen würde. Doch ließ ich einen Augenblik das Blatt sinken. Eine halbe Stunde war ich erst in Sagard gewesen – und noch sehr bewegt – nun las ich weiter, und fand was ich schon wuste und dankte Gott  korr. v. Hg. aus: dasdaß es nichts Neues war.

Den 6ten Morgen 8 Uhr.

Gestern waren Sophie und ich in Sißow auf ein par Stunden, Mühlenfels war in Stralsund, Caroline allein bei den Kindern, wovon 2 krank waren. Bei der kleinen Lina wurden die Frieseln erwartet, das kleinste Emma – ist ein sehr schwaches Kind – sie kann nicht saugen – muß gepapt werden – Dabei wird das Kind so mager – so ängstlich mager  korr. v. Hg. aus: dasdaß es ein Jammer ist. Die arme Mutter – nichts als Jammer hat sie jezt | 77v wieder mit diesem Kinde – oft schreit es Tag und Nacht in einem vort, ohne Unterlas, genießt sehr viel und ist wie Haut und Knochen – Die kleine Lina ist allerliebst, mögte ihnen doch das Kind erhalten werden. Die kleine Ida, ungefähr so als wie Elsbetchen, ist ein braves Kind, gesund und frisch und lebendig. Die Mühlenfels selbst ziemlich gesund. In Götemiz sind alle gesund; auf Stunden habe ich die Kathen erst gesehen, weil niemand das Haus gerne verläst – Morgen indeß hoffe ich fahren wir auf einen Tag zur Stadt – und sind wir dort gewesen, soll ich ein par Tage in Garz sein – Unsre Lotte – leidet innerlich sehr – nicht dies mal durch den Druck der Zeit – ob ich sie werde beruhigen können weiß ich nicht – doch hoffe ich es, ich bleibe bei ihr – Es ist wunderbar und traurig – wohin ein sehendes Gemüth sich verirren kann, wenn nur Armuth ihn umgiebt – Wie öde ist es hir lieber Bruder! – wie schön das Leben mitten unter Menschen! Wenn wir ganz allein sind, ist mir hir am besten zu Muthe – ich bin fleißig vom Morgen bis zum Abend und fühle das es nichts vorübergehendes war was ich genoßen habe, in mir lebt es, und jezt gedeiht es erst – jezt da ich still warte und pflege – und Zeit habe, jedes zu reinigen vom Unkraut – was nicht daneben gehört –

Sontag, Morgens den 9ten Februar 9 Uhr. Ich habe mir Heute ein Mal mein Geburtstagskleid gezeugt(?) , was Du mir schenktest. Es ist mir doppelt lieb, ich hatte es auch auf der Schlesischen Reise an, und der Tag wie Du mich in Bunzlau überraschtest. Mir ist da ich es hir nun wieder an habe, ganz Schlesisch zu Muthe, aber etwas wehmüthig – doch das war mir auch den Tag wie ich mit Dir von Bunzlau abreiste. Ich halte das Kleid recht | 80 in Ehren und liebe es recht. Einen guten Morgen kann ich Dir Heute nun wünschen. Der Wagen wird schon angespant ich fahre mit den Gadebusch nach Göthemitz. Ich habe Lotte noch so wenig gesehen und fast noch gar nicht gesprochen. Vor ein par Tagen schrieb sie mir ihre Kinder wären alle unwohl, wenn auch nicht krank. Die gute Sophie hat Heute dafür gesorgt daß ich hin komme, sie ist den Nachmittag auf eine Kindtaufe mit Schlichtkrull.

Wie lange wird es noch währen bis ich Nachricht von Euch bekomme. Täglich wenn auch nur ein par Worte an diese Blätter zu schreiben, ist meine Freude und mein bestes Leben. Wirst Du sie je erhalten?

Den 6ten warn wir in die Stadt – den Freund der mir Eure Grüße bringen sollte fand ich nicht – auch seine Freunde wißen nichts von ihm, sein schriftliches Lebewohl habe ich bekommen.

Diese Blätter darf ich nicht absenden. Adie Ihr Lieben. Mögtet Ihr meiner mit Liebe gedenken!

Die Nacht wie ich den Tag in die Stadt fuhr, hatte ich wieder von Dir geträumt, wir waren in einer großen Gesellschaft, Du sagtest mir leise etwas, und wurdest roth dabei, ich konnte es aber nicht verstehen. Du wiederholtest es und ich verstand es noch nicht, und wollte so gerne, doch da erwachte ich, und immer geht es mir noch nahe daß ich erwachte, eh ich Dich verstanden hatte. Der Wagen ist fertig adie!

Dienstag Morgens, den 11t Febr.

Was hilft es das ich immer Euch schreibe, da gar keine Aussicht ist das in Eure Hände zuschaffen. Doch lebe ich ja mit Euch hirin! Gestern arbeitete ich so fleißig und angestrengt, daß ich mir nicht einen Augenblick abmüßigen konte wenn ich fertig haben wollte was ich mir vorgenommen hatte. So unter recht fleißiger Arbeit recht das ich heiß dabei werde, vergehen mir die Tage | 80v am schnellsten, und schnell und gut genug! ich habe so viel so viel gehabt, woraus ich Leben sauge! Manches Korn des Seegens geliebter Bruder hast du ausgeströmt, auch in mir fand es gutes Land, ich fühle das  korr. v. Hg. aus: GedheinGedeihn desselben, und freue mich des, und danke Dir, und bete für Dich.

Mit großer Sehnsucht denke ich oft an Euch – an die Kinder – aber mit Ruhe – meine Sele ist ja nicht bei Euch, das sehe ich wohl, wer weiß indeß was Gott mir noch verleiht, wenn ich treu beharre in dem Bestreben, so zu werden  korr. v. Hg. aus: dasdaß alle an deren Liebe mir gelegen ist, mir vertrauen und mich wieder lieben. Ist es nicht – nun dann giebt es ja eine beßre Welt.

Wie Ehrenfried noch lebte, da verließ ich mich wohl zu sehr auf ihn – jetzt muß ich mich auf mich selbst verlaßen – ach nur ein einziges mal, mögte ich ihn nur wieder haben – und so wie ich das schreibe ist mir als hätte ich ihn! –

Ehrenfried wird Dich seegnen, nicht allein für das was Du Jettchen und den Kindern bist, auch für das was Du mir giebst – darum verlaße mich nicht geliebter Bruder – ich verlange auch nichts, nichts gewiß nicht, als was Du mir gerne giebst und deßen Du mich werth hältst.

Die Uhr ist noch nicht 8, 5 Minuten davor, Nanny schenkt Dir wohl die Suppe ein, und Liesbetchen will zu Dir, und Du must noch verschließen und in Ordnung bringen – Ich laße Dich nun wieder alle Morgen lesen – es ist noch alles ruhig! – und immer nikst Du auch mir einen guten Morgen zu wenn Du weggehst – Du lieber Ernst, so ein mal, nicht wahr? so ein mal zwischendurch kann ich Dich wohl so nennen? in Schlesien hätte ich Dich gerne immer so genannt, selbst den Abend bei dem Forellenschuppen, wie Frize und Dein Bruder sich erschraken – weist Du noch wohl?

In Götemiz fand ich es erst etwas rasch(?) buschich(?)Lotte(?) | 81 Karsch mit den Besen in der Wohnstube, um rein zu machen, die mehrsten Kinder krabbelten ihr im Staube um die Füße, aus dieser Wollke schwebte Lotte hervor, blaß und freundlich und herzlich, wir beide gingen ins Nebenzimmer was Du noch nicht kenst – In dem Zimmer rechter Hand wohnen sie, und neben an ist ein Schlafzimmer für Kathen und Lotte entstanden. Wir blieben ein Stündchen still beieinander, dann war es Mittag und nun muste mit fremden Zungen geredet werden.

Die arme Lotte hatte viel Zahnschmerz – die Kinder zum Theil Husten Halsweh – Fieber, doch keins war bedeutend krank. Kathen kam gegen Abend mit Furchau aus der Stadt. Es ist eine tolle Wirthschaft –

Wie langsam hir die Monathe hingehen kann ich Dir nicht beschreiben – das macht weil wir im Sack sitzen – wären auch noch Säcke in dem Sack, ja dann wärs wohl aus zu halten – aber so – nichts als ein wenig troknes Brod in jedem Verstande – Wie wird es sein wenn man dem Freunde wieder die Hand reichen darf? o Gott wie wird es sein –

Heute fahren wir nach Garz, ich bleibe einge Tage bei Lotte, und nehme so lange Abschied von diese Blätter.

Bald nun haben wir Mitte Februar! – mögte Euch die neue Elternfreude wieder so schön und ungetrübt erscheinen, wie vor dem Jahr. Bald ist nun Lieschens Tauf und Nannys Geburtstag. Wie lebhaft ist mir jede Stunde dieses schönen Tages, wie gerne feierte ich ihn mit Euch. Kauf nur keine Hirsch statt Rehkeule wieder

Ich habe jezt Deine Taufrede, wie sehe ich Dich dabei lebendig vor mir – jedes Wort, wobei Du besonders bewegt wurdest finde ich wieder – ich will sie wieder lesen den | 81v 18ten zu derselben Stunde, da wir, auch ich Dir gegen über stand mit dem geliebten Kinde. Und der Friede unsres Ehrenfrieds Kind stand neben Dir, die Hände auf den Tauftisch gelegt weist Du noch?

Spalding war auch noch da; der gute Mann! nun schläft auch er.

Adieu mein süßer Bruder.

Garz d 17t Febr. –

Ein Hofnungsstrahl ist mir aufgegangen diesen Brief in Deine Hände zu schaffen ein Freund verspricht es mir – Schreiben kann ich nun nicht mehr davon. Solltest Du lange lange nichts von mir hören so nim noch diese Worte zum Abschied.

In mitten zwischen Wort und Schweigen Liegt einer Gabe stiller Sinn, Und zu des Herzens freundlich Neigen Beugt schweigend sich die Seele hin. In goldner Mitte ruht der Friede An seiner Brust des Schicksaals Geist, So nim nun auch aus diesem Liede Was Du verlangst, und was Du weist.

Zitierhinweis

3737: Von Luise von Willich. Poseritz und Garz, Donnerstag, 30.1. bis Montag, 17.2.1812, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007844 (Stand: 26.7.2022)

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