Poseriz – Sontag den 12t J. – 12 Morgens 9 Uhr

Noch bist Du wohl oben lieber Schleiermacher sitzest zwischen Jettchen und Nany und hast Elsbeth das süße Kind auf den Schoos, denn heute predigst Du nicht. Ich habe keinen Brief von Dir bekommen – Woltest Du mich strafen für meinen Unglauben? – Es that mir so wohl wie Du sagtest „in Greifswald bekämst Du noch einen Brief von mir“ und so weh, wie ich keinen bekam. Wie ich Euch nicht mehr sehen konte, da freute ich mich schon auf den Brief den ich in Greifswald bekommen würde. Allein ein – zwei – drei Berliner Posttage waren wärend meines Dortseins, Schlegels und Meiers und Rühsens bekamen Briefe, die alle nach meiner Abreise geschrieben waren, ich Arme aber, die vielleicht am herzlichsten gehoft hatte bekam nichts – auch nicht in Stralsund – auch Gestern nicht hier in Poseriz – 4 Wochen bin ich schon von Euch – ach mögte dies Schweigen nur nichts bedeuten – Es war Gestern ein dunkler regnigter Tag – und wie nun endlich die Post kam und wieder nichts brachte – da konte ich nicht Meister werden über eine innerliche ängstliche Unruhe – wenn nur niemand krank ist von Euch? Du warst so leicht den Morgen gekleidet – kleine Jette sah lange schon so blau aus – hir sind so viele Menschen gestorben. Den süßen kleinen Carl sah ich auch nicht mehr – nicht mehr die gute Willich – nächsten Donnerstag den 16ten fahren ich und Sophie nach Sagard. Rötheln und Frieseln greifen(?) immer noch – mich verlangt die zu sehen die noch in Sagard geblieben sind. | 69v Ob wohl Weiße Euch meine kleinen Geschenke gebracht hat, wie ich es ihm auftrug? Wenn Ihr Morgens beim Frühstük Elsbetchens Geburtstag feiertet, dann wollte ich so gerne bei Euch sein, dann sollte er es bringen. Ach Schleiermacher wenn nur nicht jemand krank ist von Euch – Gott beschütze Dich mein geliebter Bruder! ach hättet Ihr doch erst geschrieben.

Von Baldeker(?) aus schrieb ich an Jettchen, auch ein par Worte an Dich. Mit Arndt habe ich an die Herz geschrieben. Er wird Euch meine Grüße gebracht haben der liebe Mensch! zum 28ten will er wieder hir sein, dann bekomme ich doch gewiß recht viele Briefe!

Ich habe Dir so viel zu sagen, so ist mir, ich mögte Dir so vieles sagen – so vieles hätte ich Dir auch sagen mögen wie ich bei Dir war – doch that ich es nicht. Danken nur mögte ich jetzt Dir können für Alles was mir ward durch Dich – und habe ich es auch nie wieder ich hatte es doch! o könnte ich nur jeden Morgen um 7 in Dein Zimmer gehn – und Dich sehen bei Deiner Arbeit, oder auch nur in dem Augenblick wenn Du weggehst. Wenn Du Deinen Secretair verschließt die Bücher ein stekst, die Brille auf setzt, und wenn dann – wenn Du Jettchen und der kleinen Elsbeth Dein süßes Kind adieu gesagt hattest, und wenn Du schon in der Thüre warst auch uns Andern zu niktest und adieu sagtest und mich auch freundlich ansahst – wirklich, dann verlangte ich für den ganzen Tag nichts mehr von Dir, sagtest Du mir aber gar nicht guten Morgen auch nicht adieu – und sprachst Du oft den ganzen Tag nicht ein Wörtchen mit mir dann war mir recht weh und traurig zu Muthe – | 70 besonders fühlte ich dies mit tiefem Schmerz den 5ten September. Erinnerst Du Dich noch des schönen Tages? wir waren mit Schedens nach Treptow, und machten eine Wasserfart – es war ein schöner herlicher stiller Abend den ganzen Tag dachte ich an Ehrenfried fühlte seine Nähe in der Deinigen – ich sehnte mich den ganzen Tag ein Wort der Liebe von Dir zu hören – Du kontest mich immer so erquicken mit ein einziges Wort, mit ein Blik – doch vergebens sehnte ich mich darnach – im Kahn standest Du einmal dicht neben mir – ich wollte Dir eben die Hand geben, wollte ein Wort von Dir haben da gingst Du weit weg, Du sagtest Caroline Schede leise etwas und bliktest mit Theilname und Mitleid auf Jettchen – mein Blik senkte sich nun ins Waßer in die Tiefe – Und wie ist doch mein Glaube so sicher an Deine Liebe – so groß und sicher daß er mir durch nichts genommen wird – ich kann es gar nicht anders denken als daß du auch mich in Deinem Herzen trägst, und mit Deiner Liebe liebst – nicht wahr? ja ganz gewiß!! und darauf nur mag ich leben und darauf werde ich sterben, und sterbe ich früher als Du, (das hoffe ich gewiß) dann wirst Du es erfahren ob ich verdiente Deine Liebe.

Dieser Glaube mein süßer Bruder soll mich reinigen und stärken, und trösten, und erfreuen und nicht mehr soll meine Sehnsucht gerichtet sein auf etwas Eußeres – auch nicht auf das süßeste was ich kenne, nicht auf Zeichen der Liebe – und glaubst du daß ich Wort halten kann, so laß es Dir lieb sein wenn ich herzlich wünsche noch ein mal wieder bei Euch zu sein! Ein mal noch mögte ich Dich so gerne sehen, eh einer von uns diese Welt verläßt. Behälst Du wohl dieses | 70v Blatt für Dich allein? An Jettchen schreibe ich auch noch. Gott seegne und behüte sie! er behüte sie, seinen Seegen hat sie ja, denn sie hat den Himmel schon hir auf Erden. Die Kirche ist bald aus, ich muß mich an ziehen. Es ist heute Schlichtkrulls Geburtstag, die kleinen Geschenke die Sophie und ich ihm brachten nahm er mit viel Herzlichkeit auf. Sophie und Schlichtkrull sind sehr gut, besonders gegen mich auch, ich erkenne es sehr! und will auch recht froh sein wenn ich nur erst Briefe von Euch habe die mir sagen daß Ihr alle gesund seid. Diesen Nachmittag fahren wir nach Garz.

Grüße Caroline Schede, und sage ihr: das Blatt was sie mir in Deiner Kirche gab, wie ich glaubte Dich zum lezten Mal zu hören, hätte ich noch, und würde ihr mein herzliches Andenken darauf senden.

Mondtag Morgens. Heute Morgen habe ich mir mit Dir zugleich Licht bringen laßen – aber es war so kalt – Dein warmes liebes Stübchen war nicht da. Blüht die Hiazinte noch nicht?, hier fand ich eine von der Katen für mich, mit ein par freundliche Worte. Ich mögte gerne Deine Blumen alle Abend begießen, und wenn der Frühling koemt, mögte ich Dir jeden Morgen frische Blumen auf Deinen Secretair setzen! das war ja das einzige was ich für Dich thun konte – alles Andere hattest Du ja lieber von Nanny und Jettchen, doch lieber konten sie es nicht thun als ich es würde gethan haben.

Lotte Pistorius war sehr bewegt wie sie mich sah – auch ich war es – sie dauert mich! – o Gott Schleiermacher – ich habe noch so vieles Dir zu sagen – soll ich nun nimmer nimmer zu Dir kommen? wirst Du heilig halten, was ich Dir immer sagen mag? – darf ich immer frei vom Herzen reden zu Dir, wie vormals zu einer einzigen Seele? | 71

Für Heute kann ich nicht mehr – Geliebter Bruder fürchte nie mein zu leicht bewegtes Gemüth – es erscheint oft mehr gereizt wie es wirklich ist – auch ist es nicht mein eignes Schiksaal was mich am mehrsten am Herzen liegt –

Wie gerne wäre ich noch mit Dir und Jettchen und Nanny zum Abendmahl gegangen – immer hoffte ich es würde noch geschehen, nun wohl nicht wieder.

Donnerstag reisen wir nach Sagard. Täglich sterben dort Menschen an Frieseln und Rötheln. Auch Loppe(?) liegt tödtlich nieder, und ist wahrscheinlich schon todt – wieder ein schwerer Stoß für Tante Beyer.

Lieber Schleiermacher soll ich Dich nur um Eins bitten? Bitte Jettchen daß sie die kleine Jette wärmer hält – achte recht auf das Kind – sei auch nicht böse daß ich Dich bitte – wie eine zarte Pflanze mus dies Kind geschüzt werden. Und dieser Reiz zum essen dieser Sprung lieber Schleiermacher nein es ist Dir gewiß nicht lieb daß ich darüber rede – Du hast in diesem Punkt Jettchens Ansicht von mir an genommen – ich weiß es aber ich weiß auch daß mir hierin Unrecht geschieht – So wie Jettchen glaubte daß es wirklich wahr sei, wie sie Dir erzählte ich habe den kleinen Theodor immer bei mir ins Bette genommen so gewiß glaubt sie manches Andre was mir eben so fern liegt als dies – Du glaubtest es | 71v und ich schwieg, so unmöglich es sein konnte – da ich ja nie mit dem Kinde in einem Hause geschlafen hatte – so habe ich es oft duldend empfunden daß Jettchen mich verkennt – doch liebe ich sie. Es gehört dis zu meinem Schiksal – vielleicht löst manches sich noch durch die Zeit.

Adieu lieber Schleiermacher

Ich fühle mich nicht eigentlich krank, doch bin ich sehr blas – und sonderbare Ahndung liegt in mir seit einger Zeit – schreib mir nur dies mal recht bald, dann sollst Du es auch lange nicht wieder – Wie viel kann eine kurze Zeit verendern –

Adieu lieber Bruder! lebe wohl lieber Schleiermacher –

Grüße alle Freunde! lebe wohl! Luise

Die beiden fr.(?) hoffe ich sicher schicken zu können so bald Willich zu Hause ist.

Wolltest Du nicht eine Auslage noch für mich machen? Sophie schikt Wurst an Rühsens – davon denke ich es zu bezahlen – ich muß einen wollnen Anzug haben – es friert mich so sehr.

Zitierhinweis

3729: Von Luise von Willich. Poseritz, Sonntag, 12.1.1812 bis Montag, 13.1.1812, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007843 (Stand: 26.7.2022)

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