Sagard den 21. Aug. 14.

Endlich einmahl, lieber Bruder, kommt ein Anstoß von aussen an die Feder, der sie nach langem Stillstand in Bewegung sezt. Eine geraume Zeit hindurch war ja das allgemeine Intresse so bestimmt, daß alle einzelne wohl wußten und fühlten, worin sie alle zusammentrafen. Es bedurfte da keines Schreibens und Versicherns – jeder hatte zu thun – So habe ich mir auch dich gedacht und bei allem Wechsel der Jubel und Seufzer habe ich dich, die deinigen dorten, Berlin, die braven Preussen beständig im Sinne gehabt und was hat man nicht noch zu sinnen!

Jezt weiß ich dich im Bade und du wirst diese Zeilen nicht so gar bald lesen – Doch halte ich es nicht für Luftstreiche – meine Wünsche, daß es dir recht wohl thun möge, sind gleich kräftig, sie mögen gelesen werden oder nicht – hoffentlich erfüllt, wenn du die Buchstaben erhältst – an ihnen selbst zweifelst du ohnehin nicht. Gott gebe es, daß wir bald die Nachricht davon erhalten!

Der äussre Anstoß nun zu diesem Schreiben ist der Besuch einer fast aufgegebnen Jugendfreundinn von meiner Frau – seit 10–12 Jahren in England | 28v Schweden pp hatte sie sich fast verloren und überraschte sie hier auf eine rührende Art – izt auf der Reise nach Wien mit ihren 4 Kindern wird sie vermuthlich den Winter in Berlin zu bringen und ist mit dem ältesten Knaben in einiger Verlegenheit, darüber sie sich gerne mit dir berathen mögte – ich wenigstens wuste ihr keinen treueren, und fä higeren Rathgeber in einer für die Mutter so wichtigen Angelegenheit zu nennen – Sie wird dir mündlich besser, als ich schriftlich, darlegen, wor auf es ihr eigentlich für den 7jährigen Knaben ankommt, dem sie allein nicht mehr gewachsen, der doch aber nicht ganz von ihr zu trennen ist – Gönne ihr ein Stündchen, wenn sie darum nachsucht; sie wird dich und dein Haus weiter nicht beschweren. Madame Scilô(?) ist übrigens ihr Na me, und der Mann in Wien; sie selbst bekannt genug dorten in Berlin.

Von unserm Thun und Treiben, Leben und Sterben wirst du durch die Kathen wohl fleissig Nachricht haben und von Louise, die vieleicht auch noch mit dieser Gelegenheit schreibt – die Entbindung meiner Charlot te | 29 in Schweden, gepflegt von mein[ner]  Schadhafte Stelle [...] die ich ihr mitgegeben, von einem 3ten Kinde, einer Tochter  Schadhafte Stelle [...] eine Freude mehr für mich werden; wie meines Onkles zu Wiek plözliches Absterben grosses Leid unter uns alle gebracht hat und steht insonderheit der Sohn, der junge Pastor, sehr verlassen da, indem er mit den meisten Amtsgeschäften wenig bekannt ist. Die gute Tante Baier, die in einem Jahre den wakkern Schwiegersohn, und ihre beiden Brüder verloren – des Pastors Frank schrecklichen, doch nun geheilten, Sturz vom Baume und wie manches andere Ungemach erfaren hat, dabei immer die Sorge um den 2ten Sohn, der nach Spanien gieng, mit sich trägt, wird fast niedergerissen. Doch ist es eine Freude zu sehen, wie sie sich selbst aufrichtet – wenig, wenig von andern gehalten, ausser ihrem Herrman – Ich und mein Haus geniessen einer ununter brochnen Gesundheit seit jenem traurigen vorlezten Winter – eine unaus sprechliche Wohlthat – und dazu manche andre, so daß wir billig in be ständig dankbar froher Stimmung fortgehen – Die beiden Jungens werden mir nur zu kostbar – ich muß aufopfern und hoffen, daß der Aufwand gedeihe und sich einst bezahlt mache – Es ist doch unmöglich, darin zu sparen – Viele Freude haben wir an unsern Töchtern – an der Liebe und dem Frieden, der in unserm Hause herrscht – auch aus fernen Gegenden wieder nach nun vollendeter Vereinigung der zerrissenen Welt manche herzliche Begrüssungen erhalten – nur aus Spanien fehlen sie uns noch – und von dir und den deinen, die wir alle herzlich grüssen –

CvWillich

Zitierhinweis

4067: Von Heinrich Christoph von Willich. Sagard, Sonntag, 21.8.1814, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007838 (Stand: 26.7.2022)

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