Röm. 12, 10.   1 Maccab 12, V 17 in fine und 18.



Thut uns des erstern hier Bestätigung nicht Noth, auch nicht das 2te – so ist doch dies lezte hier unser herzlicher Wunsch und so sezzen wir zuvorkommend die Feder an, Euch brüderlich zubegrüssen – doch auch das nicht ganz rein und frei von Eigennuz – Von Eurem Wohlbefinden haben wir so weit über Poseriz, auch durch der Herz freundliche Zeilen, einige Nachricht, daß wir ferner das beste hoffen – Euch ist der Kreis, in den hinein man izt seinen Blick bescheiden muß, weil der zu weit umgreifend ist, indem man ihn gerne gerne hinaus spähen liesse – Also wir sind Gottlob alle ohne Ausname, meine ganze Schaar, und das ist wohl eine unvergleichbare Wohlthat, gesund und heitern Muthes in unserm engeren Kreise, wie stark auch die tobenden Wellen des grössern Äussern an ihn heranschlagen – Gottlob daß auch diesem ungestümen Meer der Befehl geworden: Bis hieher sollt du kommen und nicht weiter! – Unsre Ufer, Felsen und Dühnen dagegen hast du, lieber Schleiermacher, ganz kürzlich in AemterInspection genommen, mein Amt, mein Weib, meine Kinder pp also seid ruhig unsertwegen. Auch wissen wir, daß Ihr uns lieb habt, eine gewichtige Zugabe zu dem etc. – Dieser Tage, seid vorgestern, leben wir so gar und bis Morgen Abend in einer Sause und Schmause – Vorgestern nemlich wurde Wilhelmina Baier ihrem Rüze anvertraut, ich hatte Predigt und Communion – Mancherlei Empfindungen beschwerten, mancherleie Freuden erhoben den Tag – jene musten durch diesen weichen – Tante, auch Malchen bestanden den Kampf Ehrenvoll. Eine Gesellschaft von 40 Personen und des allzulauten Jubelns hie und da war mir nur zu viel, vieles gieng an gediegener stiller Freude verloren, wie sehr auch Herrmanns Herz und Talent ins Mittel trat, sie immer wieder und immer wieder zur Heldinn des Festes zu machen – und mancher | 22v sanfteren edleren Rührung ihr Recht zu sichern – Ein Herz und Seele wurde doch auch für diese Tage mancher, der uns sonst draussen stand – Sonntag kamen wir 6 Uhr nach Mitternacht, heute 3 Uhr von der gestrigen Nachhochzeit zu Hause, zu Abend fahren wir nach Spieker, Morgen haben wir sie hier und Freitag sind alle meine Kinder zu ihrer grossen Freude zu einer Bauernhochzeit geladen; werden auch alle hoffentlich der Reis- schüssel und der Fidel die gebetne Ehre erweisen – Auch meine beiden Knaben habe ich hier gehabt bis in diese Stunde (Morgens 7 Uhr) Luis wächst das meter und weiter laut schreiend ohne es selbst auszusprechen empor – Ich kann es nicht länger verantworten, ihn, wie wohl er auch bei Herrmann daran ist, aufzuhalten und ihm zum Nachholen des Versäumten alle auf ihn würkende Reize und Mittel zu entziehen – Er muß in einen Kreis, in ein Clima, wo alle Keime besser aufgehen, mehr Narung und Pflege finden wird, als der Einzelne hier ihm geben kann – Ich sprach schon mit dir davon und bin mit der Mutter einig, es muss seyn – sie sehnt sich und ich mit ihr nach möglichster Zuversicht auf einen glüklichen Erfolg – Ihre Liebe hat den allem Anschein nach sichersten Weg ausgesonnen. Nach Berlin; darüber haben wir schon miteinander gesprochen – Unterricht bei dem Lehrer des Gymnasii, das Du auswählst; welchen, das wird sich finden – Was aber die Hauptsache ist, seine Führung an Geist und Herz – das können wir dir nicht und keinem dorten aufbürden, auch kannst du es und keiner dorten kann dies leisten, dem nicht dies grade sein Haupt- oder doch mit selbigem höchst vereinbarer Neben-Beruf ist. Meine Frau und Hane | 23 können ihren Blick gar nicht abwenden von Twesten, ihr Vertrauen ruhet auf ihm, ich breche alle andre Unterhandlungen ab auf den HofnungsStrahl hin, daß er vieleicht Ostern oder wann es ist dorthin kommt. Du hast davon gesprochen, daß das der Fall werden könnte, wenn er in Kiel nicht angestellt würde, wovon man bisher eben noch keine Nachricht hat. Auch Luis ist sehr an ihn attachirt. Nun ist zwar Luis nicht eben verführbarer als andre seines Alters; aber haben muß er jemand, an den er sich gerne fest anschließt – Mit Herrmann glükte das, nicht so sehr mit mir, aber das kann nicht dauern – Kein andrer dorten kann dem Twesten hierin vorzuziehen seyn. Aber auch mein Theodor sollte mit ihm hin; es ist ein zwar nicht sichres, aber durch Twesten zu sicherndes Verhältniß zwischen ihnen, das ich so wohl um des einen als des andern willen ungerne aufgeben mögte – ohne Mittelsperson würde es aber dorten gewiß verloren gehen, weil Luis sicher mit andern Knaben in nähere Berührung kommt – das zarte Gemüth und der edle Sinn beider Brüder würde ohnstreitig dadurch verlieren und es könnte damit noch mehr darum zu Grunde gehen, worüber man grade keine Berechnung aufstellen kann – Auch bedarf mein Theodor wieder in andrer Hinsicht einen freundlich treuen Mentor – Ach wäre es möglich, daß Twesten nach Berlin seinen Wünschen und Bemühungen gemäs versezt, mit ihnen sich vereinigen, in dem BeisammenWohnen und Essen, und was ich sonst irgend arbeiten kann, eine Erleichterung für sich und seine Freude darinn finden könnte, diese beiden Knaben auf sicherm Weg zu | 23v begleiten, oder wo er noch nicht eingeschlagen, zu leiten – mit welch Sorgenfreiem Vertrauen wollten wir sie, wie nahe sie uns abgehen, zu Euch schikken oder bringen! Ich sage: was ich sonst anbieten kann – Ich wünschte einen angesehnen Etat für beide Knaben von dir zu haben oder einen andern, der es taliter qualiter nach dorten anwendbaren Sparsamkeit berechnen kann – von dir, was ich etwa zu Twestens Erleichterung hinzufügen müste. Vorsichtig muß man ja wohl seyn in dieser verwirrten unsichern Zeit – was ich habe, was ich mir irgend entziehen kann, was irgend mir zu Gebote steht, gebe ich nur gar zu gerne dazu hin. Aber alle noch so sichern und unverlohrnen Ressourcen sind wenigstens für den Augenblick dergestalt blocquirt, daß es ja keine Möglichkeit ist, daraus zu schöpfen – und doch läßt sich das Vater- und Mutter-Herz dadurch nicht für den Erziehungsplan beschwichtigen – Die Knaben müssen vorwärts; es koste was es wolle und mache Einschränkungen für uns hier nötig, wie groß und drükkend sie wären! Ein Paar tausend Thaler hab ich so stehen, daß ich sie wenigstens zur Hälfte dazu disponiren kann – den Anfang also können wir machen auf Ostern – Nur daß Eure Gegend nicht dann der Tummelplaz gerade der Greuel-Scenen ist! Dann verkrieche sich jeder in Felsenhölen und Uferschluchten – kommt zu uns – Du bist unser treuer Freund, Herrmann mit uns einverstanden – rath und hülf uns nun, so gut du weißt und kannst. Herzliche Grüsse in deinem Hause, wozu wir unsere Herz nehmen

CvW.

Sagard den 17ten IXber 1812.

Zitierhinweis

3814: Von Heinrich Christoph von Willich. Sagard, Dienstag, 17.11.1812, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007835 (Stand: 26.7.2022)

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