Berlin, den 3ten Juli 1813.

Ich bin Ihnen, theuerste Gräfin, noch meinen herzlichsten Dank dafür schuldig, daß Sie mir von dem richtigen Empfang jenes Briefes an Marwitz Nachricht gegeben. Man muß doch auch im kleinen an nichts verzweifeln. Seitdem habe ich gehört, daß er nicht mehr bei Dörnberg ist, sondern sich zu Tschernitschew gewendet und auch die brillante Affaire von Halberstadt mitgemacht hat. Hat der Graf dasselbe gethan? oder war der fester gebunden? Ich lobe es übrigens nicht an Marwitz; dort hatte er einmal einen gewissen Einfluß, und persönlich kann ihm doch der Russe von mancher Seite eben so wenig zusagen. Mich wundert, wenn er ändern wollte, daß er nicht zu seinem ehemaligen Waffengenossen Tettenborn gegangen ist, der sich so vorzüglich wacker Hamburgs angenommen hat, und dem wir Alle die größte Dankbarkeit schuldig sind. Doch was rede ich von andern Dingen, da ich eigentlich zunächst Ihnen nur die einliegenden Zeilen anmelden wollte. Ich habe unserm Freunde schon meine Ansicht mitgetheilt, daß nämlich unsre trefflichen Männer wieder den Geist ihres Unternehmens nicht haben festhalten können, und daß der so geführte Krieg nicht nur zur Befreiung Deutschlands nicht führt, sondern auch nicht einmal zur Regeneration des preußischen Staates. Durch das glücklichste Vorrücken könnten wir jezt zwar Deutschland erobern, aber nicht es befreien; denn die Leute werden nach so großen Beweisen, daß wir unsre Virtuosität in retrograden Bewegungen suchen, nicht das Herz haben, sich frei zu machen. Deutet Wilhelm, wie ich vermuthe, in seinem „andern Volk“ auf Oesterreich, so glaube ich wohl, daß Oesterreich seine alte Kaiserwürde herstellen kann und wird; aber es ist wohl nicht fähig ein neues deutsches Kaiserthum, wie wir es brauchen, auf rein militärischem und diplomatischem Wege zu stiften. Für unsre partielle Regeneration hatte ich allein auf diesen Krieg gerechnet; aber so geführt, kann er sie auch nicht hervorrufen, und darum glaube ich, es wird noch viel bunter werden, als es ist, und nicht in wenigen Tagen besser stehen. Denn das Gefecht von Hagenau ist recht hübsch, aber von wesentlichem Einfluß konnte es nicht sein. Ueber die wahren Resultate der militärischen Operationen seit dem 21sten sind wir hier, so viel ich weiß, noch ganz im Dunkeln. Ich nur habe leider ein trauriges Resultat davon, nämlich daß ich von meiner Frau ganz abgeschnitten und ohne alle Nachricht bin. Doch ich will von diesem Kapitel ganz schweigen, sonst komme ich in ein förmliches lamentiren.

Sie, Gnädigste, werden nun gewiß nicht nöthig haben zu reisen, da ja, wie man wissen will, Bernadotte jezt Ernst macht und auch zwischen Schweden und Dänemark Alles ausgeglichen sein soll. Von dorther erwarte ich nun die eigentlich positiven Operationen. Wir haben durch unsre Inkonsequenz in Sachsen das Glück verscherzt sie einzuleiten. Nun, wenn nur etwas geschieht, mag es denn immer nicht durch uns geschehen. Aber schade ist es doch, daß die Tapferkeit, die unser Heer so auszeichnet, und die schöne Gesinnung, die einen so großen Theil des Heeres und des Volkes beseelt, ihres herrlichsten Lohnes verlustig gehen soll. Glauben Sie übrigens nicht, Gnädigste, daß ich mit Gott schmolle; der muß wohl wissen was er thut, sondern nur mit den Menschen. – Eben erhalte ich einen Brief von meiner Frau; es freut mich herzlich, daß ich Ihnen, meine gnädigste Freundinn, noch diese meine Freude mittheilen kann; leider aber ist nach den neuesten Nachrichten auch die Kommunikation über Breslau jezt wohl unterbrochen, und vor einer glücklichen Wendung der Angelegenheiten keine Wiedereröffnung derselben zu erwarten. Kann man eine günstige Wendung von dort aus erwarten? wird nun Barclay der rechte Mann sein, da es Witgenstein nicht ist? Ich hege von den combinirten Armeen nun nur die geringe Erwartung, daß sie sich weder total schlagen noch total turniren lassen, und erwarte alles positive von der Niederelbe. Wilhelm ist bei Pinette gewesen und diese ist jezt nach Reinerz gegangen. Meine Frau will ruhig in Schmiedeberg bleiben und hat sich nur für den Nothfall ein Quartier in einer schlesischen Alpenhütte bestellt, womit ich sehr zufrieden bin. Die Marwitz, mit der meine Frau auf einen herzlichen Fuß zu kommen anfing und sie gern in ihren Wochen gepflegt hätte, ist nach Böhmen gegangen; doch das wissen Sie gewiß schon.

Verzeihen Sie, daß ich Ihnen soviel vorgeplaudert habe. Wenn Sie mir ein paar Zeilen schreiben, werden Sie mich sehr trösten und erfreuen.

Zitierhinweis

3894: An Luise Sophie Caroline Gräfin von Voß. Berlin, Mittwoch, 2.6.1813, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007822 (Stand: 26.7.2022)

Download

Dieses Dokument als TEI-XML herunterladen.