Meldorf den 14 April 1816.

Das Wiedersehn meiner Braut erinnert mich daran, daß es schon zehn Wochen sind, seit ich, kurz vor ihrer Abreise aus Kiel, Ihren lieben Brief empfing. Denn zwar weiß ich, daß es lange ist, daß ich mir Posttag für Posttag vornahm, Ihnen zu schreiben, aber so lange würde ich mir doch die Zeit nicht vorgestellt haben, wenn ich nicht eben hiedurch aufmerk sam gemacht wäre.

Den Rath, den Sie uns damals ertheilten, nämlich unsere Verbindung nicht zu lange aufzuschieben, sind wir zu befolgen entschlossen; um Jo hannis denken wir unsere Hochzeit zu feiern. Mögte dies nun für Sie ein Antrieb seyn, Ihren Plan zu einer Reise durch Holstein ins Werk zu setzen. Wahrlich, eine größere Freude könnte uns diesen Sommer nicht wieder fahren. Ich sage uns, und nicht bloß mir; denn, wie ich wohl keinem so leicht zugestehen mögte, daß er Sie mehr liebte und verehrte als ich: so haben Sie auch schwerlich viele eifrigere Verehrerinnen als meine Braut, | 19v zu deren Eigenthümlichkeiten es gehört, daß sie mit dem lebhaf testen Interesse an denen theil nimt, welche von den ihr theuren Men schen, besonders von Niebuhr und mir geliebt werden. Daher erregte Ihr in Ihrem vorigen Briefe so halb und halb gegebenes Versprechen, im Lau fe dieses Sommers zu uns zu kommen, sogleich, wie ich es ihr vorlas, ihren lautesten Jubel, und noch mehr würde die Ausführung desselben ihn erregen. Nehmen Sie es daher ja nicht zurück. Wenn gleich unser Land an Merkwürdigkeiten nicht reich ist, so werden Sie doch, hoffe ich, keine unvergnügte Zeit bey uns verleben. Wir rechnen darauf, daß Sie kommen.

Ihre Schrift gegen Schmalz hat, wie Sie leicht denken können, auch hier solche gefunden, die den Ton derselben nicht geistlich genug fanden; in dem Kreise meiner Bekannten aber ist sie mit dem größten Beyfall aufgenommen. Ich finde sowohl die Wahl dessen, was Sie zeigen wollten, als die Art, wie Sie es thaten, vortrefflich; jene: denn allerdings ging Nie ­buhr in dem Schluß a non scire ad non esse zu weit; wenn aber gezeigt ward, daß Schmalz selbst nichts wüßte, so ist die Widerlegung eben so vollständig; | 20 wenigstens die Beschämung; diese: denn wenn jemand Iro nie für unverträglich halten will mit einem ernsten Leben in der Religion, so begreife ich nicht, in welcher Feindschaft sich ein solcher die Religion mit einer nothwendigen Aeußerung des menschlichen Geistes denken will, die doch wohl alle mit ihr vereinbar seyn müssen, wenn die Religion nicht bloß wenigen Menschen eignen und wesentliche Richtungen des höheren Lebens vernichten soll. Freylich scheint es Fälle zu geben, wo die religiösen Gefühle mit den Ansprüchen des Lebens in einem eben so ir rationalen Verhältnisse stehn, als mit der Wissenschaft: (ich meine, wo sich eine vollkommene Lösung oder Vereinbarung mehr ahnden als für alle klar entwickeln läßt) aber selbst ein solcher Fall findet doch hier nicht Statt. – Lessingisch mögte ich den Ton nicht nennen, sondern eben Schlei ermacherisch; denn gerade diese Art der Darstellung scheint mir Ihnen ganz eigenthümlich, und wer sie recht begriffen hat, wird sie in allen Ihren Schriften wiederfinden, außerdem aber vielleicht nur bey Plato, und in einigen wenigen Aufsätzen von Friedrich Schlegel; aber sehr wenigen.

Zu meiner Freude höre ich, daß Sie diesen Sommer die Ethik lesen werden; dabey rückt denn doch gewiß auch Ihre Ausarbeitung etwas wei ter fort. Je länger, desto ungeduldiger werde ich, sie erscheinen zu sehn. Ich habe jetzt einem recht wackern jungen Menschen, Namens Rauten berg, der diesen Ostern von Kiel nach Berlin geht, und der Ihnen einen Gruß von mir überbringen | 20v wird, den Auftrag gegeben, für mich die Abschrift eines Heftes zu besorgen; aber wie wenig das genügt, habe ich nun schon zu oft erfahren.

Unerwartet und schmerzlich zugleich war es mir dagegen, von der Hofräthin Herz zu erfahren, daß Sie wieder vom Magenkrampf heimge sucht werden. Ich hatte gehofft, daß mit der Freyheit von unangenehmen Geschäftsverhältnissen auch die Befreyung von einem Leiden eintreten würde, welches ich vornämlich daraus ableitete. Um so nothwendiger scheint es mir, daß Sie diesen Sommer reisen; und wenn Sie reisen, so müssen Sie nothwendig zu uns kommen. –

Die Art, wie die politischen Hoffnungen von der Preußischen Regie rung getäuscht, wie die Erfüllung selbst des Versprochenen in die Länge gezogen zu werden scheint, wie unterdeß solche Verbote, wie die in An sehung des Schmalzischen Streits, selbst das antasten, was doch bisher für unantastbar galt: dies alles erregt auch hier Niedergeschlagenheit. Denn Preußen ist Muster und Beyspiel für die meisten andern deutschen Staaten. Wir befinden uns hier in einem Kampf um vormals entzogene Rechte, von denen Ihnen, wenn es Sie interessirt, nächstens mein Freund und College, Professor Dahlmann, mehr erzählen wird, der selbst dabey einen bedeutenden Antheil nimt, und dem ich versprochen habe, ihn bey Ihnen anzukündigen. Er wird nämlich bald auf einige Tage nach Berlin kommen, wohin er die Doctorin Hensler geleitet, und wünscht diese Rei se besonders auch dazu zu benutzen, daß er Ihre Bekanntschaft macht, da er Sie schon lange verehrt. Mehr als ich es kann, wird er sich Ihnen selber empfehlen.

von ihrem Twesten.

Auch die Hofräthin Herz bitte ich recht viel zu grüßen.

am linken Rand

Zitierhinweis

4262: Von August Twesten. Meldorf, Sonntag, 14.4.1816, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007811 (Stand: 26.7.2022)

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