Ich habe Sie freilich bei unserm Abschiede sehr gebeten mir das Nicht schreiben für nichts anzurechnen, aber ich habe auch etwas sehr starken Gebrauch von Ihrem Vertrauen gemacht. Der gute Wille ist oft da ge wesen aber das Vollbringen habe ich nicht gefunden; und das gilt nicht nur vom Briefschreiben sondern ich kann mich überhaupt meiner Thätig keit nicht sehr rühmen. Ich size in der Ethik noch mitten im ersten Buche, und was fertig ist ist doch auch noch nicht einmal ganz fertig sondern wird noch eine Umarbeitung erfahren, so daß [ich] doch das Versprechen das ich gethan habe, daß sie an meinem Geburtstage zum Druk fertig sein sollte nicht werde erfüllen können; es wird kaum vom ersten Buche wahr werden. Sie wissen wie meine Amtsverhältnisse sich am Ende des Winters geändert haben, noch aber merke ich nicht sehr viel Zeitgewinn. Die Akademie hat mir ehe ich mich in Alles hineingefunden habe ziemlich viel Zeit gekostet, und nun kommt wieder | dazu daß ich die Unterstüzung von Pischon verliere der eine feste Stelle bekommen hat und dem ich bei dem gänzlichen Mangel an jungen Leuten keinen andern zu substituiren weiß. Ich habe mir nun aufgelegt nächsten Winter kein philosophisches Collegium zu lesen um desto mehr an der Ethik arbeiten zu können, und so will ich auf alle Weise das meinige thun die alte Schuld zu lösen. Sie erhalten hiebei von den beiden Abhandlungen die jezt in den Memoiren der Akademie abgedrukt sind zwei Exemplare die zweiten für Ihren elea tischen Freund. Ich habe sie für den Druk noch einmal umschreiben und vieles umstellen müssen und auch das hat einige Zeit gekostet von dem Sommer, in dem hier draussen im Garten das Arbeiten ohnedies nicht schmecken will. Die dritte über den Anaximenes ist leider verloren ge gangen ich weiß nicht ob bei mir oder bei der Akademie; es thut mir leid genug denn ich kann sie nicht noch einmal hervorbringen.   Für Ihre Hesiodische Abhandlung vielen Dank; das eigentliche habe ich nur erst durchgeblättert denn man muß es doch mit dem Hesiodus in der Hand studiren und dazu bin ich noch nicht gekommen aber mit der Einleitung haben Sie mich | getäuscht. Ich hoffte Sie sollten Sich weiter über die Principien verbreiten was so nöthig ist, und Sie waren so schön im Zuge, aber plözlich brechen Sie ab. Wie gern käme ich nun auch an meine ähnliche Arbeit über den Lukas; aber ich sehe noch die Zeit nicht ab.

Meine dialektischen Vorlesungen haben auf die Einleitung zur Ethik wol keinen Einfluß gehabt ich besinne mich nicht daß diese seit Sie sie kennen eine Erweiterung erfahren; aber ich habe von der Dialektik selbst das wesentliche zu Papier gebracht und das ist mir sehr lieb. Soll es ein mal ans Licht so ist es doch besser für sich als bei Gelegenheit der Ethik was der Ethik selbst immer Schaden thut wie man an der Geschichte des Spinoza so deutlich sieht. Den Hegel habe ich nicht angesehn aber aus Recensionen habe ich ohngefähr so eine Vorstellung davon wie die Ihrige. Was Sie mir von Ihrer Analytik sagen gefällt mir sehr wohl. Was ich aus Ihrer Darstellung noch nicht recht verstehe ist wie Sie die Lehre von den Definitionen und Divisionen behandeln wollen ohne sie ganz eigentlich dialektisch zu behandeln als eben auch kritisch, so daß diese Lehre eigent lich die Basis Ihres angewendeten Theiles wäre. Es ist gewiß ein sehr verdienstliches Unternehmen und wie wenig auch mit Ihren jungen Leu ten mag anzufangen sein so werden Sie doch wenn Sie ein Paarmal die Vorlesungen gehalten haben mit der Methode auf die hiebei so sehr viel ankommt auch im Einzelnen ganz im reinen sein. Ihre | Form des principii contradictionis scheint mir die einzig brauchbare zu sein.   Daß Sie nun aber Redacteur einer Zeitschrift sein sollen möchte ich fast bedauern es wird Ihnen soviel Zeit wegnehmen wie Sie gar nicht glauben und wie mit dem zu erwartenden Erfolg in gar keinem Verhältniß steht. Hoffentlich ist die Zeitschrift doch wenigstens nicht recensirend.

Ihres Verlustes wegen habe ich Sie herzlich bedauert es ist schwer sich einzurichten mit dem Leben auf die Entbehrung eines geliebten Wesens. Sie wissen was unserm Niebuhr begegnet ist; möchte ihn doch seine Schwaegerin nie verlassen müssen es ist indeß unser Aller Bewunderung wie kräftig er sich zusammennimmt. Danken Sie Gott daß Sie Ihre Eltern noch haben ich hatte sie lange nicht mehr als ich auf Ihrer Lebensstufe stand; aber unterhalten Sie doch recht in sich das Verlangen nach einem vollständigen Leben. Ein gutes Geschik wird Ihnen dann schon das rechte zuführen.

Die Meinigen grüßen Sie herzlich, unsere Freundinn Herz ist jezt bei Wolf in Zossen.

Die öffentlichen Angelegenheiten sind zwar vortreflich gegangen aber leider fängt die Großmuth schon wieder an zu spuken, und alles andere was eben so klein und jämmerlich ist. Kaum ist zu hoffen daß nicht noch mehr unverantwortliche Dinge geschehen. Doch vielleicht ist es nothwen dig so.

Von ganzem Herzen Ihr Schleiermacher

B. d. 5t. Jul. 15

Zitierhinweis

4151: An August Twesten. Berlin, Mittwoch, 5.7.1815, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007808 (Stand: 26.7.2022)

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