Hamburg den 25st. März 1812

Ein mich sehr betrübender Umstand macht es mir wünschenswerth, meine Reise nach Berlin zwar nicht aufzugeben, aber doch bis zum folgenden Semester aufzuschieben.

Mein Bruder, durch ungünstige Umstände in eine eben so verwickelte als ihm unangemeßne Lage versetzt, hatte bey der Reihe von Unglücksfällen, welche diese kleine Republik im Ganzen, so wie jeden ihrer Bürger im Besondern getroffen haben, seine frühere Heiterkeit so sehr verlohren, daß es mich oft schon traurig gemacht hat. Vor kurzem fand er Gelegenheit, seine gesammten Geschäfte einem andern zu übertragen, um sich alsdann seinem Wunsche gemäß in den dänischen Theil von Holstein begeben zu können. Wiewohl mir nun der plötzliche Uebergang von einem geräusch- und geschäftvollen Leben in die Einsamkeit bey seinem Gemüthszustande nicht unbedenklich schien, so hoffte ich doch viel davon, daß er nun von so mancherley Unannehmlichkeiten sich frey fühlen würde. Jetzt aber hat sich zu der geistigen noch körperliche Krankheit gesellt. Er ist vom Blutsturz befallen worden, der sich jetzt freylich durch die Bemühungen eines geschickten Arztes gelegt, aber doch noch immer Gefahr und eine große Schwäche der Brust zurückgelassen hat.

Es wird mir fast unmöglich, meinen einzigen Bruder, der hier weder Verwandte noch denn Freunde hat, allein zu | 9v verlassen, weil ich fürchte, daß er den vereinten Angriffen von Körper und Seelenkrankheit erliegen mögte; er ist dazu die einzige Stütze meiner alten Aeltern, die Sorge für welche mit ihm theilen zu können, wie ich bisher gekonnt habe, ich, wenn ich jetzt nach Berlin ginge, fürs erste wenigstens nicht rechnen könnte.

Gerne also bliebe ich diesen Sommer, bis ich meinen Bruder als wieder hergestellt ansehen könnte, hier. Auf der andern Seite aber fürchte ich, daß Sie vielleicht Schritte gethan haben könnten, nach welchen es Ihnen unangenehm seyn müßte, wenn ich nicht käme; und alles mögte ich lieber, als Ihnen eine unangenehme Empfindung verursachen.

Natürlich mögte ich über dieses letzte gerne Gewißheit haben. Um Ihnen aber die Mühe des Schreibens zu ersparen, wenn Sie vielleicht durch andere Geschäfte abgehalten würden, habe ich Ritter gebeten, zu Ihnen zu gehen, und ich bitte Sie, wenn Sie selbst zu schreiben nicht Zeit haben, diesem mitzutheilen, was Sie mir darüber vielleicht zu sagen haben.

Aus doppeltem Grunde wünsche ich nun, daß der Sommer schnell eilen möge, um meinen Bruder gesund, und Sie alsdann wieder zu sehen.

Mit der innigsten Verehrung und Liebe August Twesten.

Zitierhinweis

3764: Von August Twesten. Hamburg, Mittwoch, 25.3.1812, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007803 (Stand: 26.7.2022)

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