Hamburg den 28st. Febr. 1812.

Um meinem Wunsche, nach Berlin zurückzukehren, die größte Lebhaftigkeit zu geben, bedurfte es gewiß nicht der Nachricht von andern Vorlesungen als den Ihrigen. Andere würde ich doch kaum hören mögen. Denn wenn in Ihren Vorträgen jeder Gedanke mich so anspricht, als könne es gar nicht anders seyn; wenn bey jedem Schritte mir mehr Licht und Klarheit aufgeht, und der Weg, den ich zu gehen habe mir dadurch unendlich abgekürzt, und ich mir über Schwierigkeiten hinweggehoben scheine, die ich vielleicht gar nicht würde überwunden haben; so scheinen die meisten andern Vorlesungen meinem innern Wesen fremdartig, sie erscheinen mir als Eingriffe in meine eigenthümliche Weise, und selten das, was ich daraus lerne, mir es werth, meinen eignen Weg darum unterbrochen zu haben.

Vor allem aber reitzt mich die Gewißheit Ihrer fortdauernden gütigen Gesinnung gegen mich, und die Aussicht, Sie dann und wann zu sehen, und mit Ihnen zu sprechen, denn ich weiß nicht, welche magische Gewalt jedes Ihrer Worte über mich hat, und wie belebend es auf alle meine Bestrebungen wirkt, selbst solche, auf die es gar keinen Bezug zu haben scheint. Es kommt mir vor, als müßte ich Sie als den Erzeuger meines wissenschaftlichen Lebens ansehen, und als wäre ich noch zu früh von Ihnen getrennt, und könnte daher auch anderwärts mehr lernen, aber es wäre das Princip der eigentlichen Wissenschaft in mir noch nicht selbstständig genug, und leicht in Gefahr, zu verlöschen.

Da Sie mir nun so viele Hoffnung machen, daß ein längerer, vielleicht ein beständiger, Aufenthalt in Berlin, an Einem Orte mit Ihnen und in der lebendigen Berührung mit so vielen wissenschaftlichen Bestrebungen, möglich seyn wird, da Sie mir selbst Ihre gütige Mitwirkung dazu versprechen, so ist mein Entschluß gefaßt. Gleich nach Ostern (denn eher werden ja doch wohl, | 7v wo Ostern so früh ist, Ihre Vorlesungen nicht anfangen) werde ich in Berlin seyn. Wäre es möglich, daß ich eine Stelle in dem Seminar, oder Stunden an einem Gymnasium erhielte, so wäre mir das natürlich sehr erwünscht. Nur unlieb wäre mir, wenn vielleicht ein Examen dazu erfordert würde, weil ich gegen alle Examina, so wie gegen alles, wo ich persönlich hervortreten soll, einen großen Widerwillen habe, und schon deswegen nicht sehr glücklich in einem solchen seyn würde. Herrn Professor Buttmann würde ich sehr dankbar seyn, wenn er sich für mich interessiren wollte, und ich würde ihn in einem Briefe darum ersuchen, wenn ich nicht wegen meiner geringen Bekanntschaft mit ihm dazu zu blöde wäre.

Für Ihre gütige Beantwortung meiner vorgelegten Fragen und für die erfreulichen Nachrichten von Ihrem Wohlbefinden und Ihrer neulichen häuslichen Freude danke ich Ihnen herzlich. Möge ich bey meiner Ankunft Sie und Ihre Familie in dem Wohlseyn antreffen, wie ich es hoffe und wünsche!

Mit der größten und innigsten Verehrung und Liebe August Twesten.

Zitierhinweis

3750: Von August Twesten. Hamburg, Freitag, 28.2.1812, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007802 (Stand: 26.7.2022)

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