Es wäre schlimm genug mein lieber Freund, wenn ich mich förmlich meines Stillschweigens wegen bei Ihnen entschuldigen sollte. Sie wissen ja wol wie das geht. Ich kann nur im Allgemeinen klagen daß auf diesem Winter ein besonderer Unsegen ruht; ich komme außer meinen Vorlesungen fast zu nichts und lerne leider bei diesen nicht so viel als ein so bedeutender Zeitaufwand erwarten läßt. In den Weihnachtsferien hoffte ich vielerlei abzumachen und unter vielen Briefen auch den Ihrigen zu beantworten; es ist auch nicht geschehen.   Die Hauptfrage die Sie mir darin vorlegen, vom Religionsunterrichte der Kinder scheint mir zu den schwierigsten zu gehören, und allgemein weiß ich nichts darüber zu sagen als nur negativ. Ich meine nämlich nicht daß die Idee des höchsten Wesens | durch den Unterricht zuerst soll aufgeregt werden sondern sie muß irgendwie im Leben kommen und zuerst mit dem sittlichen Gefühl in Verbindung gebracht werden. Auf dieser Basis kann hernach die mythi- sche Vorstellung ganz sicher ruhen. Daß diese im Kindesalter allein dominiren muß und daß man sie unter jener Voraussezung ganz ruhig kann gewähren lassen ohne Furcht daß hernach mit der mythischen Form auch die Idee selbst werde abgeworfen werden ist meine sichre Ueberzeugung. Eigentlicher Religionsunterricht denke ich muß gleich mit Christo und rein christlich anfangen, vorbereitend aber halte ich einige Beschäftigungen mit dem alten Testament sehr gut. Am wünschenswerthesten scheint es mir wenn man im Besiz schöner bildlicher Darstellungen der alttestamentlichen Geschichte ist und bei Anschauung und Erklärung derselben gleich die einzelnen Geschichten in der Bibel lesen läßt für welche sich die Kinder am meisten interessiren.

Ihre dogmatische Frage haben Sie Sich schon selbst beantwortet, und ich darf in Bezug auf Ihren zweiten Brief nur hinzufügen daß ich eine gänzliche Negation nicht annehme, doctrinal nemlich, sondern daß ich diese nur zur mythischen Form rechne. Dies glaube ich ist in der Dogmatik bei der Lehre von der primitiven Vollkommenheit und bei der von den Weissagungen und Typen ge | sagt worden. – Es freut mich recht herzlich daß Sie mit solchem Interesse noch meinen Vorträgen folgen, und daß ich Ihnen noch ferner hier und da den Anstoß gebe Sich die speculativen Gegenstände immer klarer zu entwikeln.

Was den nächsten Sommer betrift so werde ich die Ethik nicht lesen sondern habe mir diese für den Winter verspart; im Sommer will ich die Geschichte der neuern Philosophie vortragen und außer dem exegetico praktische Theologie lesen. Es sollte mir aber sehr leid thun wenn Sie den schönen Gedanken wieder zu uns zu kommen deshalb wieder auf die Seite schöben. Ich kenne zwar den LectionsCatalog noch nicht und was mir diesen Augenblik einfällt um Sie zu reizen ist nur Wolfs Geschichte der griechischen Literatur; aber es kann ja nicht fehlen daß es nicht manches erwünschte auch für Sie geben sollte. Wenn Sie in Ihrem dermaligen Verhältniß nicht mit voller Zustimmung des Herzens sind so würde ich es für sehr Unrecht halten wenn Sie es nicht abbrächen so bald Sie rechtlicher Weise können; ökonomische Rüksichten dürfen Sie gar nicht halten. Ich habe schon einige Einleitungen von weitem gemacht, und ich denke wenn Sie Sich nur bald bestimmt entschlößen [daß] entweder eine Stelle in dem Seminarium für gelehrte Schulen oder Gelegenheit in unsern hiesigen Gymnasien Unterricht zu geben wird entstehen können. nicht Dies wird Ihnen wenigstens eine Basis geben und einige vortheilhafte Privat | stunden finden sich gewiß auch so daß ich glaube da Sie eben genügsam sind werden Sie mit einem unbedeutenden Vorschuß es wagen können herzukommen. Sie werden Sich freier fühlen nüzlicher und erfolgreicher beschäftigt und immer Muße haben aus unsern Weisheitsquellen zu schöpfen. Entschließen Sie Sich nur bald und lassen es mich gleich wissen so will ich mit Buttmann gemeinschaftlich alle nöthigen Vorkehrungen treffen.   Eben ist der Entwurf des LectionsCatalogs bei mir gewesen. Fichte liest Rechtslehre und Sittenlehre, Solger den Sie wol gar nicht kennen liest Grundlehren der Philosophie und über den Prometheus des Aeschylus, Boeckh Euripidea und Plautiana Wolf Aristophanea, Bernhardi Pädagogik. Das ist mir aus der flüchtigen Ansicht geblieben

Meine Gesundheit ist bis auf Kleinigkeiten ganz gut gewesen seit meiner flüchtigen aber sehr schönen schlesischen Reise. Vor zehn Tagen hat meine Frau ein kleines Mädchen geboren und auch dabei ist alles möglichst gut gegangen. Unser Niebuhr hat an einer Halsentzündung gelitten, er geht noch nicht aus ist aber ganz hergestellt. Heindorf ist in Breslau leider wieder ins Kränkeln gekommen.

Nun leben Sie wohl und entschließen Sie Sich aufs baldigste so wie ich es wünsche.

Von Herzen der Ihrige Schleiermacher

Berlin d 22t. Febr. 12

Zitierhinweis

3748: An August Twesten. Berlin, Sonnabend, 22.2.1812, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007801 (Stand: 26.7.2022)

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