Den 1sten Jan

Es ist wohl sehr unrecht, Bester Schleier!  korr. v. Hg. aus: dasdaß ich Ihren lieben Brief, der mir doch die gröste Freude machte, so lange unbeantwortet gelassen, es vergehen aber jetz oft mehrere Wochen, wo ich das Schreiben von einem Posttag zum andern verschiebe in der Hoffnung, neuere Nachrichten von Steffens zu haben, und mittheilen zu können. Leider ist das heute nicht der Fall, da sein lezter Brief, den ich am heiligen Abend bekam, schon zu ende November geschrieben ist, damahls war Er in der Grafschaft Mark, mit der Organisation des Landes beschäftigt, Er hatte von Blücher und Gneisenau den Ehrenvollen Auftrag der Erste zu sein, der die G. M. Ra vensberg Minden und Münster in Besitz nähme, dort die provisorische Regierung einsetzen, u.s.w. als Er von Giesen dahin kam, waren Bülow und Borstel schon dort, die der Kronprinz von Schweden zu eben diesem Zweck dorthin geschickt; nun betreibt Er die Geschäfte gemeinschaftlich mit Ihnen. | 60v In Marburg hat Er ein prächtiges Vivat mit Fakeln von Uni versität und Bürgerschaft vereint bekommen, und auch in Giesen ist es Ihm sehr gut gegangen. Hier ist jetzt Alles voll von Frieden, ich kann nicht daran glauben, es schiene mir auch durchaus nicht recht. –

Ich hoffe bester Schleier mit Ihrer unpässlichkeit, die Sie hatten wie Sie mir schrieben ist Nichts weiter geworden, und Sie haben den Weinachten recht froh mit den Ihrigen verlebt, und nicht so langweilig und allein wie ich hier nebst Riekchen. Ihre Schwester Lotte war auch gewiß schon bey Ihnen, ich mögte garzugern das vortreffliche Mädchen in Berlin sehn, wo gewiß Ihr Erfreuen noch unendlich größer sein wird über Alles Neue, wie hier, ich denke mir  korr. v. Hg. aus: dasdaß die SingAkademie einen sehr großen Eindruck auf Sie machen muß, und wäre gern dabey wenn Sie Sie zuerst hört. Nie werde ich die angenehmen Stunden vergessen wie das liebe originelle Mädchen hier war. Steffens der Sie auch so sehr lieb hat, hatte Sie sogar mit mir besucht, wie wir es Ihr auch versprochen, es ging aber doch nicht an, auch eine Herrnhuter Collonie mögte ich so gern einmahl sehen, den ken Sie sich nur  korr. v. Hg. aus: dasdaß ich noch nie Eine gesehn, ich beneide Sie Alle recht  korr. v. Hg. aus: dasdaß das liebe Mädchen den Winter bey Ihnen bleibt. Ist Sie schon da, so grüßen Sie Sie tausendmahl. –

Seit ich von Ihnen wuste,  korr. v. Hg. aus: dasdaß Marwitz noch in Prag sey fing ich auch wieder an zu hoffen, Er würde seinen Weg über hier nehmen, wenn Er zur Armee ginge, es wäre mir eine unendliche Freude Ihn zu sehn, auch mögte ich mich so gern selbst davon überzeugen wie es mit seiner Hand steht, und mit seiner GemüthsStimmung, für die mir auch recht bange ist; ich kann es nicht sagen wie traurich mir sein Schiksal ist, für einen Men schen, wie unser herlicher Marwitz ganz schrecklich, und doch Gott sey Dank! der Ihn aus der Gefangenschaft befreyt – | 61v Ich war im Begriff Ihm zu Schreiben und Ihn zu bitten, über hier zu reisen ich dachte aber Er würde sich darüber wundern und es sonderbar finden, da Er gewiß nicht weis wie lieb Er mir ist, und für sein strenges Urtheil fürchte ich mich ein bißgen, Er ist mir ganz wie ein Bruder, oder ein Sohn. – Wenn Er noch in Prag ist, und Sie schreiben Ihm, so legen Sie Ihm mein Verlangen ans Herz. – Ganz getrennt hat sich der älteste Raumer nicht von seiner Frau so viel ich weis, aber auf ein Virtel Jahr sind Sie von einander. Ihn werden Sie vieleicht schon in Berlin gesehen haben, und Sie reist nach Dessau mit dem niedlichen Knaben, ich glaube  korr. v. Hg. aus: dasdaß das Kind ein großes Hinderniss zu einer Scheidung ist, beide Eltern hängen sehr daran, sonst ist es wohl gewiß  korr. v. Hg. aus: dasdaß es zu wünschen wäre, da Sie ein trauriges Leben zusammen führen, die Scheidung wohl an Beiden gleichviel liege, solch eine Ehe ist | 62 etwas erschreckliches!

Der Tod des trefflichen Reils ist mir sehr nahe gegangen, wieviele herr liche Menschen kostet dieser Krieg, Reil soll wie ein helfender Engel in Halle und Leipzig erschienen sein, und die trauer über seinen Tod ist sehr groß; der arme Vater, der überhaupt diesen Winter sehr elend ist, hat sich diesen Verlust besonders zu Herzen genommen. – Wissen Sie nicht, ob die kurze aber recht schöne einfache Biographie über Krosigk von Blanc war? mir ist Sie so vorgekommen. Der gute Blanc soll so sehr frohes Muhtes sein und wie meine Eltern meinen, viel liebenswürdiger aus seiner Gefan genschaft zurük gekehrt, ich habe Ihn immer sehr lieb gehabt, er ist eine treue Seele, und ein wahrer Freund ist Er Steffens immer gewesen. – Von meiner fatalen Geschichte mit Schulzens sind Sie nun wohl unterrichtet und vieleicht besser wie ich selbst, denn ich hoffe  korr. v. Hg. aus: dasdaß die Schultz gegen die Alberti offenherziger sein wird, wie gegen mich, und ich von | 62v dort her, den Grund Ihres und Seines unbegreiflichen Betragens erfahre, mir hat die Sache viel Kummer gemacht, und macht es noch, bey dem Ge danken wie sehr unangenehm es Steffens sein wird.

Von Nanny versprachen Sie mir schon lange einen Brief, das liebe Mädchen scheut sich gewiß mir zu schreiben weil wir uns so lange nicht gesehn, Sie ist mir aber auch nicht im mindesten fremd in der Erinnerung, ich wolte Sie machte jetzt die Reise nach Pless, und kehrte bey mir ein, welche Freude in meiner Einsamkeit! Sie wissen wohl  korr. v. Hg. aus: dasdaß die Rettel und Ihre Schwester Sophie einen Monath bey uns im Hause wohnten, wie Sie jetz zurück gingen; da waren wir nun natürlich immer zusammen, aber es war Riekchen und mir recht langweilig, und wir sind sehr viel lieber allein, so etwas Leeres wie diese beiden Damen, ist mir noch kaum vor gekommen, ich kante die Rettel wenig und | 63 nahm mir vor, Sie zu beob achten da ich weis  korr. v. Hg. aus: dasdaß Sie Marwitz gefält, das ist mir nun rein unbe greiflich, Riekchen fand Sie auch sehr zu Ihrem Nachtheil verändert, die große Liebe zu Rettel, die sonst Ihr ganzes Wesen soll interessant gemacht haben, ist nun auch ganz vorbey, und Sie denkt und spricht Nichts wie die aller oberflächlichsten Dinge, aus dem täglichen Leben, ich bin froh  korr. v. Hg. aus: dasdaß Sie nicht den Winter hier geblieben. Sie kanten Sie ja wohl auch sonst?

Riekchen und ich wünschen oft  korr. v. Hg. aus: dasdaß doch auch nur ein einziger inter essanter Mann hier sein mögte, der uns des Abends besuchte, und uns zuweilen vorlese, ich bin noch nie so arm von der Seite gewesen, da ich selten von Steffens getrennt, oder eigentlich nie war, und auch auser Ih nen war doch immer ein oder der Andere Freund mit uns, auser hier in dem abscheuligen Ort, wie herrlich wäre es für mich gewesen wenn Mar witz hier krank ge | 63vlegen hette, aber für Ihn wohl gewiß noch schlimmer wie in Prag, wenn ich die 3 Wochen ausnehme die Er mit Tieck hier hette sein können. –

Steffens seine Idee war diesen Sommer: nach dem Frieden zu suchen nach Berlin zu kommen, dann müsten Sie lieber Freund, uns aber erst das Wort geben auch dort zu bleiben, und nicht wie Sie letzt meinten wo anders hinzugehn, wenn ich mir uns dort, ohne Sie und die Ihrigen den ken müste, das wäre mir recht traurich, ich sehe es nicht recht ein wie Steffens wieder hier leben könte, nachdem sich fast algemein, eine so schlechte Gesinnung ausgesprochen bey seinem Entschluss mit zu gehen, und sich auch Alle unsere ehemahligen Bekanten gänzlich von mir seit dem zurück gezogen, Theilnahme für Steffens fände ich bey Niemand, also kann es mir nur angenehm sein die Menschen nicht zu sehn, diese Fest Zeit wo wir sonst immer eingeladen waren, oder die Leute bey uns hatten, habe ich ganz allein zugebracht, mit | 64 Riekchen, und Clärchen, und unserm Vetter Dorrer(?), der für mich eine unaufrichtige Gesellschaft ist. – Ich traf letz bey einem Verkauf von HandArbeiten, eine Dame die mich der Aehnlichkeit, mit der Herz wegen sehr interessierte, und ich hörte  korr. v. Hg. aus: dasdaß es eine Schwester von Ihr sey, Madam Latorp(?) glaube ich, wenn mich die Frau doch besucht hätte und wenn ich mich auch nur an die Aehnlichkeit hette freuen können. Die Herz müssen Sie sehr von mir grüßen. –

In diesem Augenblick bekomme ich einen langen Brief von meinem lieben Steffens! vom 12ten Dezember aus Dortmund wo Er 14 Tage mit der Landwehr Organisation zu tuhn hatte, von dort war Er eben im Begriff nach Düsseldorf zu Gruner zu gehn, um 14 Tage bey Ihm zu bleiben, den Aufsaz über diesen Feldzug zu vollenden, Er hatte Gruner schon früher besucht der dort wie ein Fürst in einem Palast lebt, das past sich herlich für Gruner finde ich, vor ein paar Monaten war Er hier als Er zurück kam aus Peterwardeyn. | 64v Steffens befürchtet sehr den Frieden, davon unterhandelt wird fleisig, Er meint  korr. v. Hg. aus: dasdaß es noch viel zu früh sey – Es geth Steffens überal sehr schön, elegante Damen versorgen Ihn mit feiner Wäsche, und Eine hat Ihm ein Uhrband gemacht, woran Er den silbernen Westphälischen Orden trägt der in Eisenach erbeutet ist, auch schikt Er mir ein Zeitungsblat von Dortmund, worin eine Rede die Er in einer Gesellschaft gehalten gelobt wird. Sie sehen  korr. v. Hg. aus: dasdaß es Ihm gut geth, und in keiner Art fehlt, Gott wolle Ihn ferner beschützen!

Ich fürchte lieber guter Freund! ich habe Ihre Geduld schon längst erschöpft, und muß deshalb wirklich um Verzeihung bitten. – Wenn Sie mich bald wieder durch einen Brief erfreuen wollen werde ich es Ihnen sehr sehr danken, Briefe sind diesen Winter meine gröste Freude und Ihre ganz vorzüglich. Viele herzliche Grüße den lieben Ihrigen.

Hanne

Viel Glück zum neuen Jahre!

Zitierhinweis

4011: Von Johanna (Hanne) Steffens. Breslau, Sonnabend, 1.1.1814, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007789 (Stand: 26.7.2022)

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