Den 19ten Apprill

In dieser Zeit ist es mir ein wahres Bedürfniß mich Ihnen, lieber Freund! zu nähern, ich weiß noch zu wohl was Sie mir damahls, als ich in Hamburg fast der schweren Zeit unterlag, für Trost gaben, mit Ihren Briefen, und wie mich jede Zeile derselben erquikte und aufrichtete; ist nun gleich diese Zeit sehr verschieden von Jener, so fehlt es mir doch auch jetz nicht an banger Sorge, und ein Wort von Ihnen lieber guter Schleier würde mir sehr wohltuhend sein. Ich hege das feste Vertrauen im Herzen,  korr. v. Hg. aus: dasdaß Gott mir Steffens erhalten wird, und nicht einen so trefflichen Menschen, wie Er es ist, wird untergehn lassen in dem schönen Eifer, mit dem Er von hier ging; obgleich ich so wie ich Steffens kenne, es wohl vermuhten konte  korr. v. Hg. aus: dasdaß Er nicht zurük bleiben könte, | 44v so wie die Sachen jetz stehn, so war es mir doch schrecklich mich an den Gedanken zu gewöhnen, Ihn nun so lange nicht zu sehn, und Ihn so vielen Gefahren ausgesetzt zu wissen, und ich weis noch nicht, wie ich die Trennung tragen soll, mir ist es nun so öde und todt alles um mich her, das könt Ihr lieben Freunde, Euch gewiß ganz denken, Ihr kent Steffens, und lebt selbst ein ordentliches Leben mit einander.  korr. v. Hg. aus: DasDaß ich unseren geliebten Schleier, so ganz glücklich verheirahtet weiß, macht mir jedes mahl wenn ich daran denke, die innigste Freude, wenig Menschen verdienen es so, und wissen eine glückliche Ehe so zu erkennen wie Er;  korr. v. Hg. aus: dasdaß ich aber weder Frau noch Kinder kenne tuht mir oft sehr leid; wer weiß ob die Zeiten nach dem Kriege, nicht | 45 so gut werden  korr. v. Hg. aus: dasdaß wir Euch einmahl besuchen können, oder Ihr uns, ach wenn wir ein Jahr weiter wären, und Steffens wäre – dann eben so gesund und voll Muth und Freudigkeit wie jetz! Er schreibt mir fleisig, bis jetz ein ordentliches Tagebuch, und immer sehr heiter, auch  korr. v. Hg. aus: dasdaß Er nie so wohl sich befunden, besonders körperlich, Geistig giebt es oft Langeweile auf den Märschen, und Er sehnt sich nach größerer Tähtigkeit. –

Unsern lieben Marwitz haben wir die Zeit  korr. v. Hg. aus: dasdaß Er hier war, täglich gesehn, und Ihn nur noch lieber gewonnen, Er ist mir wie ein Bruder, und ich mögte sehr gern wissen, ob Er, wie es sein Plan war, mit Dörenberg gegangen ist, wenn Sie Ihn noch gesehn, nach seiner Zurückkunft nach Berlin, und wißen mit welchem Corps er gegangen ist, so schreiben Sie es mir doch, lieber Freund! | 45v

Sehn Sie wohl meine arme Schwester Pistor? Sie ist so sehr traurich – ach ich weis am Besten wie Ihr zu Muhte ist, wir Armen sollen Beide unsere Kinder nicht behalten, wenn uns der liebe Gott nur das lezte läst, wollen wir Ihm danken; unser Clärchen macht uns recht viele Freude, es ist in Nichts ein ausgezeichnetes Kind, aber Sie ist so gut, und sieth Steffens sprechend ähnlich, das giebt mir auch Hoffnung für Ihren Verstand. Was macht meine liebe Nanny? wie gern sähe ich Dich wieder, Du gute Nanny! Du hast Dich auch recht mit Clärchen herum geplagt wie wir zusammen wohnten, ach Nanny! wie alt bin ich seitdem geworden, Du würdest mich nicht wieder kennen, viel Kummer habe ich auch gehabt seitdem, und Du wohl nur Freuden.

Raumer geth zur Landwehr, da haben Riekchen und ich uns ein paar kleine | 46 Stuben vor dem Thor gemiehtet, wo wir mit unsern Kindern hinziehn wollen wenn die Eltern abgereist sind, die arme Sophie ist schon lange krank an der Gicht, nun geth es schon wieder besser.  korr. v. Hg. aus: DasDaß die Schultz herkömt freut mich recht, ich habe die sanfte Frau sehr lieb, vieleicht bleibt Sie lange hier.

Sein Sie nicht böse,  korr. v. Hg. aus: dasdaß ich so weitläuftig bin, Sie sehen ich behandele Sie noch als den lieben alten Freund, der Sie mir sonst waren, mögten Sie es auch jetz noch sein, guter lieber Schleier! Ein Brief von Ihnen wird mir Labsal sein. Grüßen Sie die lieben Frauen von ganzen Herzen. Ich bin heute so guten Muhtes, weil ich solchen herlichen Brief von Steffens bekommen habe. Der Himmel beschütze Ihn, Sie und uns Alle.

Hanne | 46v

Wissen Sie nicht ob Marwitz eine bedeutende Rolle, bey der Affaire von Dörenberg gespielt? – Was macht der treffliche Reimer und seine Familie?

Zitierhinweis

3849: Von Johanna Steffens (auch an Anne (Nanny) Schleiermacher). Breslau, Montag, 19.4.1813, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007783 (Stand: 26.7.2022)

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