Lieber Schleiermacher! Ich bin nun, seit einiger Tage hier – gesund und munter. Leider war ich nicht so glücklich Frau und Kind, so zu finden, wie ich es hoffte. Beide kränkeln und Hanne hatte eben eine bedenkliche Krankheit überstanden. Es war mir höchst überraschend. In vierzehn Ta gen war ich von Paris bis Breslau gereist, seit dem 1sten Maj hatte ich nichts von meiner Familie vernommen, und glaubte Hanne besonders, nach allen Nachrichten, von ihr selbst und andern, sogar gesünder, wie gewöhnlich – und nun trat sie mir mit einem eingefallenen Gesichte ent gegen. Sie muss ein Bad besuchen, wie ich glaube – aber – – – So endigt der Krieg, so fröhlich begonnen, nicht so lustig, als er anfieng – Hier haben mir die Studenten – die zurückgebliebenen nehmlich – bei meiner Ankunft, die Fenster eingeworfen, und nachher sich bei meinem Hause versammelt, mich ausgeschimpft, Soldaten gespielt, und dergleichen. Was ich von oben her zu erwarten habe, erhellt schon daraus, dass Blücher sowohl als Gneisenau, uns beiden, Raumer und mich, zum eisernen Kreuz vorgeschlagen, welches zwar noch nicht förmlich abgeschlagen worden, indessen haben wir doch, nachdem, unsern Abschied, mit einige Worten erhalten und weiter nichts. Ich habe durch den Krieg erstaunlich zugesezt – Von Ersaz ist gar nicht die Rede – Indessen muss ich doch, vor allen Dingen aus Breslau weg. Hier ist für mich gar kein Wirkungskreiss, und seit | 69v ich auf Universitäten zu lehren anfieng – jezt seit 18 Jahren – habe ich es hier zum erstenmahl erlebt, dass mir kein Mensch von Bedeutung nahe trat –

Dieses ist die unangenehme Seite meines Daseins – Aber ich bin voller Hofnung, mir soll der Schein nicht trügen, und wie ich in den Schlachten und unter die Kugeln, fast wuste, dass mich keine traf, so weiss ich auch, dass ich an meinem Leben, an Deutschland, trotz allem schlimmen An schein, ja sogar an meinen mismuthigen Feinden Freude erleben werde –

Hanne's Krankheit ist nicht von Bedeutung, die Aerzte mögen sagen was sie wollen. Ich habe mich einige Tage hindurch sehr geængstigt, dann alles überlegt, und bin jezt recht ruhig – Aber, lass mich die gute rühmen – es ist eine treffliche Frau – – In Breslau bleibe ich nicht – Ich habe unter andern in Paris bei Stein – den ich da gesprochen – durch Eichhorn, der sich sehr wohl befindet – einen Plan zur Errichtung einer grossen Uni versitæt am Rheine – ich schlug Coblenz vor – eingereicht – Stein war sehr dafür, und meinte, dass es durchgehen wollte. An mehrern Orten hörte ich, dass es wohl der Plan sein könnte, solche Mænner, die durch ihre Begeisterung den Muth, zur Zeit der Gefahr, aufgeregt hatten, deren Flamme aber der häuslichen Ruhe und gemæchlichen Glückseeligkeit ei nes Staats, der, nach so vielem Hezen, und Laufen und Jagen, sich vor allem ein wenig hinzulegen denkt, gefæhrlich werden könnte – aus den mærkischen Sandwüsten nach den paradiesischen Rhein im Exil zu schic ken.

Nun bin ich zwar nicht mehr gefæhrlich, als hier hinten auf meine Hand – und alle Kaiser und Könige und Fürsten, grosse und kleine, kön nen meinetwegen ganz ruhig schlafen, ja unser König ist mir, selbst wenn ich schelte, sogar persöhnlich lieb – aber ich habe ein Volks-Renomeé erhalten, | 70 führte den Krieg mehr mit den Franzosen als mit Napoleon, weiss, dass  Vom Hg. korrigiert. in im Innern des Gemüths, besonders auf hohe gegen den An drang des Volks wohl befestigte Punkte, der Feind noch gefæhrliche Be sazungen hat, und dass, erst wenn diese Festungen fallen, Deutschland wahrhaft frei ist – und kann das Maul nicht halten. Siehe da – Grund genug um so zu bestrafen, dass ich den Oder mit den Rhein, und das hiesige Bier mit den Rheinwein vertauschen muss – Ein hartes Schicksahl!

Wie vieles habe ich erlebt! – welch ein herrliches Leben, in trefflicher Umgebung genossen! – Wie wünschte ich dich zu sprechen,  korr. v. Hg. aus: umund dich zu sehn –

Dieser Brief soll den, so lange zerrissenen Faden wieder anknüpfen. Es ist ein blosser Gruss – Ich reiche dir, nach langer Zeit, und wundersame Schicksahle, die treue Hand – herrlicher, guter Freund! – dem ich ewig zugehöre – der Brief soll deine Frau, und deine Kinder, und meine Freun de – herzlich begrüssen – soll fragen, wie ihr lebt, was ihr treibt. Leider habe ich aus deine Briefe an meiner Frau, aus andere Nachrichten, erfah ren, dass du dich nicht wohl befindest, dass du unzufrieden bist – – Der Brief soll ferner zu mancherlei fragen auffordern – denn aus dem Reich thum des Erfahrnen ist es schwer, ohne eine solche Aufforderung einen Anfangspunkt herauszufinden – Über meine Geschichte des Krieges, die ich herausgeben will, wird dir Reimers mehreres sagen können. Noch einmahl, sey herzlich gegrüsst und antworte bald

Dein treuer Steffens

Breslau d. 18 Junii 1814

Zitierhinweis

4037: Von Henrich Steffens. Breslau, Sonnabend, 18.6.1814, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007778 (Stand: 26.7.2022)

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