Dr und Professor Schleiermacher / Wohlgebohren / Berlin / Kanonierstrasse neben / der Dreifaltigkeitskirche [Bl. 62v]

Halle den 9 Aug 11.

Lieber Schleiermacher, fast schæme ich mich, dass jezt erst nach acht Tage [ich] dir schreibe. Ja meine Frau will sogar bemerkt haben, dass mir gestern bei der Erinnerung meiner Sünde, eine Schaamröthe überlief, welches für einen so alten und verstockten Sünder, wie ich in dieser Rücksicht bin, viel sagen will – Und sollte ich euch denn nicht tausendmahl danken für die herrlichste, unbetrübteste Zeit, die mir, seit so lange, geworden ist, für die Wiedertaufe der Freundschaft, die lange mich beleben, erheitern wird, für die Freude euch alle in eurem häuslichen Kreis gesehen zu haben, Henriette, die ich so lange zu kennen wünschte, und nun so lieben muss, dich, von allen Schmerzen befreit, beruhigt und gesund durch Magnetismus und Freundschaft, die verjüngte Nanny, die stille, theilnehmende Louise, das kleine læchelnde, klare Schleiermacherlein, und der liebliche Chorus der nie schweigenden Kinder, deren Rede jene andere zur Folie diente, und ein jedes Stillschweigen ausfüllte. – Gott gebe mich so heitere Tage, wie die, die wir mit einander erlebten, und mir bleibe die frische Erinnerung, ein Labsaal für immer –

Ich bin glücklich hier angekommen. Auf der Post traf ich eine Schwester von Professor Sprengel, eine Bekanntinn von Louise Willich – Wir fuhren von Coswig an über Wörliz mit Extrapost. Ich kam, recht früh Abends an, und war so gescheidet gewesen auf Giebichenstein losschirren zu lassen, wo, wie ich meinte Hanne sein müsste. Louise war eine halbe Stunde früher als ich angekommen. Sie sieht sehr wohl aus, obgleich sie so viel ausgestanden hat, und ist bedeutend stärker geworden. Sie reist in diesen Tagen | 61v wieder ab, und hat mir recht sehr wohl gefallen. Ich lebe in der grösten Verwirrung, mit Einpacken, Arbeiten, die Sammlung ordnen, und dazu kömmt, dass das arme Vieh, der Schimmel, den ihr scherzhaft den grauen zu nennen pflegt, Ansprüche auf meine Thätigkeit macht, die ich nicht abweisen darf, ja es wære möglich, dass ich seintwegen meine Reise um einige Tage aufschieben müsste. Ich habe meine Dimission und habe weitläufig an Schuckmann über Reisegeld, Einrichtung für das physikalische Cabinet u.s.w. geschrieben und erwarte Antwort. Leider aber muss ich dir schreiben dass ich wohl kaum über Berlin komme, wenn ich nach Breslau reise. Ich fand hier eine Ausgabe, die nothwendig war. Ich war seit der bessern Zeit Reichardt ziemlich viel schuldig. Nun haben sie grade keine Meubeln und müssen 60 Rthr jährlich Miethe für geliehene Meubeln geben. Es ist also sehr natürlich, dass ich Ihnen meine überlasse, womit eine Schuld, die ich fast zu haben scheine, kaum gedeckt wird – Reichardt selbst, der in dieser Rücksicht, wirklich nobel denkt, hat nichts darüber gesprochen – Ich glaubte die Schuld jezt schon in andere Hände, worin ich mich aber irrte, erfuhr den Zusammenhang durch Louise, und Hanne brachte das Opfer – Ich werde bei allem dem doch hier losskommen. Nur über Berlin kann ich nicht reisen. Wie sehr es mir und Hanne leid thut, kannst du denken. Reimer, der gute, hat ja wohl schon seine Reise angetreten, wo nicht, so sag ihm, dass mir diese Voraussetzung ist, die mich abhält an ihm zu schreiben – Es ist doch ein herrlicher Mensch, und eine treffliche Familie – Grüss Henriette Nanny, Louise, Pistors, wenn du sie siehst und schreib mir noch einmahl vor deiner Abreise. Hanne ist von ihren Schaal bezaubert, und grüsst euch, alle herzlich. Über die Summe, die ich durch dich habe, bitte ich, dass du die Papiere in Ordnung bringst, und mir wissen læsst, wann und wie ich die Zinsen bezahle – –

Dein Freund HSteffens

Zitierhinweis

3661: Von Henrich Steffens. Halle, Freitag, 9.8.1811, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007775 (Stand: 26.7.2022)

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